entblößt worden um der Farben willen, sondern weil die Nackt¬ heit selber den Liebenden Freude gemacht habe. Das Weib sei es gewesen, das zunächst vom Manne gleichsam mit den Augen ausgezogen wurde. Nicht ein buntes, sondern einfach ein möglichst haarloses Weib wurde im Geschmack der Männer Trumpf. Wenn der Urmenschenmann auf die Brautschau zog, so gefiel ihm allemal am besten die am schwächsten behaarte Jungfrau. Noch heute ist darum das schwächere Geschlecht auch das schwächer behaarte. Im übrigen vererbte sich Evas Nacktheit, einmal errungen, auf beide Linien ihrer Kinder, -- auch die Knaben wurden nackt. Man wird sich denken müssen, daß auch die Urjungfrauen schließlich den Geschmack geteilt und mehr oder minder enthaarte männliche Wesen ebenfalls bevorzugt haben. Noch heute hat der Neu-Seeländer ein Sprichwort: "Für den haarigen Mann giebt's keine Frau." Jedenfalls hat ein Anpassungshemmnis wie bei den Paradiesvögeln nicht mitgesprochen, und so ist endlich der nackte Mensch in beiderlei Geschlecht übrig geblieben, -- ein Geschenk der eigensinnig wählenden Liebe.
Für uns hat diese Vorstellung ja etwas so ungemein Verführerisches. Rein vom Liebesboden aus ist uns bekleideten Kulturmenschen das nackte Weib auf alle Fälle das erotisch aufregendere. Es ist an sich das zur Liebe entkleidete Weib. Ein Tierpelz ist aber nichts anderes, als ein auf dem Körper festgewachsenes Kleid. Enthaaren hieß dieses Kleid bannen, hieß das erotische Weib überhaupt zum ersten Mal befreien.
Was aber das rein Ästhetische dabei betrifft, so scheint uns die Sache noch selbstverständlicher. Denke dir doch die kapitolinische Venus oder die mediceische oder das schöne Frag¬ ment von Syrakus in ganzer Länge in krause Zottelwolle ver¬ packt. Die Linie stirbt dabei, die herrliche Kunstlinie dieser Schultern, Brüste, Schenkel, gerade das, was der Marmor so wunderbar herausbringt. Vergessen wir nicht, daß vor allem die Rückseite des Weibes zu den entzückendsten Kunstgebilden
entblößt worden um der Farben willen, ſondern weil die Nackt¬ heit ſelber den Liebenden Freude gemacht habe. Das Weib ſei es geweſen, das zunächſt vom Manne gleichſam mit den Augen ausgezogen wurde. Nicht ein buntes, ſondern einfach ein möglichſt haarloſes Weib wurde im Geſchmack der Männer Trumpf. Wenn der Urmenſchenmann auf die Brautſchau zog, ſo gefiel ihm allemal am beſten die am ſchwächſten behaarte Jungfrau. Noch heute iſt darum das ſchwächere Geſchlecht auch das ſchwächer behaarte. Im übrigen vererbte ſich Evas Nacktheit, einmal errungen, auf beide Linien ihrer Kinder, — auch die Knaben wurden nackt. Man wird ſich denken müſſen, daß auch die Urjungfrauen ſchließlich den Geſchmack geteilt und mehr oder minder enthaarte männliche Weſen ebenfalls bevorzugt haben. Noch heute hat der Neu-Seeländer ein Sprichwort: „Für den haarigen Mann giebt's keine Frau.“ Jedenfalls hat ein Anpaſſungshemmnis wie bei den Paradiesvögeln nicht mitgeſprochen, und ſo iſt endlich der nackte Menſch in beiderlei Geſchlecht übrig geblieben, — ein Geſchenk der eigenſinnig wählenden Liebe.
Für uns hat dieſe Vorſtellung ja etwas ſo ungemein Verführeriſches. Rein vom Liebesboden aus iſt uns bekleideten Kulturmenſchen das nackte Weib auf alle Fälle das erotiſch aufregendere. Es iſt an ſich das zur Liebe entkleidete Weib. Ein Tierpelz iſt aber nichts anderes, als ein auf dem Körper feſtgewachſenes Kleid. Enthaaren hieß dieſes Kleid bannen, hieß das erotiſche Weib überhaupt zum erſten Mal befreien.
Was aber das rein Äſthetiſche dabei betrifft, ſo ſcheint uns die Sache noch ſelbſtverſtändlicher. Denke dir doch die kapitoliniſche Venus oder die mediceiſche oder das ſchöne Frag¬ ment von Syrakus in ganzer Länge in krauſe Zottelwolle ver¬ packt. Die Linie ſtirbt dabei, die herrliche Kunſtlinie dieſer Schultern, Brüſte, Schenkel, gerade das, was der Marmor ſo wunderbar herausbringt. Vergeſſen wir nicht, daß vor allem die Rückſeite des Weibes zu den entzückendſten Kunſtgebilden
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entblößt worden um der Farben willen, ſondern weil die Nackt¬
heit ſelber den Liebenden Freude gemacht habe. Das Weib
ſei es geweſen, das zunächſt vom Manne gleichſam mit den
Augen ausgezogen wurde. Nicht ein buntes, ſondern einfach
ein möglichſt haarloſes Weib wurde im Geſchmack der Männer
Trumpf. Wenn der Urmenſchenmann auf die Brautſchau zog,
ſo gefiel ihm allemal am beſten die am ſchwächſten behaarte
Jungfrau. Noch heute iſt darum das ſchwächere Geſchlecht
auch das ſchwächer behaarte. Im übrigen vererbte ſich Evas
Nacktheit, einmal errungen, auf beide Linien ihrer Kinder, —
auch die Knaben wurden nackt. Man wird ſich denken müſſen,
daß auch die Urjungfrauen ſchließlich den Geſchmack geteilt und
mehr oder minder enthaarte männliche Weſen ebenfalls bevorzugt
haben. Noch heute hat der Neu-Seeländer ein Sprichwort:
„Für den haarigen Mann giebt's keine Frau.“ Jedenfalls
hat ein Anpaſſungshemmnis wie bei den Paradiesvögeln nicht
mitgeſprochen, und ſo iſt endlich der nackte Menſch in beiderlei
Geſchlecht übrig geblieben, — ein Geſchenk der eigenſinnig
wählenden Liebe.
Für uns hat dieſe Vorſtellung ja etwas ſo ungemein
Verführeriſches. Rein vom Liebesboden aus iſt uns bekleideten
Kulturmenſchen das nackte Weib auf alle Fälle das erotiſch
aufregendere. Es iſt an ſich das zur Liebe entkleidete Weib.
Ein Tierpelz iſt aber nichts anderes, als ein auf dem Körper
feſtgewachſenes Kleid. Enthaaren hieß dieſes Kleid bannen,
hieß das erotiſche Weib überhaupt zum erſten Mal befreien.
Was aber das rein Äſthetiſche dabei betrifft, ſo ſcheint
uns die Sache noch ſelbſtverſtändlicher. Denke dir doch die
kapitoliniſche Venus oder die mediceiſche oder das ſchöne Frag¬
ment von Syrakus in ganzer Länge in krauſe Zottelwolle ver¬
packt. Die Linie ſtirbt dabei, die herrliche Kunſtlinie dieſer
Schultern, Brüſte, Schenkel, gerade das, was der Marmor ſo
wunderbar herausbringt. Vergeſſen wir nicht, daß vor allem
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/48>, abgerufen am 26.11.2024.
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