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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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das ewige Chaos zurück. Der Mensch, den ich zeuge, wird
einzeln in Schmerzen hinleben, und als Menschheitsfaktor wird
er nur mitweben an einem großen Schmerzgewebe ohne Sinn
und Erlösung.

Gewiß, ich kann mich von der Liebe im Moment fort¬
reißen lassen, kann zeugen um des bißchens Wollust willen,
falls es notwendig denn eine Zeugung sein muß, um zu der
zu kommen: das ist so, wie wenn der Pessimist jener andern
Sorte sich doch einmal vom Teufel verführen läßt. Ich mache
mir ja über den Teufel keinen Skrupel. Aber wenn ich mit
der Sache fertig bin, werde ich doch alles eher haben, als eine
sittlich große Stimmung. Gerade aber diese sittliche Stimmung
ist es, die die Liebe des echten, denkenden Menschen im Sinne
unseres ganzen Gesprächs auszeichnen sollte. Es ist das A und O
unserer gesamten Betrachtung gewesen, daß auch die körperlichen
Liebesdinge zuletzt alle verklärt werden sollten in etwas geistig
Reines, etwas durch und durch Sittliches. Das fällt nun hier
unabänderlich ab. Die Liebe bleibt eine Art Besoffenheits-
Überrumpelung, wie wenn ich nach einer Flasche Portwein
mir ein beliebiges dreckiges Straßenmädel suche, dessen Namen
ich nicht einmal kenne. Es kommt die Stunde, wo einem das
doch über wird, -- wenn es "alles" sein soll. Auch dieser Pessi¬
mismus schlägt die Liebe innerlich tot, ohne Scheiterhaufen,
aber nur desto sicherer. Er bedeutet eine geistige Kastration,
die im Geistmenschen schwerer wiegt als die That des armen
Asketen in der Wüste, der sich sein Glied abschneidet.

[Abbildung]

So spitzt sich die große Liebesfrage endlich doch auf eine
Entscheidung zu, vor der du wählen mußt.

Wenn der Glaube deines Lebens nach einer dieser beiden
pessimistischen Seiten geht, so klappe das Buch der Liebe hier
zu. Eine weltgeschichtliche Giftblüte war dann diese ganze

das ewige Chaos zurück. Der Menſch, den ich zeuge, wird
einzeln in Schmerzen hinleben, und als Menſchheitsfaktor wird
er nur mitweben an einem großen Schmerzgewebe ohne Sinn
und Erlöſung.

Gewiß, ich kann mich von der Liebe im Moment fort¬
reißen laſſen, kann zeugen um des bißchens Wolluſt willen,
falls es notwendig denn eine Zeugung ſein muß, um zu der
zu kommen: das iſt ſo, wie wenn der Peſſimiſt jener andern
Sorte ſich doch einmal vom Teufel verführen läßt. Ich mache
mir ja über den Teufel keinen Skrupel. Aber wenn ich mit
der Sache fertig bin, werde ich doch alles eher haben, als eine
ſittlich große Stimmung. Gerade aber dieſe ſittliche Stimmung
iſt es, die die Liebe des echten, denkenden Menſchen im Sinne
unſeres ganzen Geſprächs auszeichnen ſollte. Es iſt das A und O
unſerer geſamten Betrachtung geweſen, daß auch die körperlichen
Liebesdinge zuletzt alle verklärt werden ſollten in etwas geiſtig
Reines, etwas durch und durch Sittliches. Das fällt nun hier
unabänderlich ab. Die Liebe bleibt eine Art Beſoffenheits-
Überrumpelung, wie wenn ich nach einer Flaſche Portwein
mir ein beliebiges dreckiges Straßenmädel ſuche, deſſen Namen
ich nicht einmal kenne. Es kommt die Stunde, wo einem das
doch über wird, — wenn es „alles“ ſein ſoll. Auch dieſer Peſſi¬
mismus ſchlägt die Liebe innerlich tot, ohne Scheiterhaufen,
aber nur deſto ſicherer. Er bedeutet eine geiſtige Kaſtration,
die im Geiſtmenſchen ſchwerer wiegt als die That des armen
Asketen in der Wüſte, der ſich ſein Glied abſchneidet.

[Abbildung]

So ſpitzt ſich die große Liebesfrage endlich doch auf eine
Entſcheidung zu, vor der du wählen mußt.

Wenn der Glaube deines Lebens nach einer dieſer beiden
peſſimiſtiſchen Seiten geht, ſo klappe das Buch der Liebe hier
zu. Eine weltgeſchichtliche Giftblüte war dann dieſe ganze

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[362/0376] das ewige Chaos zurück. Der Menſch, den ich zeuge, wird einzeln in Schmerzen hinleben, und als Menſchheitsfaktor wird er nur mitweben an einem großen Schmerzgewebe ohne Sinn und Erlöſung. Gewiß, ich kann mich von der Liebe im Moment fort¬ reißen laſſen, kann zeugen um des bißchens Wolluſt willen, falls es notwendig denn eine Zeugung ſein muß, um zu der zu kommen: das iſt ſo, wie wenn der Peſſimiſt jener andern Sorte ſich doch einmal vom Teufel verführen läßt. Ich mache mir ja über den Teufel keinen Skrupel. Aber wenn ich mit der Sache fertig bin, werde ich doch alles eher haben, als eine ſittlich große Stimmung. Gerade aber dieſe ſittliche Stimmung iſt es, die die Liebe des echten, denkenden Menſchen im Sinne unſeres ganzen Geſprächs auszeichnen ſollte. Es iſt das A und O unſerer geſamten Betrachtung geweſen, daß auch die körperlichen Liebesdinge zuletzt alle verklärt werden ſollten in etwas geiſtig Reines, etwas durch und durch Sittliches. Das fällt nun hier unabänderlich ab. Die Liebe bleibt eine Art Beſoffenheits- Überrumpelung, wie wenn ich nach einer Flaſche Portwein mir ein beliebiges dreckiges Straßenmädel ſuche, deſſen Namen ich nicht einmal kenne. Es kommt die Stunde, wo einem das doch über wird, — wenn es „alles“ ſein ſoll. Auch dieſer Peſſi¬ mismus ſchlägt die Liebe innerlich tot, ohne Scheiterhaufen, aber nur deſto ſicherer. Er bedeutet eine geiſtige Kaſtration, die im Geiſtmenſchen ſchwerer wiegt als die That des armen Asketen in der Wüſte, der ſich ſein Glied abſchneidet. [Abbildung] So ſpitzt ſich die große Liebesfrage endlich doch auf eine Entſcheidung zu, vor der du wählen mußt. Wenn der Glaube deines Lebens nach einer dieſer beiden peſſimiſtiſchen Seiten geht, ſo klappe das Buch der Liebe hier zu. Eine weltgeſchichtliche Giftblüte war dann dieſe ganze

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/376>, abgerufen am 21.11.2024.