das gegenüber stehende Haus illuminirt war. Da zog ich mich schnell an, ließ einen Wagen kommen, und fuhr eine Stunde lang in der Stadt herum. Viele Häuser waren illuminirt, theils aus Freude daß die Ruhe wieder hergestellt, theils zur Ehre des Königs, der noch spät von einer Revüe der National¬ garde zurückkehrend, zu Pferde die Straßen durchzog. Er hatte von gestern Mittag bis gestern Abend neun Uhr alle Quartiere der Stadt besucht und in jedem Quartier die National-Garden gemustert. Ueber den König ist nur eine Stimme. Alle Partheien (na¬ türlich nur die Carlisten nicht) lieben ihn. Auch ist er ganz wie die Franzosen einen König lieben und brauchen. Er ist ein Bürger-König. Zwar ist er das aufrichtig, und so viel aus Temperament und Gesinnung als aus Politik; aber dabei ist er es auch zugleich theatralisch. Er spricht gut, leicht, von Herzen, aber doch mit Pathos und Geberden, wie man es hier gern hat. Es ist so leicht ein guter König seyn, und es kostet die Fürsten viel größere Anstrengung, sich verhaßt zu machen bei ihren Untherthanen, als es sie kosten würde, ihre Liebe zu erwerben! ... Der einzige schöne Charakter der neuesten Zeit ist und bleibt doch Lafayette. Er ist die altgewordene Schwärmerei, wie sie nie, nicht einmal gemalt worden ist. Er ist bald 80 Jahre alt, hat alle Täuschungen, alle Verräthereien,
das gegenüber ſtehende Haus illuminirt war. Da zog ich mich ſchnell an, ließ einen Wagen kommen, und fuhr eine Stunde lang in der Stadt herum. Viele Häuſer waren illuminirt, theils aus Freude daß die Ruhe wieder hergeſtellt, theils zur Ehre des Königs, der noch ſpät von einer Revüe der National¬ garde zurückkehrend, zu Pferde die Straßen durchzog. Er hatte von geſtern Mittag bis geſtern Abend neun Uhr alle Quartiere der Stadt beſucht und in jedem Quartier die National-Garden gemuſtert. Ueber den König iſt nur eine Stimme. Alle Partheien (na¬ türlich nur die Carliſten nicht) lieben ihn. Auch iſt er ganz wie die Franzoſen einen König lieben und brauchen. Er iſt ein Bürger-König. Zwar iſt er das aufrichtig, und ſo viel aus Temperament und Geſinnung als aus Politik; aber dabei iſt er es auch zugleich theatraliſch. Er ſpricht gut, leicht, von Herzen, aber doch mit Pathos und Geberden, wie man es hier gern hat. Es iſt ſo leicht ein guter König ſeyn, und es koſtet die Fürſten viel größere Anſtrengung, ſich verhaßt zu machen bei ihren Untherthanen, als es ſie koſten würde, ihre Liebe zu erwerben! ... Der einzige ſchöne Charakter der neueſten Zeit iſt und bleibt doch Lafayette. Er iſt die altgewordene Schwärmerei, wie ſie nie, nicht einmal gemalt worden iſt. Er iſt bald 80 Jahre alt, hat alle Täuſchungen, alle Verräthereien,
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das gegenüber ſtehende Haus illuminirt war. Da
zog ich mich ſchnell an, ließ einen Wagen kommen,
und fuhr eine Stunde lang in der Stadt herum.
Viele Häuſer waren illuminirt, theils aus Freude
daß die Ruhe wieder hergeſtellt, theils zur Ehre des
Königs, der noch ſpät von einer Revüe der National¬
garde zurückkehrend, zu Pferde die Straßen durchzog.
Er hatte von geſtern Mittag bis geſtern Abend neun
Uhr alle Quartiere der Stadt beſucht und in jedem
Quartier die National-Garden gemuſtert. Ueber den
König iſt nur eine Stimme. Alle Partheien (na¬
türlich nur die Carliſten nicht) lieben ihn. Auch iſt
er ganz wie die Franzoſen einen König lieben und
brauchen. Er iſt ein Bürger-König. Zwar iſt er
das aufrichtig, und ſo viel aus Temperament und
Geſinnung als aus Politik; aber dabei iſt er es
auch zugleich theatraliſch. Er ſpricht gut, leicht, von
Herzen, aber doch mit Pathos und Geberden, wie
man es hier gern hat. Es iſt ſo leicht ein guter
König ſeyn, und es koſtet die Fürſten viel größere
Anſtrengung, ſich verhaßt zu machen bei ihren
Untherthanen, als es ſie koſten würde, ihre Liebe zu
erwerben! ... Der einzige ſchöne Charakter der
neueſten Zeit iſt und bleibt doch Lafayette. Er iſt
die altgewordene Schwärmerei, wie ſie nie,
nicht einmal gemalt worden iſt. Er iſt bald 80
Jahre alt, hat alle Täuſchungen, alle Verräthereien,
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/163>, abgerufen am 27.07.2024.
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