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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Zukunft im Galopp herkömmt und sie umwirft, statt
wenn sie der Zukunft entgegen gegangen wären,
alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß,
Frankreich wird früher oder später noch eine Revo¬
lution erleiden. Es ist der Fluch der Menschen,
daß sie nie freiwillig vernünftig werden, man muß
sie mit der Peitsche dazu treiben. Es ist zum Ver¬
zweifeln, daß Lafayette, der Einzige, der es auf¬
richtig mit der Freiheit meint, einen so schwa¬
chen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte
alles durchsetzen. Er brauchte nur zu drohen, er
würde das Commando der National-Garde aufgeben,
und sich zurückziehen, wenn man den Franzosen nicht
gäbe, was man ihnen versprochen, und der König,
die Minister und die Kammer müßten nachgeben.

Der König von Bayern glaubt wahrscheinlich,
weil er so viel gereimt hat in seinem Leben, dürfte
er sich auch Ungereimtes erlauben. Der Liesching,
den ich viel kenne, ist der fünfte Schriftsteller, der
seit kurzem auf so schnöde Weise von München ver¬
jagt worden. "Vor der Hand als unpassend
ausgewiesen
," ist sehr schön gesagt. Der deut¬
schen Despotie werden vor Alterschwäche die Glieder
steif. Dieses Betragen der bayerischen Regierung
ist so ganz über die Maaßen dumm, so ganz un¬
gewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es steckt
unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß

Zukunft im Galopp herkömmt und ſie umwirft, ſtatt
wenn ſie der Zukunft entgegen gegangen wären,
alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß,
Frankreich wird früher oder ſpäter noch eine Revo¬
lution erleiden. Es iſt der Fluch der Menſchen,
daß ſie nie freiwillig vernünftig werden, man muß
ſie mit der Peitſche dazu treiben. Es iſt zum Ver¬
zweifeln, daß Lafayette, der Einzige, der es auf¬
richtig mit der Freiheit meint, einen ſo ſchwa¬
chen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte
alles durchſetzen. Er brauchte nur zu drohen, er
würde das Commando der National-Garde aufgeben,
und ſich zurückziehen, wenn man den Franzoſen nicht
gäbe, was man ihnen verſprochen, und der König,
die Miniſter und die Kammer müßten nachgeben.

Der König von Bayern glaubt wahrſcheinlich,
weil er ſo viel gereimt hat in ſeinem Leben, dürfte
er ſich auch Ungereimtes erlauben. Der Lieſching,
den ich viel kenne, iſt der fünfte Schriftſteller, der
ſeit kurzem auf ſo ſchnöde Weiſe von München ver¬
jagt worden. „Vor der Hand als unpaſſend
ausgewieſen
,“ iſt ſehr ſchön geſagt. Der deut¬
ſchen Despotie werden vor Alterſchwäche die Glieder
ſteif. Dieſes Betragen der bayeriſchen Regierung
iſt ſo ganz über die Maaßen dumm, ſo ganz un¬
gewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es ſteckt
unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß

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[152/0166] Zukunft im Galopp herkömmt und ſie umwirft, ſtatt wenn ſie der Zukunft entgegen gegangen wären, alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß, Frankreich wird früher oder ſpäter noch eine Revo¬ lution erleiden. Es iſt der Fluch der Menſchen, daß ſie nie freiwillig vernünftig werden, man muß ſie mit der Peitſche dazu treiben. Es iſt zum Ver¬ zweifeln, daß Lafayette, der Einzige, der es auf¬ richtig mit der Freiheit meint, einen ſo ſchwa¬ chen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte alles durchſetzen. Er brauchte nur zu drohen, er würde das Commando der National-Garde aufgeben, und ſich zurückziehen, wenn man den Franzoſen nicht gäbe, was man ihnen verſprochen, und der König, die Miniſter und die Kammer müßten nachgeben. Der König von Bayern glaubt wahrſcheinlich, weil er ſo viel gereimt hat in ſeinem Leben, dürfte er ſich auch Ungereimtes erlauben. Der Lieſching, den ich viel kenne, iſt der fünfte Schriftſteller, der ſeit kurzem auf ſo ſchnöde Weiſe von München ver¬ jagt worden. „Vor der Hand als unpaſſend ausgewieſen,“ iſt ſehr ſchön geſagt. Der deut¬ ſchen Despotie werden vor Alterſchwäche die Glieder ſteif. Dieſes Betragen der bayeriſchen Regierung iſt ſo ganz über die Maaßen dumm, ſo ganz un¬ gewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es ſteckt unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/166>, abgerufen am 18.12.2024.