Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen Individual-Imponderabilien, so kann auch sie niemals
ernstlich vom Sozialen verschlungen werden.

Sie hat aber meines Erachtens diesen Punkt.

Die Ehe als Ideal hat zwei Idealmomente in sich, die
das Individuelle im Innersten berühren.

Das Eine liegt in der individualisierten Liebeswahl; das
andere in der individualisierten Kindererziehung. Halte den
Gedankenfaden hier einmal ganz scharf durch, damit kein Mi߬
verständnis entsteht.

[Abbildung]

Zwei beliebige Wesen finden sich und zeugen miteinander
ein Kind. Das ist die einfache Grundlage, wie bei dem Sozi¬
alen erstes Arbeitsmaterial überhaupt geschaffen wird. Damit
die Sache glatt verlaufe in einer bösen Welt der Gefahren,
bilden die Eltern über die Zeugung hinaus eine Schutzgesell¬
schaft, schützen sich gegenseitig und schützen ihre Kinder. Das
bleibt ganz in jener Linie. Nachdem es aber eine Weile so
hergegangen, ist das Soziale allgemein erstarkt, die Enkel und
Urenkel haben große Genossenschaften gebildet, die fortan alle
Zeuger und Erzeugten als Gesellschaftsglieder tragen und
schützen, ohne daß die kleinen Schutzgesellschaften der Familie
noch not thäten. Das ist die Geschichte der Ehe, wo du gar
nicht
auf das Individuelle höheren Sinnes, wie ich es jetzt
meine, kommst. Folgerichtig muß sich bei dieser Definition
die Ehe ins Soziale restlos auflösen.

Nun aber eine andere Einstellung bei der Erzählung, und
es erscheint eine völlig neue Sachlage.

Ich gehe nicht von "zwei beliebigen" Wesen aus, sondern
zunächst nur von einem. Dieses eine aber ist ein ganz be¬
stimmtes Individuum mit jenem tiefen Wurzelwert des Persön¬

dieſen Individual-Imponderabilien, ſo kann auch ſie niemals
ernſtlich vom Sozialen verſchlungen werden.

Sie hat aber meines Erachtens dieſen Punkt.

Die Ehe als Ideal hat zwei Idealmomente in ſich, die
das Individuelle im Innerſten berühren.

Das Eine liegt in der individualiſierten Liebeswahl; das
andere in der individualiſierten Kindererziehung. Halte den
Gedankenfaden hier einmal ganz ſcharf durch, damit kein Mi߬
verſtändnis entſteht.

[Abbildung]

Zwei beliebige Weſen finden ſich und zeugen miteinander
ein Kind. Das iſt die einfache Grundlage, wie bei dem Sozi¬
alen erſtes Arbeitsmaterial überhaupt geſchaffen wird. Damit
die Sache glatt verlaufe in einer böſen Welt der Gefahren,
bilden die Eltern über die Zeugung hinaus eine Schutzgeſell¬
ſchaft, ſchützen ſich gegenſeitig und ſchützen ihre Kinder. Das
bleibt ganz in jener Linie. Nachdem es aber eine Weile ſo
hergegangen, iſt das Soziale allgemein erſtarkt, die Enkel und
Urenkel haben große Genoſſenſchaften gebildet, die fortan alle
Zeuger und Erzeugten als Geſellſchaftsglieder tragen und
ſchützen, ohne daß die kleinen Schutzgeſellſchaften der Familie
noch not thäten. Das iſt die Geſchichte der Ehe, wo du gar
nicht
auf das Individuelle höheren Sinnes, wie ich es jetzt
meine, kommſt. Folgerichtig muß ſich bei dieſer Definition
die Ehe ins Soziale reſtlos auflöſen.

Nun aber eine andere Einſtellung bei der Erzählung, und
es erſcheint eine völlig neue Sachlage.

