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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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ihrem lichten Schein kriecht die unruhige "Muata" in ihr
"Häusl" zurück und die Leidende hat Ruh.

Aus solcher Idee denn wächst auch die Wallfahrt mit der
Votivkröte. "Hansens Bibergers Tochter", heißt es in einem
Wunderbericht, "hatte die Bärmutter die ganzen Tage ohne
Aufhören gebissen, bis sie sich mit einer wächsernen Bärmutter
allhier verlobt." Die Krötengestalt mag der Umriß des dicken
Organs mit seinen Hörnern veranlaßt haben, nachdem das
Tier einmal feststand.

Gespensterzug. Rascher und rascher wirbeln die Schatten,
daß die Übergänge verschwimmen.

Diese berückend schöne Teufelin hier ist Lilith. Eine
unendliche Folge wehklagender Mütter bezeichnet ihre Spur,
jede ein totes Kind im Arm. Schaurig rauscht die Hebräer-
Sage, aus Wollust und Tod gemischt. Mit Lilith, dem wilden
Waldgeist des Paradieses, hatte Adam gelebt, ehe Gott ihm
die Eva gab. Eva war die erste treue Ehefrau, Lilith ver¬
körpert noch die freie Geisterliebe. Als ihr Adam eines Tages
nicht mehr gefiel, ging sie ihm auf und davon, wohl sich mit
anderen Wesen ihres Urwaldes zu ergötzen. Aber Jehovah
wollte nicht, daß sein Adam allein sei. Drei Engel sausen
hinter Lilith her und stellen ihr eine grausige Wahl. Sie
soll zu Adam zurück -- oder jeden Tag ihres Lebens soll
sie hundert ihrer Kinder durch den Tod verlieren. Adam
muß dieser Titania des Paradieses wenig Freude gemacht
haben. Denn sie wählt das letztere. Aber schauerlich ist auch
so ihr Los. Wie diese Hekatomben um sie sinken, nimmt sie
eine furchtbare Rache: sie erwürgt kleine Menschenkinder der
Linie Adam-Eva. So ist sie der böse Geist der Wochenstube
bis heute. Nur die Namen jener drei Engel, die Jehovah
ihr nachsandte, Senoi, Sansenoi und Samangelof, retten vor
ihr, wenn der Jude ihre Namen auf einen Zettel schreibt und
ins Frauengemach hängt. Anderswo müssen sechs Männer
aus der Synagoge am Bett der Mutter beten. Ein Kreide¬

ihrem lichten Schein kriecht die unruhige „Muata“ in ihr
„Häusl“ zurück und die Leidende hat Ruh.

Aus ſolcher Idee denn wächſt auch die Wallfahrt mit der
Votivkröte. „Hanſens Bibergers Tochter“, heißt es in einem
Wunderbericht, „hatte die Bärmutter die ganzen Tage ohne
Aufhören gebiſſen, bis ſie ſich mit einer wächſernen Bärmutter
allhier verlobt.“ Die Krötengeſtalt mag der Umriß des dicken
Organs mit ſeinen Hörnern veranlaßt haben, nachdem das
Tier einmal feſtſtand.

Geſpenſterzug. Raſcher und raſcher wirbeln die Schatten,
daß die Übergänge verſchwimmen.

Dieſe berückend ſchöne Teufelin hier iſt Lilith. Eine
unendliche Folge wehklagender Mütter bezeichnet ihre Spur,
jede ein totes Kind im Arm. Schaurig rauſcht die Hebräer-
Sage, aus Wolluſt und Tod gemiſcht. Mit Lilith, dem wilden
Waldgeiſt des Paradieſes, hatte Adam gelebt, ehe Gott ihm
die Eva gab. Eva war die erſte treue Ehefrau, Lilith ver¬
körpert noch die freie Geiſterliebe. Als ihr Adam eines Tages
nicht mehr gefiel, ging ſie ihm auf und davon, wohl ſich mit
anderen Weſen ihres Urwaldes zu ergötzen. Aber Jehovah
wollte nicht, daß ſein Adam allein ſei. Drei Engel ſauſen
hinter Lilith her und ſtellen ihr eine grauſige Wahl. Sie
ſoll zu Adam zurück — oder jeden Tag ihres Lebens ſoll
ſie hundert ihrer Kinder durch den Tod verlieren. Adam
muß dieſer Titania des Paradieſes wenig Freude gemacht
haben. Denn ſie wählt das letztere. Aber ſchauerlich iſt auch
ſo ihr Los. Wie dieſe Hekatomben um ſie ſinken, nimmt ſie
eine furchtbare Rache: ſie erwürgt kleine Menſchenkinder der
Linie Adam-Eva. So iſt ſie der böſe Geiſt der Wochenſtube
bis heute. Nur die Namen jener drei Engel, die Jehovah
ihr nachſandte, Senoi, Sanſenoi und Samangelof, retten vor
ihr, wenn der Jude ihre Namen auf einen Zettel ſchreibt und
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[327/0341] ihrem lichten Schein kriecht die unruhige „Muata“ in ihr „Häusl“ zurück und die Leidende hat Ruh. Aus ſolcher Idee denn wächſt auch die Wallfahrt mit der Votivkröte. „Hanſens Bibergers Tochter“, heißt es in einem Wunderbericht, „hatte die Bärmutter die ganzen Tage ohne Aufhören gebiſſen, bis ſie ſich mit einer wächſernen Bärmutter allhier verlobt.“ Die Krötengeſtalt mag der Umriß des dicken Organs mit ſeinen Hörnern veranlaßt haben, nachdem das Tier einmal feſtſtand. Geſpenſterzug. Raſcher und raſcher wirbeln die Schatten, daß die Übergänge verſchwimmen. Dieſe berückend ſchöne Teufelin hier iſt Lilith. Eine unendliche Folge wehklagender Mütter bezeichnet ihre Spur, jede ein totes Kind im Arm. Schaurig rauſcht die Hebräer- Sage, aus Wolluſt und Tod gemiſcht. Mit Lilith, dem wilden Waldgeiſt des Paradieſes, hatte Adam gelebt, ehe Gott ihm die Eva gab. Eva war die erſte treue Ehefrau, Lilith ver¬ körpert noch die freie Geiſterliebe. Als ihr Adam eines Tages nicht mehr gefiel, ging ſie ihm auf und davon, wohl ſich mit anderen Weſen ihres Urwaldes zu ergötzen. Aber Jehovah wollte nicht, daß ſein Adam allein ſei. Drei Engel ſauſen hinter Lilith her und ſtellen ihr eine grauſige Wahl. Sie ſoll zu Adam zurück — oder jeden Tag ihres Lebens ſoll ſie hundert ihrer Kinder durch den Tod verlieren. Adam muß dieſer Titania des Paradieſes wenig Freude gemacht haben. Denn ſie wählt das letztere. Aber ſchauerlich iſt auch ſo ihr Los. Wie dieſe Hekatomben um ſie ſinken, nimmt ſie eine furchtbare Rache: ſie erwürgt kleine Menſchenkinder der Linie Adam-Eva. So iſt ſie der böſe Geiſt der Wochenſtube bis heute. Nur die Namen jener drei Engel, die Jehovah ihr nachſandte, Senoi, Sanſenoi und Samangelof, retten vor ihr, wenn der Jude ihre Namen auf einen Zettel ſchreibt und ins Frauengemach hängt. Anderswo müſſen ſechs Männer aus der Synagoge am Bett der Mutter beten. Ein Kreide¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/341>, abgerufen am 25.11.2024.