Aber diese Erinnerungssaat beginnt auch ebenso geheimnis¬ voll von selbst wieder zu verkümmern, noch ehe der erste offene Lichtstrahl sie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der Geburt bist, desto weniger von diesem härenen Urkleide deiner Lebenspilgerschaft bringst du dabei mit zu Tage. Gegen den siebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel es zunehmend wieder ab. Am spätesten vielfach noch hält sich das lange Schulterhaar. Dann bist du "da", und nun hebt eine erst recht geheimnisvolle Haarerneuerung an.
Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes scheint der erste Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu beginnen. Wieder schießen als erste Spargelzucht die Brauen, Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber seltsame Neuerung plötzlich: der Rest kommt diesmal nicht mit, der gesamte übrige Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne langen, grob sichtbaren Pelz, -- er sticht fortan gegen diese Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare als "nackt" ab.
Fortan, -- das heißt für eine gewisse Reihe von Jahren. Denn zu Ende ist die Kette dieser haarigen Geheimnisse noch immer nicht. Jahre rinnen. Da wirst du -- ob Mann, ob Weib -- liebesreif. Und nun auf einmal ist es, als komme in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich noch ein Zug, als wollten sie sich aufrappeln und den ur¬ sprünglichen Pelz im Ganzen wiederherstellen. Hier, dort be¬ ginnt es zu sprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den Achseln und über den Geschlechtsteilen. Wer erinnert sich nicht kindlicher Nöte, kindlicher Besorgnisse beim Auftreten dieses späten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menschen¬ seele, der es -- wie so oft -- an freundlich lächelnder Be¬ lehrung fehlte, hat den Schreck auskosten müssen, es erobere sie von diesen verborgensten Stellen aus eine unheimliche Tier¬ heit, die sie am Ende ganz zur Mißgestalt erniedrigen und aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließen werde. Trat
2*
Aber dieſe Erinnerungsſaat beginnt auch ebenſo geheimnis¬ voll von ſelbſt wieder zu verkümmern, noch ehe der erſte offene Lichtſtrahl ſie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der Geburt biſt, deſto weniger von dieſem härenen Urkleide deiner Lebenspilgerſchaft bringſt du dabei mit zu Tage. Gegen den ſiebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel es zunehmend wieder ab. Am ſpäteſten vielfach noch hält ſich das lange Schulterhaar. Dann biſt du „da“, und nun hebt eine erſt recht geheimnisvolle Haarerneuerung an.
Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes ſcheint der erſte Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu beginnen. Wieder ſchießen als erſte Spargelzucht die Brauen, Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber ſeltſame Neuerung plötzlich: der Reſt kommt diesmal nicht mit, der geſamte übrige Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne langen, grob ſichtbaren Pelz, — er ſticht fortan gegen dieſe Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare als „nackt“ ab.
Fortan, — das heißt für eine gewiſſe Reihe von Jahren. Denn zu Ende iſt die Kette dieſer haarigen Geheimniſſe noch immer nicht. Jahre rinnen. Da wirſt du — ob Mann, ob Weib — liebesreif. Und nun auf einmal iſt es, als komme in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich noch ein Zug, als wollten ſie ſich aufrappeln und den ur¬ ſprünglichen Pelz im Ganzen wiederherſtellen. Hier, dort be¬ ginnt es zu ſprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den Achſeln und über den Geſchlechtsteilen. Wer erinnert ſich nicht kindlicher Nöte, kindlicher Beſorgniſſe beim Auftreten dieſes ſpäten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menſchen¬ ſeele, der es — wie ſo oft — an freundlich lächelnder Be¬ lehrung fehlte, hat den Schreck auskoſten müſſen, es erobere ſie von dieſen verborgenſten Stellen aus eine unheimliche Tier¬ heit, die ſie am Ende ganz zur Mißgeſtalt erniedrigen und aus der menſchlichen Gemeinſchaft ausſchließen werde. Trat
2*
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0033"n="19"/><p>Aber dieſe Erinnerungsſaat beginnt auch ebenſo geheimnis¬<lb/>
voll von ſelbſt wieder zu verkümmern, noch ehe der erſte offene<lb/>
