Es ist nämlich der gleiche penetrante Geruch, der dem Besucher in gewissen Nachtkaffees der Großstadt entgegenströmt, wo die Prostitution auf ihre eigentümliche Form der Liebesjagd ausgeht. Der Stoff ist hier wie dort ganz der gleiche: die Grundlage unseres Moschus-Parfums wird, wenn sie nicht ver¬ fälscht ist, unmittelbar vom männlichen Moschustier entnommen. Der Zweck aber ist ebenfalls der gleiche. Das Straßen¬ mädchen unserer Kultur wünscht mit seinem knallend auf¬ getragenen Parfum eine gewisse sinnlich aufreizende, geschlechts¬ erregende Wirkung beim Manne hervorzubringen. Das männ¬ liche Moschustier in seinen heiligen Bergforsten lockt und reizt mit ihm als Naturparfum sein Weibchen. Bloß daß der sitt¬ liche Zweck beim Moschustier dabei höher steht. Die Quelle des Geruchs und Urquelle aller menschlichen Moschus-Industrie aber ist ein kleiner Beutel zwischen Nabel und Geschlechtsteil des Moschusbocks, in den von einigen Drüsen aus zur Liebes¬ zeit die Moschussubstanz wie eine natürliche feine Parfumsalbe entleert wird. Die angewachsene Parfumbüchse hat natürlich ihre Ausgänge nach dem offenen Bauch, wo an Haarbüscheln der feine Duftstoff frei abströmen und sich bis zur Nase des Weibleins verbreiten kann. Tritt der Duft mehrerer Bewerber in Konkurrenz, so muß allerdings noch ein gröberes Mittel nachhelfen: aus dem Maul des Moschusbocks ragen die Eck¬ zähne wie zwei abwärts gebogene kleine Schweinshauer vor und damit muß nötigenfalls, durch blutige Schmisse und Schrammen in des Gegners Rücken, das Monopol der Liebe noch ritterlich erfochten werden.
Dieser Duftzauber des verliebten Moschustiers ist nun äußerst lehrreich. Er zeigt ein ganzes Riesengebiet von Wir¬ kungen der Distance-Liebe, die über charakteristische, sinnlich aufregende Gerüche laufen.
Der Duft ist ganz allgemein eins der ältesten und immer wieder wirksamsten Mittel der Natur gewesen zu einer Ver¬ ständigung. Eine Art uralt-ehrwürdiger Sprache ist er. Die
Es iſt nämlich der gleiche penetrante Geruch, der dem Beſucher in gewiſſen Nachtkaffees der Großſtadt entgegenſtrömt, wo die Proſtitution auf ihre eigentümliche Form der Liebesjagd ausgeht. Der Stoff iſt hier wie dort ganz der gleiche: die Grundlage unſeres Moſchus-Parfums wird, wenn ſie nicht ver¬ fälſcht iſt, unmittelbar vom männlichen Moſchustier entnommen. Der Zweck aber iſt ebenfalls der gleiche. Das Straßen¬ mädchen unſerer Kultur wünſcht mit ſeinem knallend auf¬ getragenen Parfum eine gewiſſe ſinnlich aufreizende, geſchlechts¬ erregende Wirkung beim Manne hervorzubringen. Das männ¬ liche Moſchustier in ſeinen heiligen Bergforſten lockt und reizt mit ihm als Naturparfum ſein Weibchen. Bloß daß der ſitt¬ liche Zweck beim Moſchustier dabei höher ſteht. Die Quelle des Geruchs und Urquelle aller menſchlichen Moſchus-Induſtrie aber iſt ein kleiner Beutel zwiſchen Nabel und Geſchlechtsteil des Moſchusbocks, in den von einigen Drüſen aus zur Liebes¬ zeit die Moſchusſubſtanz wie eine natürliche feine Parfumſalbe entleert wird. Die angewachſene Parfumbüchſe hat natürlich ihre Ausgänge nach dem offenen Bauch, wo an Haarbüſcheln der feine Duftſtoff frei abſtrömen und ſich bis zur Naſe des Weibleins verbreiten kann. Tritt der Duft mehrerer Bewerber in Konkurrenz, ſo muß allerdings noch ein gröberes Mittel nachhelfen: aus dem Maul des Moſchusbocks ragen die Eck¬ zähne wie zwei abwärts gebogene kleine Schweinshauer vor und damit muß nötigenfalls, durch blutige Schmiſſe und Schrammen in des Gegners Rücken, das Monopol der Liebe noch ritterlich erfochten werden.
