uns gegeben. Auch das "Nichts" selber nicht. Seit es uns endlich gelungen ist, auch den Menschen seiner gesamten Her¬ kunft nach in die Kette der übrigen Natur einzuordnen, ist der Naturbegriff jetzt wirklich ein Universalbegriff geworden. Er umspannt das "Ganze", von unserer Kultur bis zum fernsten Nebelfleck. Was ist, ist in ihm. Ein solcher Begriff leidet kein "Dahinter" mehr. Es kann kein Gott, kein Himmel, kein Nirwana mehr "dahinter" sein als Zweites, als Gegensatz. Eine Aufhebung dieser Natur, dieses Natur-Willens, um das Schopenhauersche Wort zu gebrauchen, ist im Begriff selber einfach ausgeschlossen. Ist diese Natur von Grund an schlecht, so müssen wir jedenfalls so mit ihr leben.
Das hat denn auch die zweite Sorte Pessimismus, die überhaupt unserem Denken in den Voraussetzungen wenigstens viel näher steht, richtig eingesehen. Sie sperrte uns wenigstens resolut in diese Welt ein als in das Unvermeidliche. Fragt sich bloß, ob diese Welt, diese Natur jetzt notwendig so auf¬ gefaßt werden muß, wie auch dieser zweite Pessimismus thut.
Das erste, was ich von diesem Pessimismus verlange, ist, daß er mir nicht einreden will, bereits alles zu wissen.
Ich bin ein Todfeind des albernen, gerade aus dem Dünkel solcher Allwissenheit selber geborenen Ignorabimus. Ich sehe kein Ende intellektueller Entwickelung in der Welt und vermesse mich also nicht, hier irgendeine Grenze zu stecken. Aber was ich sehe, das ist das Fragmentarische unseres Wissens. Wir sind in der Natur, mit Goethes Wort, noch umgeben von Geheimnissen. Wirf einen Blick auf die Sterne dort und denke, daß das so weiter geht, leuchtende Welten durch den Raum, immer weiter. Schau diesem Staubteilchen nach, das vor der roten Ampel tanzt, und sage dir, daß es keine räum¬ liche Grenze im Stoff nach Innen giebt, sondern auch da nur immer neue Welten, neue Geheimnisse ins immer Kleinere hinein. Ich verlange von jeder Weltanschauung, die mit dem wirklichen Begriff Natur arbeitet, Achtung vor diesem überall
uns gegeben. Auch das „Nichts“ ſelber nicht. Seit es uns endlich gelungen iſt, auch den Menſchen ſeiner geſamten Her¬ kunft nach in die Kette der übrigen Natur einzuordnen, iſt der Naturbegriff jetzt wirklich ein Univerſalbegriff geworden. Er umſpannt das „Ganze“, von unſerer Kultur bis zum fernſten Nebelfleck. Was iſt, iſt in ihm. Ein ſolcher Begriff leidet kein „Dahinter“ mehr. Es kann kein Gott, kein Himmel, kein Nirwana mehr „dahinter“ ſein als Zweites, als Gegenſatz. Eine Aufhebung dieſer Natur, dieſes Natur-Willens, um das Schopenhauerſche Wort zu gebrauchen, iſt im Begriff ſelber einfach ausgeſchloſſen. Iſt dieſe Natur von Grund an ſchlecht, ſo müſſen wir jedenfalls ſo mit ihr leben.
Das hat denn auch die zweite Sorte Peſſimismus, die überhaupt unſerem Denken in den Vorausſetzungen wenigſtens viel näher ſteht, richtig eingeſehen. Sie ſperrte uns wenigſtens reſolut in dieſe Welt ein als in das Unvermeidliche. Fragt ſich bloß, ob dieſe Welt, dieſe Natur jetzt notwendig ſo auf¬ gefaßt werden muß, wie auch dieſer zweite Peſſimismus thut.
Das erſte, was ich von dieſem Peſſimismus verlange, iſt, daß er mir nicht einreden will, bereits alles zu wiſſen.
Ich bin ein Todfeind des albernen, gerade aus dem Dünkel ſolcher Allwiſſenheit ſelber geborenen Ignorabimus. Ich ſehe kein Ende intellektueller Entwickelung in der Welt und vermeſſe mich alſo nicht, hier irgendeine Grenze zu ſtecken. Aber was ich ſehe, das iſt das Fragmentariſche unſeres Wiſſens. Wir ſind in der Natur, mit Goethes Wort, noch umgeben von Geheimniſſen. Wirf einen Blick auf die Sterne dort und denke, daß das ſo weiter geht, leuchtende Welten durch den Raum, immer weiter. Schau dieſem Staubteilchen nach, das vor der roten Ampel tanzt, und ſage dir, daß es keine räum¬ liche Grenze im Stoff nach Innen giebt, ſondern auch da nur immer neue Welten, neue Geheimniſſe ins immer Kleinere hinein. Ich verlange von jeder Weltanſchauung, die mit dem wirklichen Begriff Natur arbeitet, Achtung vor dieſem überall
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uns gegeben. Auch das „Nichts“ ſelber nicht. Seit es uns
endlich gelungen iſt, auch den Menſchen ſeiner geſamten Her¬
kunft nach in die Kette der übrigen Natur einzuordnen, iſt der
Naturbegriff jetzt wirklich ein Univerſalbegriff geworden. Er
umſpannt das „Ganze“, von unſerer Kultur bis zum fernſten
Nebelfleck. Was iſt, iſt in ihm. Ein ſolcher Begriff leidet
kein „Dahinter“ mehr. Es kann kein Gott, kein Himmel, kein
Nirwana mehr „dahinter“ ſein als Zweites, als Gegenſatz.
Eine Aufhebung dieſer Natur, dieſes Natur-Willens, um das
Schopenhauerſche Wort zu gebrauchen, iſt im Begriff ſelber
einfach ausgeſchloſſen. Iſt dieſe Natur von Grund an ſchlecht,
ſo müſſen wir jedenfalls ſo mit ihr leben.
Das hat denn auch die zweite Sorte Peſſimismus, die
überhaupt unſerem Denken in den Vorausſetzungen wenigſtens
viel näher ſteht, richtig eingeſehen. Sie ſperrte uns wenigſtens
reſolut in dieſe Welt ein als in das Unvermeidliche. Fragt
ſich bloß, ob dieſe Welt, dieſe Natur jetzt notwendig ſo auf¬
gefaßt werden muß, wie auch dieſer zweite Peſſimismus thut.
Das erſte, was ich von dieſem Peſſimismus verlange, iſt,
daß er mir nicht einreden will, bereits alles zu wiſſen.
Ich bin ein Todfeind des albernen, gerade aus dem Dünkel
ſolcher Allwiſſenheit ſelber geborenen Ignorabimus. Ich ſehe
kein Ende intellektueller Entwickelung in der Welt und vermeſſe
mich alſo nicht, hier irgendeine Grenze zu ſtecken. Aber was
ich ſehe, das iſt das Fragmentariſche unſeres Wiſſens. Wir
ſind in der Natur, mit Goethes Wort, noch umgeben von
Geheimniſſen. Wirf einen Blick auf die Sterne dort und
denke, daß das ſo weiter geht, leuchtende Welten durch den
Raum, immer weiter. Schau dieſem Staubteilchen nach, das
vor der roten Ampel tanzt, und ſage dir, daß es keine räum¬
liche Grenze im Stoff nach Innen giebt, ſondern auch da nur
immer neue Welten, neue Geheimniſſe ins immer Kleinere
hinein. Ich verlange von jeder Weltanſchauung, die mit dem
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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