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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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ausgeheckt worden. Es war endlich auch an sich nicht un¬
moralisch, unter Umständen die Lebenswelle zwecklos zu ver¬
schleudern, den Trieb auszuleben, ohne seinen tiefsten Sinn
zu erfüllen. Wo sollte die Kritik der Ehe hin, wenn sie
rigoros diese Forderung durchdrücken wollte, daß der erotische
Akt nur vollführt werden dürfe ausgesprochen zum Zeugungs¬
zweck und nach dieser Erfüllung jedesmal so und so lange
überhaupt nicht mehr. Hier kommen stärkere Naturdinge in
Betracht, als wir sind. Der Mensch ist uns von Anfang an
gegeben mit diesen seltsamen Thatsachen so langer Trag- und
Nährzeit beim Weibe -- und andererseits so fast permanenter
Brunstmöglichkeit viele Jahre lang. Das sind Thatsachen, an
denen einstweilen nichts rüttelte, mit ihnen mußte die Mensch¬
heit als oberster Reallogik sich auseinandersetzen, so gut es
ging. Vergiß auch nicht, daß gerade die streng monogamische
Dauerehe nur möglich war mit dieser Voraussetzung zahl¬
loser Akte, von denen feststand, daß sie im Sinne wirklicher
Zeugung sinnlos waren, beispielsweise während der Schwanger¬
schaft der Frau. In der Polygamie konnte der Mann, dessen
Liebesbereitschaft ohne größere selbstgesetzte Pausen viele Jahre
fortdauerte, die Frauen je nachdem wechseln, theoretisch, wenn es
not gethan hätte, 365 mal im Jahr, und theoretisch jedesmal
zu echtem Zeugungsakt. Mit einer Frau dauernd leben, er¬
forderte aber auf diese Ziffer ungezählte Kompromisse. Von
den Wünschen der Frau selbst ganz zu schweigen, deren ero¬
tischer Trieb ihr ebenfalls durchaus nicht so überkommen ist,
daß er etwa auf zwei Jahre Schwangerschaft und Nähren
mit einem einzigen Konzeptionsakt, zufrieden wäre. Womit sich
dann noch jene ärztlichen Gesichtspunkte einten, die unter
bestimmten gesundheitlichen Voraussetzungen überhaupt die Kon¬
zeption individuell lieber ausschlossen, ohne doch in diesen
Individuen den erotischen Trieb selber mit einer Fischblase
oder einem Pessarium absperren zu können.

Eine ganze Kette widerwärtiger Erscheinungen des Prosti¬

ausgeheckt worden. Es war endlich auch an ſich nicht un¬
moraliſch, unter Umſtänden die Lebenswelle zwecklos zu ver¬
ſchleudern, den Trieb auszuleben, ohne ſeinen tiefſten Sinn
zu erfüllen. Wo ſollte die Kritik der Ehe hin, wenn ſie
rigoros dieſe Forderung durchdrücken wollte, daß der erotiſche
Akt nur vollführt werden dürfe ausgeſprochen zum Zeugungs¬
zweck und nach dieſer Erfüllung jedesmal ſo und ſo lange
überhaupt nicht mehr. Hier kommen ſtärkere Naturdinge in
Betracht, als wir ſind. Der Menſch iſt uns von Anfang an
gegeben mit dieſen ſeltſamen Thatſachen ſo langer Trag- und
Nährzeit beim Weibe — und andererſeits ſo faſt permanenter
Brunſtmöglichkeit viele Jahre lang. Das ſind Thatſachen, an
denen einſtweilen nichts rüttelte, mit ihnen mußte die Menſch¬
heit als oberſter Reallogik ſich auseinanderſetzen, ſo gut es
ging. Vergiß auch nicht, daß gerade die ſtreng monogamiſche
Dauerehe nur möglich war mit dieſer Vorausſetzung zahl¬
loſer Akte, von denen feſtſtand, daß ſie im Sinne wirklicher
Zeugung ſinnlos waren, beiſpielsweiſe während der Schwanger¬
ſchaft der Frau. In der Polygamie konnte der Mann, deſſen
Liebesbereitſchaft ohne größere ſelbſtgeſetzte Pauſen viele Jahre
fortdauerte, die Frauen je nachdem wechſeln, theoretiſch, wenn es
not gethan hätte, 365 mal im Jahr, und theoretiſch jedesmal
zu echtem Zeugungsakt. Mit einer Frau dauernd leben, er¬
forderte aber auf dieſe Ziffer ungezählte Kompromiſſe. Von
den Wünſchen der Frau ſelbſt ganz zu ſchweigen, deren ero¬
tiſcher Trieb ihr ebenfalls durchaus nicht ſo überkommen iſt,
daß er etwa auf zwei Jahre Schwangerſchaft und Nähren
mit einem einzigen Konzeptionsakt, zufrieden wäre. Womit ſich
dann noch jene ärztlichen Geſichtspunkte einten, die unter
beſtimmten geſundheitlichen Vorausſetzungen überhaupt die Kon¬
zeption individuell lieber ausſchloſſen, ohne doch in dieſen
Individuen den erotiſchen Trieb ſelber mit einer Fiſchblaſe
oder einem Peſſarium abſperren zu können.