Lichtſtrahl ſie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der<lb/>
Geburt biſt, deſto weniger von dieſem härenen Urkleide deiner<lb/>
Lebenspilgerſchaft bringſt du dabei mit zu Tage. Gegen den<lb/>ſiebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel<lb/>
es zunehmend wieder ab. Am ſpäteſten vielfach noch hält ſich<lb/>
das lange Schulterhaar. Dann biſt du „da“, und nun hebt<lb/>
eine erſt recht geheimnisvolle Haarerneuerung an.</p><lb/><p>Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes ſcheint<lb/>
der erſte Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu<lb/>
beginnen. Wieder ſchießen als erſte Spargelzucht die Brauen,<lb/>
Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber ſeltſame Neuerung<lb/>
plötzlich: der Reſt kommt diesmal nicht mit, der geſamte übrige<lb/>
Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne<lb/>
langen, grob ſichtbaren Pelz, — er ſticht fortan gegen dieſe<lb/>
Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare<lb/>
als „nackt“ ab.</p><lb/><p>Fortan, — das heißt für eine gewiſſe Reihe von Jahren.<lb/>
Denn zu Ende iſt die Kette dieſer haarigen Geheimniſſe noch<lb/>
immer nicht. Jahre rinnen. Da wirſt du — ob Mann, ob<lb/>
Weib — liebesreif. Und nun auf einmal iſt es, als komme<lb/>
in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich<lb/>
noch ein Zug, als wollten ſie ſich aufrappeln und den ur¬<lb/>ſprünglichen Pelz im Ganzen wiederherſtellen. Hier, dort be¬<lb/>
ginnt es zu ſprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den<lb/>
Achſeln und über den Geſchlechtsteilen. Wer erinnert ſich nicht<lb/>
kindlicher Nöte, kindlicher Beſorgniſſe beim Auftreten dieſes<lb/>ſpäten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menſchen¬<lb/>ſeele, der es — wie ſo oft — an freundlich lächelnder Be¬<lb/>
lehrung fehlte, hat den Schreck auskoſten müſſen, es erobere<lb/>ſie von dieſen verborgenſten Stellen aus eine unheimliche Tier¬<lb/>
heit, die ſie am Ende ganz zur Mißgeſtalt erniedrigen und<lb/>
aus der menſchlichen Gemeinſchaft ausſchließen werde. Trat<lb/><fwtype="sig"place="bottom">2*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[19/0033]
Aber dieſe Erinnerungsſaat beginnt auch ebenſo geheimnis¬
voll von ſelbſt wieder zu verkümmern, noch ehe der erſte offene
Lichtſtrahl ſie getroffen. Je reifer, lebensfähiger du bei der
Geburt biſt, deſto weniger von dieſem härenen Urkleide deiner
Lebenspilgerſchaft bringſt du dabei mit zu Tage. Gegen den
ſiebenten Monat war dein Pelzlein auf der Höhe. Dann fiel
es zunehmend wieder ab. Am ſpäteſten vielfach noch hält ſich
das lange Schulterhaar. Dann biſt du „da“, und nun hebt
eine erſt recht geheimnisvolle Haarerneuerung an.
Auf den Stoppeln des eingegangenen Dunkelfeldes ſcheint
der erſte Schuß noch einmal in der gleichen Reihenfolge zu
beginnen. Wieder ſchießen als erſte Spargelzucht die Brauen,
Wimpern und Kopfhaare lang ein. Aber ſeltſame Neuerung
plötzlich: der Reſt kommt diesmal nicht mit, der geſamte übrige
Leib bleibt jetzt im Freilicht des großen Erdentages ohne
langen, grob ſichtbaren Pelz, — er ſticht fortan gegen dieſe
Wimpern, Augenbrauen und vor allem die derben Kopfhaare
als „nackt“ ab.
Fortan, — das heißt für eine gewiſſe Reihe von Jahren.
Denn zu Ende iſt die Kette dieſer haarigen Geheimniſſe noch
immer nicht. Jahre rinnen. Da wirſt du — ob Mann, ob
Weib — liebesreif. Und nun auf einmal iſt es, als komme
in das große Beet deiner nackten Körperteile doch nachträglich
noch ein Zug, als wollten ſie ſich aufrappeln und den ur¬
ſprünglichen Pelz im Ganzen wiederherſtellen. Hier, dort be¬
ginnt es zu ſprießen. Bei Jungfrau wie Jüngling unter den
Achſeln und über den Geſchlechtsteilen. Wer erinnert ſich nicht
kindlicher Nöte, kindlicher Beſorgniſſe beim Auftreten dieſes
ſpäten, unerwarteten Phänomens. Wie manche arme Menſchen¬
ſeele, der es — wie ſo oft — an freundlich lächelnder Be¬
lehrung fehlte, hat den Schreck auskoſten müſſen, es erobere
ſie von dieſen verborgenſten Stellen aus eine unheimliche Tier¬
heit, die ſie am Ende ganz zur Mißgeſtalt erniedrigen und
aus der menſchlichen Gemeinſchaft ausſchließen werde. Trat
2*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/33>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.