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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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des gesamten Kosmos gehört. Es will mehr als plausibel
erscheinen, daß es keiner besonderen rotblauen Mandrillfarben
bedurft hätte, diese edel-schönen Linien vor dem Rhythmo¬
tropismus liebender Augen dem deckenden Haarwulst zu ent¬
reißen und in ihrer plastischen Hautursprünglichkeit zu ent¬
schleiern.

Und doch, daß ich dir's sage: mir will auch so die Sache
noch nicht einleuchten.

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Ich kann mir den ersten Anfang dieser Freude am Nackten
so ohne weiteres nicht vorstellen für Urzeiten, die von je her
bloß an dick pelzverpackte Genossen und Genossinnen gewöhnt
waren. Noch so viel alt eingepaukten Sinn für Linienführung
zugestanden: ich weiß nicht, was etwa ein etwas schwächer,
bloß noch stoppelweise behaarter Bauch der Affenmenschin zu¬
nächst als solcher für einen Reiz ausgeübt haben soll. Mit
solchen Vorposten müßte aber doch die Geschichte einmal ein¬
gesetzt haben. Ich fürchte, daß die ersten Anfänge solcher Nackt¬
heiten ohne gleichzeitiges Farbenfeuerwerk dem pelzgewohnten
Geschmack nur zu sehr den Eindruck gemacht hätten, dem ich
selbst vorhin schon einmal Wort gegeben habe beim nackten
Höhlenmenschen an seinem roten Feuer: -- den Eindruck des
gerupften Huhnes. Die gesamte ornamentale Linienführung
des Frauenleibes ließ sich ja gar nicht überschauen, ehe das
Werk nicht vollendet war. Nur von da hätte sich aber der
Grund ergeben. Wir kämen auf des braven Wallace grobe
teleologische Intelligenz, wenn wir an so etwas glauben sollten.
Wir wollten aber ja gerade von der schlichten Intelligenz der
Urmännlein und Urweiblein selber ausgehen. Wenn die aber
ewig nur Pelz gewöhnt war, woher sollte ihr plötzlich ein erst
zu erreichendes Nacktideal, fertig wie Pallas Athene, aus dem

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des geſamten Kosmos gehört. Es will mehr als plauſibel
erſcheinen, daß es keiner beſonderen rotblauen Mandrillfarben
bedurft hätte, dieſe edel-ſchönen Linien vor dem Rhythmo¬
tropismus liebender Augen dem deckenden Haarwulſt zu ent¬
reißen und in ihrer plaſtiſchen Hauturſprünglichkeit zu ent¬
ſchleiern.

Und doch, daß ich dir's ſage: mir will auch ſo die Sache
noch nicht einleuchten.

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Ich kann mir den erſten Anfang dieſer Freude am Nackten
ſo ohne weiteres nicht vorſtellen für Urzeiten, die von je her
bloß an dick pelzverpackte Genoſſen und Genoſſinnen gewöhnt
waren. Noch ſo viel alt eingepaukten Sinn für Linienführung
zugeſtanden: ich weiß nicht, was etwa ein etwas ſchwächer,
bloß noch ſtoppelweiſe behaarter Bauch der Affenmenſchin zu¬
nächſt als ſolcher für einen Reiz ausgeübt haben ſoll. Mit
ſolchen Vorpoſten müßte aber doch die Geſchichte einmal ein¬
geſetzt haben. Ich fürchte, daß die erſten Anfänge ſolcher Nackt¬
heiten ohne gleichzeitiges Farbenfeuerwerk dem pelzgewohnten
Geſchmack nur zu ſehr den Eindruck gemacht hätten, dem ich
ſelbſt vorhin ſchon einmal Wort gegeben habe beim nackten
Höhlenmenſchen an ſeinem roten Feuer: — den Eindruck des
gerupften Huhnes. Die geſamte ornamentale Linienführung
des Frauenleibes ließ ſich ja gar nicht überſchauen, ehe das
Werk nicht vollendet war. Nur von da hätte ſich aber der
Grund ergeben. Wir kämen auf des braven Wallace grobe
teleologiſche Intelligenz, wenn wir an ſo etwas glauben ſollten.
Wir wollten aber ja gerade von der ſchlichten Intelligenz der
Urmännlein und Urweiblein ſelber ausgehen. Wenn die aber
ewig nur Pelz gewöhnt war, woher ſollte ihr plötzlich ein erſt
zu erreichendes Nacktideal, fertig wie Pallas Athene, aus dem

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[35/0049] des geſamten Kosmos gehört. Es will mehr als plauſibel erſcheinen, daß es keiner beſonderen rotblauen Mandrillfarben bedurft hätte, dieſe edel-ſchönen Linien vor dem Rhythmo¬ tropismus liebender Augen dem deckenden Haarwulſt zu ent¬ reißen und in ihrer plaſtiſchen Hauturſprünglichkeit zu ent¬ ſchleiern. Und doch, daß ich dir's ſage: mir will auch ſo die Sache noch nicht einleuchten. [Abbildung] Ich kann mir den erſten Anfang dieſer Freude am Nackten ſo ohne weiteres nicht vorſtellen für Urzeiten, die von je her bloß an dick pelzverpackte Genoſſen und Genoſſinnen gewöhnt waren. Noch ſo viel alt eingepaukten Sinn für Linienführung zugeſtanden: ich weiß nicht, was etwa ein etwas ſchwächer, bloß noch ſtoppelweiſe behaarter Bauch der Affenmenſchin zu¬ nächſt als ſolcher für einen Reiz ausgeübt haben ſoll. Mit ſolchen Vorpoſten müßte aber doch die Geſchichte einmal ein¬ geſetzt haben. Ich fürchte, daß die erſten Anfänge ſolcher Nackt¬ heiten ohne gleichzeitiges Farbenfeuerwerk dem pelzgewohnten Geſchmack nur zu ſehr den Eindruck gemacht hätten, dem ich ſelbſt vorhin ſchon einmal Wort gegeben habe beim nackten Höhlenmenſchen an ſeinem roten Feuer: — den Eindruck des gerupften Huhnes. Die geſamte ornamentale Linienführung des Frauenleibes ließ ſich ja gar nicht überſchauen, ehe das Werk nicht vollendet war. Nur von da hätte ſich aber der Grund ergeben. Wir kämen auf des braven Wallace grobe teleologiſche Intelligenz, wenn wir an ſo etwas glauben ſollten. Wir wollten aber ja gerade von der ſchlichten Intelligenz der Urmännlein und Urweiblein ſelber ausgehen. Wenn die aber ewig nur Pelz gewöhnt war, woher ſollte ihr plötzlich ein erſt zu erreichendes Nacktideal, fertig wie Pallas Athene, aus dem 3*

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/49>, abgerufen am 26.11.2024.