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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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zu viel Umstände mit den Königen, man heuchelt zu
viel. Man sollte ihnen allen einen Termin von vier
Wochen setzen, binnen welchen sie eine bessere Re¬
gierung einzuführen hätten, oder -- fort mit ihnen.

-- Das Buch der Lady Morgan habe ich noch
nicht gelesen; ich will es mir aber heute noch holen
lassen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Be¬
geisterung, mit der sie von ihr spricht. Es ist eine
Straße einzig in der Welt, die schönste Symphonie
von Kunst, Natur, Geist und Leben. Es ist ein
Anblick, das kurzsichtigste Auge, die engste Brust zu
erweitern. Ich wollte, unsere Philister wohnten
alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, statt
nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein sie,
sondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen
werden. Mich ärgert es, so oft ich hierher komme,
daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumiethen.
Den ganzen Tag stände ich am Fenster und blätterte
in dem großen Buche mit den schönen Zeichnungen.
Ich hätte gar nicht nöthig, aus dem Hause zu ge¬
hen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber
Geld, Geld! nervus rerum gerendarum -- das
heißt auf Deutsch: ich habe schwache Nerven. --
Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andacht¬
stunden.


I. 7

zu viel Umſtände mit den Königen, man heuchelt zu
viel. Man ſollte ihnen allen einen Termin von vier
Wochen ſetzen, binnen welchen ſie eine beſſere Re¬
gierung einzuführen hätten, oder — fort mit ihnen.

— Das Buch der Lady Morgan habe ich noch
nicht geleſen; ich will es mir aber heute noch holen
laſſen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Be¬
geiſterung, mit der ſie von ihr ſpricht. Es iſt eine
Straße einzig in der Welt, die ſchönſte Symphonie
von Kunſt, Natur, Geiſt und Leben. Es iſt ein
Anblick, das kurzſichtigſte Auge, die engſte Bruſt zu
erweitern. Ich wollte, unſere Philiſter wohnten
alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, ſtatt
nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein ſie,
ſondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen
werden. Mich ärgert es, ſo oft ich hierher komme,
daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumiethen.
Den ganzen Tag ſtände ich am Fenſter und blätterte
in dem großen Buche mit den ſchönen Zeichnungen.
Ich hätte gar nicht nöthig, aus dem Hauſe zu ge¬
hen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber
Geld, Geld! nervus rerum gerendarum — das
heißt auf Deutſch: ich habe ſchwache Nerven. —
Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andacht¬
ſtunden.


I. 7
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[97/0111] zu viel Umſtände mit den Königen, man heuchelt zu viel. Man ſollte ihnen allen einen Termin von vier Wochen ſetzen, binnen welchen ſie eine beſſere Re¬ gierung einzuführen hätten, oder — fort mit ihnen. — Das Buch der Lady Morgan habe ich noch nicht geleſen; ich will es mir aber heute noch holen laſſen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Be¬ geiſterung, mit der ſie von ihr ſpricht. Es iſt eine Straße einzig in der Welt, die ſchönſte Symphonie von Kunſt, Natur, Geiſt und Leben. Es iſt ein Anblick, das kurzſichtigſte Auge, die engſte Bruſt zu erweitern. Ich wollte, unſere Philiſter wohnten alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, ſtatt nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein ſie, ſondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen werden. Mich ärgert es, ſo oft ich hierher komme, daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumiethen. Den ganzen Tag ſtände ich am Fenſter und blätterte in dem großen Buche mit den ſchönen Zeichnungen. Ich hätte gar nicht nöthig, aus dem Hauſe zu ge¬ hen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber Geld, Geld! nervus rerum gerendarum — das heißt auf Deutſch: ich habe ſchwache Nerven. — Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andacht¬ ſtunden. I. 7

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/111>, abgerufen am 22.12.2024.