etwa eine (ebenfalls zufällige) Konstellation der Dinge an einer Weltecke, die sich in "ewiger Wiederkehr des Gleichen" äußerte. Also etwa der Zusammensturz unseres Sonnensystems, der Absturz aller toten Planeten in die erkaltete Sonne könnte diesem toten Materiehaufen den Uranstoß wieder geben, der ihn neu zum Ur-Gasball werden ließe, der abermals eine Glutsonne mit Planeten aus sich gebiert. Das frühere Spiel wiederholte sich bis in jede Einzelheit, mit unabänderlich gleichem Ausgang. Das scheinbare Spiel ständiger Fort¬ entwickelung löste sich auf in eine "Rad-Theorie", bei der in bestimmten Zeiten alles ewig genau so wiederkehrt, mit aller Qual des Werdens und des Sterbens -- und das in alle Ewigkeit fort, ohne irgend eine Möglichkeit wirklicher Steigerung.
Die Stellungnahme dieses absoluten Pessimismus zur zeugenden, weltschaffenden Liebe ist zunächst eine ganz in¬ differente. Es fehlt der fanatische Haß gegen die Liebe, der drüben waltete -- denn es fehlt eben die letzte Hoffnung, an den Dingen noch etwas ändern zu können; Haß verlangt immer Hoffnung als Hintergrund; wo sie völlig fehlt, tritt Resignation ein. Die erste Stufe jenes Pessimismus vor der Liebe ist denn auch Resignation. Ob mit, ob ohne Liebe: es führt doch alles in das gleiche sinnlose Spiel zurück. Wie der alte Hauderer in Anzengrubers tiefernstem Lustspiel sagt, als sie ihm melden, das Liebespaar habe sich umgebracht: "s' is a Dummheit"; und als er dann hört, sie seien in Wahrheit auf die Alm gefahren und hätten dort ganz alleine Hochzeit gemacht, da sagt er nach einigem Besinnen: "s' is auch a Dummheit."
Aus diesem resignierten Indifferentismus ergiebt sich aber doch gerade bei denkenden, sittlich ernsten Menschen notwendig eine noch weitere Folgerung. Es ist auch von diesem Pessi¬ mismus aus doch schließlich kein sittlicher Grund mehr ein¬ zusehen für die Erzeugung eines neuen Menschen. Individuum wie Menschheit führen in das gleiche graue Jammerthal, in
etwa eine (ebenfalls zufällige) Konſtellation der Dinge an einer Weltecke, die ſich in „ewiger Wiederkehr des Gleichen“ äußerte. Alſo etwa der Zuſammenſturz unſeres Sonnenſyſtems, der Abſturz aller toten Planeten in die erkaltete Sonne könnte dieſem toten Materiehaufen den Uranſtoß wieder geben, der ihn neu zum Ur-Gasball werden ließe, der abermals eine Glutſonne mit Planeten aus ſich gebiert. Das frühere Spiel wiederholte ſich bis in jede Einzelheit, mit unabänderlich gleichem Ausgang. Das ſcheinbare Spiel ſtändiger Fort¬ entwickelung löſte ſich auf in eine „Rad-Theorie“, bei der in beſtimmten Zeiten alles ewig genau ſo wiederkehrt, mit aller Qual des Werdens und des Sterbens — und das in alle Ewigkeit fort, ohne irgend eine Möglichkeit wirklicher Steigerung.
Die Stellungnahme dieſes abſoluten Peſſimismus zur zeugenden, weltſchaffenden Liebe iſt zunächſt eine ganz in¬ differente. Es fehlt der fanatiſche Haß gegen die Liebe, der drüben waltete — denn es fehlt eben die letzte Hoffnung, an den Dingen noch etwas ändern zu können; Haß verlangt immer Hoffnung als Hintergrund; wo ſie völlig fehlt, tritt Reſignation ein. Die erſte Stufe jenes Peſſimismus vor der Liebe iſt denn auch Reſignation. Ob mit, ob ohne Liebe: es führt doch alles in das gleiche ſinnloſe Spiel zurück. Wie der alte Hauderer in Anzengrubers tiefernſtem Luſtſpiel ſagt, als ſie ihm melden, das Liebespaar habe ſich umgebracht: „s' is a Dummheit“; und als er dann hört, ſie ſeien in Wahrheit auf die Alm gefahren und hätten dort ganz alleine Hochzeit gemacht, da ſagt er nach einigem Beſinnen: „s' is auch a Dummheit.“
Aus dieſem reſignierten Indifferentismus ergiebt ſich aber doch gerade bei denkenden, ſittlich ernſten Menſchen notwendig eine noch weitere Folgerung. Es iſt auch von dieſem Peſſi¬ mismus aus doch ſchließlich kein ſittlicher Grund mehr ein¬ zuſehen für die Erzeugung eines neuen Menſchen. Individuum wie Menſchheit führen in das gleiche graue Jammerthal, in
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etwa eine (ebenfalls zufällige) Konſtellation der Dinge an einer
Weltecke, die ſich in „ewiger Wiederkehr des Gleichen“ äußerte.
Alſo etwa der Zuſammenſturz unſeres Sonnenſyſtems, der
Abſturz aller toten Planeten in die erkaltete Sonne könnte
dieſem toten Materiehaufen den Uranſtoß wieder geben, der
ihn neu zum Ur-Gasball werden ließe, der abermals eine
Glutſonne mit Planeten aus ſich gebiert. Das frühere Spiel
wiederholte ſich bis in jede Einzelheit, mit unabänderlich
gleichem Ausgang. Das ſcheinbare Spiel ſtändiger Fort¬
entwickelung löſte ſich auf in eine „Rad-Theorie“, bei der in
beſtimmten Zeiten alles ewig genau ſo wiederkehrt, mit aller
Qual des Werdens und des Sterbens — und das in alle
Ewigkeit fort, ohne irgend eine Möglichkeit wirklicher Steigerung.
Die Stellungnahme dieſes abſoluten Peſſimismus zur
zeugenden, weltſchaffenden Liebe iſt zunächſt eine ganz in¬
differente. Es fehlt der fanatiſche Haß gegen die Liebe, der
drüben waltete — denn es fehlt eben die letzte Hoffnung, an
den Dingen noch etwas ändern zu können; Haß verlangt
immer Hoffnung als Hintergrund; wo ſie völlig fehlt, tritt
Reſignation ein. Die erſte Stufe jenes Peſſimismus vor der
Liebe iſt denn auch Reſignation. Ob mit, ob ohne Liebe: es
führt doch alles in das gleiche ſinnloſe Spiel zurück. Wie
der alte Hauderer in Anzengrubers tiefernſtem Luſtſpiel ſagt,
als ſie ihm melden, das Liebespaar habe ſich umgebracht:
„s' is a Dummheit“; und als er dann hört, ſie ſeien in
Wahrheit auf die Alm gefahren und hätten dort ganz alleine
Hochzeit gemacht, da ſagt er nach einigem Beſinnen: „s' is
auch a Dummheit.“
Aus dieſem reſignierten Indifferentismus ergiebt ſich aber
doch gerade bei denkenden, ſittlich ernſten Menſchen notwendig
eine noch weitere Folgerung. Es iſt auch von dieſem Peſſi¬
mismus aus doch ſchließlich kein ſittlicher Grund mehr ein¬
zuſehen für die Erzeugung eines neuen Menſchen. Individuum
wie Menſchheit führen in das gleiche graue Jammerthal, in
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/375>, abgerufen am 21.11.2024.
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