Eine ganze Kette widerwärtiger Erſcheinungen des Proſti¬

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[263/0277] ausgeheckt worden. Es war endlich auch an ſich nicht un¬ moraliſch, unter Umſtänden die Lebenswelle zwecklos zu ver¬ ſchleudern, den Trieb auszuleben, ohne ſeinen tiefſten Sinn zu erfüllen. Wo ſollte die Kritik der Ehe hin, wenn ſie rigoros dieſe Forderung durchdrücken wollte, daß der erotiſche Akt nur vollführt werden dürfe ausgeſprochen zum Zeugungs¬ zweck und nach dieſer Erfüllung jedesmal ſo und ſo lange überhaupt nicht mehr. Hier kommen ſtärkere Naturdinge in Betracht, als wir ſind. Der Menſch iſt uns von Anfang an gegeben mit dieſen ſeltſamen Thatſachen ſo langer Trag- und Nährzeit beim Weibe — und andererſeits ſo faſt permanenter Brunſtmöglichkeit viele Jahre lang. Das ſind Thatſachen, an denen einſtweilen nichts rüttelte, mit ihnen mußte die Menſch¬ heit als oberſter Reallogik ſich auseinanderſetzen, ſo gut es ging. Vergiß auch nicht, daß gerade die ſtreng monogamiſche Dauerehe nur möglich war mit dieſer Vorausſetzung zahl¬ loſer Akte, von denen feſtſtand, daß ſie im Sinne wirklicher Zeugung ſinnlos waren, beiſpielsweiſe während der Schwanger¬ ſchaft der Frau. In der Polygamie konnte der Mann, deſſen Liebesbereitſchaft ohne größere ſelbſtgeſetzte Pauſen viele Jahre fortdauerte, die Frauen je nachdem wechſeln, theoretiſch, wenn es not gethan hätte, 365 mal im Jahr, und theoretiſch jedesmal zu echtem Zeugungsakt. Mit einer Frau dauernd leben, er¬ forderte aber auf dieſe Ziffer ungezählte Kompromiſſe. Von den Wünſchen der Frau ſelbſt ganz zu ſchweigen, deren ero¬ tiſcher Trieb ihr ebenfalls durchaus nicht ſo überkommen iſt, daß er etwa auf zwei Jahre Schwangerſchaft und Nähren mit einem einzigen Konzeptionsakt, zufrieden wäre. Womit ſich dann noch jene ärztlichen Geſichtspunkte einten, die unter beſtimmten geſundheitlichen Vorausſetzungen überhaupt die Kon¬ zeption individuell lieber ausſchloſſen, ohne doch in dieſen Individuen den erotiſchen Trieb ſelber mit einer Fiſchblaſe oder einem Peſſarium abſperren zu können. Eine ganze Kette widerwärtiger Erſcheinungen des Proſti¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/277>, abgerufen am 22.11.2024.