der neuen romantischen Parthei in der Politik, und letztere, die schwächste, weil sie die jüngste und un¬ erfahrenste ist, unterlag. Die romantische Parthei will individuelle Freiheit, die classische nur nationelle haben. Wenn Sie von Carlisten lesen, glauben Sie kein Wort davon. Natürlich haben diese den Zwie¬ spalt benutzt, aber angestiftet haben sie ihn sicher nicht. Aber wie schade, daß ich diese schöne Oper nicht mit angesehen. Vierzigtausend Mann Natio¬ nal-Garden, wie Riesenbesen die Straßen säubernd, und so unverletzend wie diese; denn es ist kein Trop¬ fen Blut vergossen worden. Dann Nachts bei Wachtfeuer auf der Straße bivouacquirend; die to¬ bende Menge, der König selbst patrouillirend, die vereinigten Studenten, über fünftausend, umher¬ ziehend und Ruhe und Ordnung schreiend -- welche Scenen! Das Einzige an der Sache ist romantisch schön, daß die Minister nicht am Leben bestraft worden. Das wird freilich die Despoten in Lissabon, Mailand und Petersburg nicht abhalten, ihre wehrlosen Gefangenen zu morden; aber das wird doch der Welt zeigen, daß Völker edler sind als Fürsten. Gestern Abend dachte ich noch nicht daran, auszugehen, ich wollte es erst heute; da sah ich zufällig durch die Spalte des Fensterladens, und bemerkte etwas ungewöhnlich Helles. Ich öffnete den Laden und sah zu meiner Ueberraschung, daß
der neuen romantiſchen Parthei in der Politik, und letztere, die ſchwächſte, weil ſie die jüngſte und un¬ erfahrenſte iſt, unterlag. Die romantiſche Parthei will individuelle Freiheit, die claſſiſche nur nationelle haben. Wenn Sie von Carliſten leſen, glauben Sie kein Wort davon. Natürlich haben dieſe den Zwie¬ ſpalt benutzt, aber angeſtiftet haben ſie ihn ſicher nicht. Aber wie ſchade, daß ich dieſe ſchöne Oper nicht mit angeſehen. Vierzigtauſend Mann Natio¬ nal-Garden, wie Rieſenbeſen die Straßen ſäubernd, und ſo unverletzend wie dieſe; denn es iſt kein Trop¬ fen Blut vergoſſen worden. Dann Nachts bei Wachtfeuer auf der Straße bivouacquirend; die to¬ bende Menge, der König ſelbſt patrouillirend, die vereinigten Studenten, über fünftauſend, umher¬ ziehend und Ruhe und Ordnung ſchreiend — welche Scenen! Das Einzige an der Sache iſt romantiſch ſchön, daß die Miniſter nicht am Leben beſtraft worden. Das wird freilich die Despoten in Liſſabon, Mailand und Petersburg nicht abhalten, ihre wehrloſen Gefangenen zu morden; aber das wird doch der Welt zeigen, daß Völker edler ſind als Fürſten. Geſtern Abend dachte ich noch nicht daran, auszugehen, ich wollte es erſt heute; da ſah ich zufällig durch die Spalte des Fenſterladens, und bemerkte etwas ungewöhnlich Helles. Ich öffnete den Laden und ſah zu meiner Ueberraſchung, daß
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der neuen romantiſchen Parthei in der Politik, und
letztere, die ſchwächſte, weil ſie die jüngſte und un¬
erfahrenſte iſt, unterlag. Die romantiſche Parthei
will individuelle Freiheit, die claſſiſche nur nationelle
haben. Wenn Sie von Carliſten leſen, glauben Sie
kein Wort davon. Natürlich haben dieſe den Zwie¬
ſpalt benutzt, aber angeſtiftet haben ſie ihn ſicher
nicht. Aber wie ſchade, daß ich dieſe ſchöne Oper
nicht mit angeſehen. Vierzigtauſend Mann Natio¬
nal-Garden, wie Rieſenbeſen die Straßen ſäubernd,
und ſo unverletzend wie dieſe; denn es iſt kein Trop¬
fen Blut vergoſſen worden. Dann Nachts bei
Wachtfeuer auf der Straße bivouacquirend; die to¬
bende Menge, der König ſelbſt patrouillirend, die
vereinigten Studenten, über fünftauſend, umher¬
ziehend und Ruhe und Ordnung ſchreiend —
welche Scenen! Das Einzige an der Sache iſt
romantiſch ſchön, daß die Miniſter nicht am Leben
beſtraft worden. Das wird freilich die Despoten in
Liſſabon, Mailand und Petersburg nicht abhalten,
ihre wehrloſen Gefangenen zu morden; aber das
wird doch der Welt zeigen, daß Völker edler ſind
als Fürſten. Geſtern Abend dachte ich noch nicht
daran, auszugehen, ich wollte es erſt heute; da ſah
ich zufällig durch die Spalte des Fenſterladens, und
bemerkte etwas ungewöhnlich Helles. Ich öffnete
den Laden und ſah zu meiner Ueberraſchung, daß
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/162>, abgerufen am 27.07.2024.
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