Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier entsteht ein Hetärenstand, bei dem die Ehe ausgeschaltet
ist. Die Existenz dieser ledigen Junggesellenmädchen bringt
aber wieder die Möglichkeit, daß das "Flötenhaus" nicht blos
ein Klub bleibe von Männern, die noch nicht verheiratet sind,
sondern daß es ein echter Hagestolzenklub werde, der auf die
Ehe pfeift. Das Flötenhausmädchen ersetzt die Frau hinsicht¬
lich der erotischen Bedürfnisse des Mannes. Das Klubhaus
ersetzt ihm die Annehmlichkeiten eines Familienheims. Die
Kinderfrage läßt sich auch sozial regeln. "Für etwaige Kinder
des Mädchens gelten sämtliche Männer, mit denen sie verkehrt
hat, als Väter" sagt Steinen. Der Klub, schließlich der Stamm
haften da solidarisch wie bei den Pinguinen. Wenn man sieht,
wie spät durchweg die jungen Männer dieser Indianer heiraten,
so empfindet man, daß etwas derart wirklich dort schon ein¬
getreten ist. Die Dinge stehen schon fast auf der Balance.
Ehe ist da und gilt. Aber es geht auch ohne sie durch ein
liebesfrohes Menschenleben.

Annäherungen an diese Sachlage hast du nun überall, die
ganze Völkerschlange lang. Geh doch gleich zu uns. Auch bei
uns hast du Männerklubs, die eine Macht gegen die Ehe bilden.
Das einfache Wirtshaus ist ein Anfang. Das ganze studentische
Leben hat eine Spitze hierher. Wer nun etwas vom "ewigen
Studenten" sich wahrt! Die Stelle des Flötenhausmädchens
ersetzen uns reichlich das Verhältnis, die Prostituierte in ihren
vielen Abstufungen. Der Mann braucht sich nicht mit Eifersucht
zu plagen. Er hat keine Verantwortung für die Frau. Er
kann verfügen, ob er zum Tort auf alle herrschenden Ehebräuche
seiner Kultur Monogamist oder Polygamist sein will. Na ja,
die Kinder. Aber erstens brauchen keine da zu sein. Und wenn,
so mögen sie ins Findelhaus. Man zahlt in den Steuern,
diesem großen Gesellschaftsschlauch, aus dem es überall hinfließt,
eine Prozentsumme für ihre öffentliche Pflege mit, wie man
es für die ehelichen Waisenkinder ja auch thut, wie man es
für die Volksschule allgemein thut, und so weiter. Wer kennt

Hier entſteht ein Hetärenſtand, bei dem die Ehe ausgeſchaltet
iſt. Die Exiſtenz dieſer ledigen Junggeſellenmädchen bringt
aber wieder die Möglichkeit, daß das „Flötenhaus“ nicht blos
ein Klub bleibe von Männern, die noch nicht verheiratet ſind,
ſondern daß es ein echter Hageſtolzenklub werde, der auf die
Ehe pfeift. Das Flötenhausmädchen erſetzt die Frau hinſicht¬
lich der erotiſchen Bedürfniſſe des Mannes. Das Klubhaus
erſetzt ihm die Annehmlichkeiten eines Familienheims. Die
Kinderfrage läßt ſich auch ſozial regeln. „Für etwaige Kinder
des Mädchens gelten ſämtliche Männer, mit denen ſie verkehrt
hat, als Väter“ ſagt Steinen. Der Klub, ſchließlich der Stamm
haften da ſolidariſch wie bei den Pinguinen. Wenn man ſieht,
wie ſpät durchweg die jungen Männer dieſer Indianer heiraten,
ſo empfindet man, daß etwas derart wirklich dort ſchon ein¬
getreten iſt. Die Dinge ſtehen ſchon faſt auf der Balance.
Ehe iſt da und gilt. Aber es geht auch ohne ſie durch ein
liebesfrohes Menſchenleben.

