denn da steht überall umher so viel herabzuwerfen, so viel Zerbrechliches, daß die kleinste Zerstreuung mich zu Grunde richten könnte. Einige Schlingels von Deutschen, welche mich besuchen, machen mir die größten Sorgen. Sie rauchen Cigarren und die heiße Asche, welche herabfällt, brennt Löcher in die Fußdecke. Dann schaukeln sie sich mit vaterländi¬ scher Ungezogenheit und ausländischer Lebhaftigkeit auf den Stühlen und halten mich in beständiger Angst, daß sie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf eine theure Vase oder einen, selbst vereinigtem Pa¬ triotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten. Mein Schlafzimmer -- das ist über alle Beschrei¬ bung. Die darin befindlichen Möbels und Toilet¬ ten-Geräthschaften sind nach den schönsten herkulani¬ schen Mustern, theils im hetrurischen, theils im grie¬ chischen Style geformt. Ich wasche mich aus einem Delphischen Weihkessel und knüpfe mein Halstuch vor einem Altare der Venus. Mein Bett ist das Lager der Aurora. Morgenrothe Wolken, von wei¬ ßen und grünen Sonnenstreifen durchzogen, schmücken seinen Himmel. Die Wand, an welcher es steht, ist ein großer Spiegel; darin muß ich mich be¬ schauen -- da ist keine Rettung. Das Kopfkissen ist mit Spitzen garnirt, die mir wie Spinnen im Gesicht herumkrabbeln und mich schon einige Male auf eine schauerliche Weise aus dem Schlafe geweckt
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denn da ſteht überall umher ſo viel herabzuwerfen, ſo viel Zerbrechliches, daß die kleinſte Zerſtreuung mich zu Grunde richten könnte. Einige Schlingels von Deutſchen, welche mich beſuchen, machen mir die größten Sorgen. Sie rauchen Cigarren und die heiße Aſche, welche herabfällt, brennt Löcher in die Fußdecke. Dann ſchaukeln ſie ſich mit vaterländi¬ ſcher Ungezogenheit und ausländiſcher Lebhaftigkeit auf den Stühlen und halten mich in beſtändiger Angſt, daß ſie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf eine theure Vaſe oder einen, ſelbſt vereinigtem Pa¬ triotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten. Mein Schlafzimmer — das iſt über alle Beſchrei¬ bung. Die darin befindlichen Möbels und Toilet¬ ten-Geräthſchaften ſind nach den ſchönſten herkulani¬ ſchen Muſtern, theils im hetruriſchen, theils im grie¬ chiſchen Style geformt. Ich waſche mich aus einem Delphiſchen Weihkeſſel und knüpfe mein Halstuch vor einem Altare der Venus. Mein Bett iſt das Lager der Aurora. Morgenrothe Wolken, von wei¬ ßen und grünen Sonnenſtreifen durchzogen, ſchmücken ſeinen Himmel. Die Wand, an welcher es ſteht, iſt ein großer Spiegel; darin muß ich mich be¬ ſchauen — da iſt keine Rettung. Das Kopfkiſſen iſt mit Spitzen garnirt, die mir wie Spinnen im Geſicht herumkrabbeln und mich ſchon einige Male auf eine ſchauerliche Weiſe aus dem Schlafe geweckt
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denn da ſteht überall umher ſo viel herabzuwerfen,
ſo viel Zerbrechliches, daß die kleinſte Zerſtreuung
mich zu Grunde richten könnte. Einige Schlingels
von Deutſchen, welche mich beſuchen, machen mir die
größten Sorgen. Sie rauchen Cigarren und die
heiße Aſche, welche herabfällt, brennt Löcher in die
Fußdecke. Dann ſchaukeln ſie ſich mit vaterländi¬
ſcher Ungezogenheit und ausländiſcher Lebhaftigkeit
auf den Stühlen und halten mich in beſtändiger Angſt,
daß ſie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf
eine theure Vaſe oder einen, ſelbſt vereinigtem Pa¬
triotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten.
Mein Schlafzimmer — das iſt über alle Beſchrei¬
bung. Die darin befindlichen Möbels und Toilet¬
ten-Geräthſchaften ſind nach den ſchönſten herkulani¬
ſchen Muſtern, theils im hetruriſchen, theils im grie¬
chiſchen Style geformt. Ich waſche mich aus einem
Delphiſchen Weihkeſſel und knüpfe mein Halstuch
vor einem Altare der Venus. Mein Bett iſt das
Lager der Aurora. Morgenrothe Wolken, von wei¬
ßen und grünen Sonnenſtreifen durchzogen, ſchmücken
ſeinen Himmel. Die Wand, an welcher es ſteht,
iſt ein großer Spiegel; darin muß ich mich be¬
ſchauen — da iſt keine Rettung. Das Kopfkiſſen
iſt mit Spitzen garnirt, die mir wie Spinnen im
Geſicht herumkrabbeln und mich ſchon einige Male
auf eine ſchauerliche Weiſe aus dem Schlafe geweckt
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/113>, abgerufen am 27.07.2024.
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