Dieſer Duftzauber des verliebten Moſchustiers iſt nun äußerſt lehrreich. Er zeigt ein ganzes Rieſengebiet von Wir¬ kungen der Diſtance-Liebe, die über charakteriſtiſche, ſinnlich aufregende Gerüche laufen.
Der Duft iſt ganz allgemein eins der älteſten und immer wieder wirkſamſten Mittel der Natur geweſen zu einer Ver¬ ſtändigung. Eine Art uralt-ehrwürdiger Sprache iſt er. Die
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Es iſt nämlich der gleiche penetrante Geruch, der dem
Beſucher in gewiſſen Nachtkaffees der Großſtadt entgegenſtrömt,
wo die Proſtitution auf ihre eigentümliche Form der Liebesjagd
ausgeht. Der Stoff iſt hier wie dort ganz der gleiche: die
Grundlage unſeres Moſchus-Parfums wird, wenn ſie nicht ver¬
fälſcht iſt, unmittelbar vom männlichen Moſchustier entnommen.
Der Zweck aber iſt ebenfalls der gleiche. Das Straßen¬
mädchen unſerer Kultur wünſcht mit ſeinem knallend auf¬
getragenen Parfum eine gewiſſe ſinnlich aufreizende, geſchlechts¬
erregende Wirkung beim Manne hervorzubringen. Das männ¬
liche Moſchustier in ſeinen heiligen Bergforſten lockt und reizt
mit ihm als Naturparfum ſein Weibchen. Bloß daß der ſitt¬
liche Zweck beim Moſchustier dabei höher ſteht. Die Quelle
des Geruchs und Urquelle aller menſchlichen Moſchus-Induſtrie
aber iſt ein kleiner Beutel zwiſchen Nabel und Geſchlechtsteil
des Moſchusbocks, in den von einigen Drüſen aus zur Liebes¬
zeit die Moſchusſubſtanz wie eine natürliche feine Parfumſalbe
entleert wird. Die angewachſene Parfumbüchſe hat natürlich
ihre Ausgänge nach dem offenen Bauch, wo an Haarbüſcheln
der feine Duftſtoff frei abſtrömen und ſich bis zur Naſe des
Weibleins verbreiten kann. Tritt der Duft mehrerer Bewerber
in Konkurrenz, ſo muß allerdings noch ein gröberes Mittel
nachhelfen: aus dem Maul des Moſchusbocks ragen die Eck¬
zähne wie zwei abwärts gebogene kleine Schweinshauer vor
und damit muß nötigenfalls, durch blutige Schmiſſe und
Schrammen in des Gegners Rücken, das Monopol der Liebe
noch ritterlich erfochten werden.
Dieſer Duftzauber des verliebten Moſchustiers iſt nun
äußerſt lehrreich. Er zeigt ein ganzes Rieſengebiet von Wir¬
kungen der Diſtance-Liebe, die über charakteriſtiſche, ſinnlich
aufregende Gerüche laufen.
Der Duft iſt ganz allgemein eins der älteſten und immer
wieder wirkſamſten Mittel der Natur geweſen zu einer Ver¬
ſtändigung. Eine Art uralt-ehrwürdiger Sprache iſt er. Die
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/80>, abgerufen am 23.11.2024.
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