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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Schon durch das einfache Abscheuern der Haare unter dem
Kleid, noch mehr aber durch ein künstliches Kurzschneiden und
gar Ausrupfen wurde bei den einzelnen Individuen mehr und
mehr das frei, das sichtbar, was bis dahin für Menschenaugen
so gut wie völlig verschlossen gewesen war: nämlich der wirk¬
liche plastische Umriß des menschlichen Körpers.

Und zwar wurde er sichtbar in einer Kontrastwirkung.
Draußen der im Pelz eskimohaft vermummte Mensch so form¬
los wie möglich. Drinnen am Herdfeuer der Mensch so
plastisch gegliedert wie möglich. Draußen Pelz Ideal, --
drinnen Pelzlosigkeit. Der erste Kontrast ist zweifellos schon
empfunden worden, als das eigene Affenhaar sogar noch heraus¬
kam nach Abstreifen des Bärenpelzes: gegen einen über und
über in fremde Felle vermummten Eskimo ist etwa ein behaarter
Schimpanse immer noch ein gut teil plastischer, ausgestalteter,
sozusagen umrißnackter. Nun tauchten aber bald auch zur
Blöße abgescheuerte Rücken, Schultern, Schenkel, Brüste daheim
aus dem Pelz. Und dazwischen mischten sich ganz geschorene,
ja gerupfte Gestalten. Bei den letzteren erschien, wenn auch
zunächst also immer nur bei Individuen als individuelles
Kunstprodukt und nicht angeboren, der reine Hautboden in
größerer Ausdehnung, -- zum ersten Mal.

Diese Hautflächen, einmal da, ließen aber mancherlei zu,
abgesehen vom leichteren Insektenfang. Sie ließen sich mit
Fett salben. Mehr aber: sie ließen sich hübsch rot anmalen.

Nun gieb acht, denn hier schlingt sich der Knoten. Wo
wird unser Eiszeit-Bruder geliebt haben? Doch ganz un¬
zweideutig nicht, wenn er draußen im Bärenpelz auf die
Mammut-Jagd ging, -- sondern daheim bei der Herdflamme.
Daheim, wenn der Pelz am Nagel hing und die Nacktheit
Trumpf war.

Der plastisch mehr und mehr heraustretende Körper war
der, den die Augen der Liebe allein anschauten. Wenn der
fremde Pelz fiel und er sich enthüllte, so war das nicht immer

Schon durch das einfache Abſcheuern der Haare unter dem
Kleid, noch mehr aber durch ein künſtliches Kurzſchneiden und
gar Ausrupfen wurde bei den einzelnen Individuen mehr und
mehr das frei, das ſichtbar, was bis dahin für Menſchenaugen
ſo gut wie völlig verſchloſſen geweſen war: nämlich der wirk¬
liche plaſtiſche Umriß des menſchlichen Körpers.

Und zwar wurde er ſichtbar in einer Kontraſtwirkung.
Draußen der im Pelz eskimohaft vermummte Menſch ſo form¬
los wie möglich. Drinnen am Herdfeuer der Menſch ſo
plaſtiſch gegliedert wie möglich. Draußen Pelz Ideal, —
drinnen Pelzloſigkeit. Der erſte Kontraſt iſt zweifellos ſchon
empfunden worden, als das eigene Affenhaar ſogar noch heraus¬
kam nach Abſtreifen des Bärenpelzes: gegen einen über und
über in fremde Felle vermummten Eskimo iſt etwa ein behaarter
Schimpanſe immer noch ein gut teil plaſtiſcher, ausgeſtalteter,
ſozuſagen umrißnackter. Nun tauchten aber bald auch zur
Blöße abgeſcheuerte Rücken, Schultern, Schenkel, Brüſte daheim
aus dem Pelz. Und dazwiſchen miſchten ſich ganz geſchorene,
ja gerupfte Geſtalten. Bei den letzteren erſchien, wenn auch
zunächſt alſo immer nur bei Individuen als individuelles
Kunſtprodukt und nicht angeboren, der reine Hautboden in
größerer Ausdehnung, — zum erſten Mal.

Dieſe Hautflächen, einmal da, ließen aber mancherlei zu,
abgeſehen vom leichteren Inſektenfang. Sie ließen ſich mit
Fett ſalben. Mehr aber: ſie ließen ſich hübſch rot anmalen.

Nun gieb acht, denn hier ſchlingt ſich der Knoten. Wo
wird unſer Eiszeit-Bruder geliebt haben? Doch ganz un¬
zweideutig nicht, wenn er draußen im Bärenpelz auf die
Mammut-Jagd ging, — ſondern daheim bei der Herdflamme.
Daheim, wenn der Pelz am Nagel hing und die Nacktheit
Trumpf war.

Der plaſtiſch mehr und mehr heraustretende Körper war
der, den die Augen der Liebe allein anſchauten. Wenn der
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[60/0074] Schon durch das einfache Abſcheuern der Haare unter dem Kleid, noch mehr aber durch ein künſtliches Kurzſchneiden und gar Ausrupfen wurde bei den einzelnen Individuen mehr und mehr das frei, das ſichtbar, was bis dahin für Menſchenaugen ſo gut wie völlig verſchloſſen geweſen war: nämlich der wirk¬ liche plaſtiſche Umriß des menſchlichen Körpers. Und zwar wurde er ſichtbar in einer Kontraſtwirkung. Draußen der im Pelz eskimohaft vermummte Menſch ſo form¬ los wie möglich. Drinnen am Herdfeuer der Menſch ſo plaſtiſch gegliedert wie möglich. Draußen Pelz Ideal, — drinnen Pelzloſigkeit. Der erſte Kontraſt iſt zweifellos ſchon empfunden worden, als das eigene Affenhaar ſogar noch heraus¬ kam nach Abſtreifen des Bärenpelzes: gegen einen über und über in fremde Felle vermummten Eskimo iſt etwa ein behaarter Schimpanſe immer noch ein gut teil plaſtiſcher, ausgeſtalteter, ſozuſagen umrißnackter. Nun tauchten aber bald auch zur Blöße abgeſcheuerte Rücken, Schultern, Schenkel, Brüſte daheim aus dem Pelz. Und dazwiſchen miſchten ſich ganz geſchorene, ja gerupfte Geſtalten. Bei den letzteren erſchien, wenn auch zunächſt alſo immer nur bei Individuen als individuelles Kunſtprodukt und nicht angeboren, der reine Hautboden in größerer Ausdehnung, — zum erſten Mal. Dieſe Hautflächen, einmal da, ließen aber mancherlei zu, abgeſehen vom leichteren Inſektenfang. Sie ließen ſich mit Fett ſalben. Mehr aber: ſie ließen ſich hübſch rot anmalen. Nun gieb acht, denn hier ſchlingt ſich der Knoten. Wo wird unſer Eiszeit-Bruder geliebt haben? Doch ganz un¬ zweideutig nicht, wenn er draußen im Bärenpelz auf die Mammut-Jagd ging, — ſondern daheim bei der Herdflamme. Daheim, wenn der Pelz am Nagel hing und die Nacktheit Trumpf war. Der plaſtiſch mehr und mehr heraustretende Körper war der, den die Augen der Liebe allein anſchauten. Wenn der fremde Pelz fiel und er ſich enthüllte, ſo war das nicht immer

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/74>, abgerufen am 23.11.2024.