Ich gehe nicht von „zwei beliebigen“ Weſen aus, ſondern
zunächſt nur von einem. Dieſes eine aber iſt ein ganz be¬
ſtimmtes Individuum mit jenem tiefen Wurzelwert des Perſön¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0312" n="298"/>
die&#x017F;en Individual-Imponderabilien, &#x017F;o kann auch &#x017F;ie niemals<lb/>
ern&#x017F;tlich vom Sozialen ver&#x017F;chlungen werden.</p><lb/>
        <p>Sie hat aber meines Erachtens die&#x017F;en Punkt.</p><lb/>
        <p>Die Ehe als Ideal hat zwei Idealmomente in &#x017F;ich, die<lb/>
das Individuelle im Inner&#x017F;ten berühren.</p><lb/>
        <p>Das Eine liegt in der individuali&#x017F;ierten Liebeswahl; das<lb/>
andere in der individuali&#x017F;ierten Kindererziehung. Halte den<lb/>
Gedankenfaden hier einmal ganz &#x017F;charf durch, damit kein Mi߬<lb/>
ver&#x017F;tändnis ent&#x017F;teht.</p><lb/>
        <figure/>
        <p>Zwei beliebige We&#x017F;en finden &#x017F;ich und zeugen miteinander<lb/>
ein Kind. Das i&#x017F;t die einfache Grundlage, wie bei dem Sozi¬<lb/>
alen er&#x017F;tes Arbeitsmaterial überhaupt ge&#x017F;chaffen wird. Damit<lb/>
die Sache glatt verlaufe in einer bö&#x017F;en Welt der Gefahren,<lb/>
bilden die Eltern über die Zeugung hinaus eine Schutzge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft, &#x017F;chützen &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig und &#x017F;chützen ihre Kinder. Das<lb/>
bleibt ganz in jener Linie. Nachdem es aber eine Weile &#x017F;o<lb/>
hergegangen, i&#x017F;t das Soziale allgemein er&#x017F;tarkt, die Enkel und<lb/>
Urenkel haben große Geno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften gebildet, die fortan alle<lb/>
Zeuger und Erzeugten als Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsglieder tragen und<lb/>
&#x017F;chützen, ohne daß die kleinen Schutzge&#x017F;ell&#x017F;chaften der Familie<lb/>
noch not thäten. Das i&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte der Ehe, wo du <hi rendition="#g">gar<lb/>
nicht</hi> auf das Individuelle höheren Sinnes, wie ich es jetzt<lb/>
meine, <hi rendition="#g">komm&#x017F;t</hi>. Folgerichtig <hi rendition="#g">muß</hi> &#x017F;ich bei die&#x017F;er Definition<lb/>
die Ehe ins Soziale re&#x017F;tlos auflö&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Nun aber eine andere Ein&#x017F;tellung bei der Erzählung, und<lb/>
es er&#x017F;cheint eine völlig neue Sachlage.</p><lb/>
        <p>Ich gehe nicht von &#x201E;zwei beliebigen&#x201C; We&#x017F;en aus, &#x017F;ondern<lb/>
zunäch&#x017F;t nur von einem. Die&#x017F;es eine aber i&#x017F;t ein ganz be¬<lb/>
&#x017F;timmtes Individuum mit jenem tiefen Wurzelwert des Per&#x017F;ön¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[298/0312] dieſen Individual-Imponderabilien, ſo kann auch ſie niemals ernſtlich vom Sozialen verſchlungen werden. Sie hat aber meines Erachtens dieſen Punkt. Die Ehe als Ideal hat zwei Idealmomente in ſich, die das Individuelle im Innerſten berühren. Das Eine liegt in der individualiſierten Liebeswahl; das andere in der individualiſierten Kindererziehung. Halte den Gedankenfaden hier einmal ganz ſcharf durch, damit kein Mi߬ verſtändnis entſteht. [Abbildung] Zwei beliebige Weſen finden ſich und zeugen miteinander ein Kind. Das iſt die einfache Grundlage, wie bei dem Sozi¬ alen erſtes Arbeitsmaterial überhaupt geſchaffen wird. Damit die Sache glatt verlaufe in einer böſen Welt der Gefahren, bilden die Eltern über die Zeugung hinaus eine Schutzgeſell¬ ſchaft, ſchützen ſich gegenſeitig und ſchützen ihre Kinder. Das bleibt ganz in jener Linie. Nachdem es aber eine Weile ſo hergegangen, iſt das Soziale allgemein erſtarkt, die Enkel und Urenkel haben große Genoſſenſchaften gebildet, die fortan alle Zeuger und Erzeugten als Geſellſchaftsglieder tragen und ſchützen, ohne daß die kleinen Schutzgeſellſchaften der Familie noch not thäten. Das iſt die Geſchichte der Ehe, wo du gar nicht auf das Individuelle höheren Sinnes, wie ich es jetzt meine, kommſt. Folgerichtig muß ſich bei dieſer Definition die Ehe ins Soziale reſtlos auflöſen. Nun aber eine andere Einſtellung bei der Erzählung, und es erſcheint eine völlig neue Sachlage. Ich gehe nicht von „zwei beliebigen“ Weſen aus, ſondern zunächſt nur von einem. Dieſes eine aber iſt ein ganz be¬ ſtimmtes Individuum mit jenem tiefen Wurzelwert des Perſön¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/312
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/312>, abgerufen am 22.11.2024.