Annäherungen an dieſe Sachlage haſt du nun überall, die
ganze Völkerſchlange lang. Geh doch gleich zu uns. Auch bei
uns haſt du Männerklubs, die eine Macht gegen die Ehe bilden.
Das einfache Wirtshaus iſt ein Anfang. Das ganze ſtudentiſche
Leben hat eine Spitze hierher. Wer nun etwas vom „ewigen
Studenten“ ſich wahrt! Die Stelle des Flötenhausmädchens
erſetzen uns reichlich das Verhältnis, die Proſtituierte in ihren
vielen Abſtufungen. Der Mann braucht ſich nicht mit Eiferſucht
zu plagen. Er hat keine Verantwortung für die Frau. Er
kann verfügen, ob er zum Tort auf alle herrſchenden Ehebräuche
ſeiner Kultur Monogamiſt oder Polygamiſt ſein will. Na ja,
die Kinder. Aber erſtens brauchen keine da zu ſein. Und wenn,
ſo mögen ſie ins Findelhaus. Man zahlt in den Steuern,
dieſem großen Geſellſchaftsſchlauch, aus dem es überall hinfließt,
eine Prozentſumme für ihre öffentliche Pflege mit, wie man
es für die ehelichen Waiſenkinder ja auch thut, wie man es
für die Volksſchule allgemein thut, und ſo weiter. Wer kennt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0268" n="254"/>
        <p>Hier ent&#x017F;teht ein Hetären&#x017F;tand, bei dem die Ehe ausge&#x017F;chaltet<lb/>
i&#x017F;t. Die Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er ledigen Jungge&#x017F;ellenmädchen bringt<lb/>
aber wieder die Möglichkeit, daß das &#x201E;Flötenhaus&#x201C; nicht blos<lb/>
ein Klub bleibe von Männern, die <hi rendition="#g">noch nicht</hi> verheiratet &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;ondern daß es ein echter Hage&#x017F;tolzenklub werde, der auf die<lb/>
Ehe pfeift. Das Flötenhausmädchen er&#x017F;etzt die Frau hin&#x017F;icht¬<lb/>
lich der eroti&#x017F;chen Bedürfni&#x017F;&#x017F;e des Mannes. Das Klubhaus<lb/>
er&#x017F;etzt ihm die Annehmlichkeiten eines Familienheims. Die<lb/>
Kinderfrage läßt &#x017F;ich auch &#x017F;ozial regeln. &#x201E;Für etwaige Kinder<lb/>
des Mädchens gelten &#x017F;ämtliche Männer, mit denen &#x017F;ie verkehrt<lb/>
hat, als Väter&#x201C; &#x017F;agt Steinen. Der Klub, &#x017F;chließlich der Stamm<lb/>
haften da &#x017F;olidari&#x017F;ch wie bei den Pinguinen. Wenn man &#x017F;ieht,<lb/>
wie &#x017F;pät durchweg die jungen Männer die&#x017F;er Indianer heiraten,<lb/>
&#x017F;o empfindet man, daß etwas derart wirklich dort &#x017F;chon ein¬<lb/>
getreten i&#x017F;t. Die Dinge &#x017F;tehen &#x017F;chon fa&#x017F;t auf der Balance.<lb/>
Ehe i&#x017F;t da und gilt. Aber es geht auch ohne &#x017F;ie durch ein<lb/>
liebesfrohes Men&#x017F;chenleben.</p><lb/>
        <p>Annäherungen an die&#x017F;e Sachlage ha&#x017F;t du nun überall, die<lb/>
ganze Völker&#x017F;chlange lang. Geh doch gleich zu uns. Auch bei<lb/>
uns ha&#x017F;t du Männerklubs, die eine Macht gegen die Ehe bilden.<lb/>
Das einfache Wirtshaus i&#x017F;t ein Anfang. Das ganze &#x017F;tudenti&#x017F;che<lb/>
Leben hat eine Spitze hierher. Wer nun etwas vom &#x201E;ewigen<lb/>
Studenten&#x201C; &#x017F;ich wahrt! Die Stelle des Flötenhausmädchens<lb/>
er&#x017F;etzen uns reichlich das Verhältnis, die Pro&#x017F;tituierte in ihren<lb/>
vielen Ab&#x017F;tufungen. Der Mann braucht &#x017F;ich nicht mit Eifer&#x017F;ucht<lb/>
zu plagen. Er hat keine Verantwortung für die Frau. Er<lb/>
kann verfügen, ob er zum Tort auf alle herr&#x017F;chenden Ehebräuche<lb/>
&#x017F;einer Kultur Monogami&#x017F;t oder Polygami&#x017F;t &#x017F;ein will. Na ja,<lb/>
die Kinder. Aber er&#x017F;tens brauchen keine da zu &#x017F;ein. Und wenn,<lb/>
&#x017F;o mögen &#x017F;ie ins Findelhaus. Man zahlt in den Steuern,<lb/>
die&#x017F;em großen Ge&#x017F;ell&#x017F;chafts&#x017F;chlauch, aus dem es überall hinfließt,<lb/>
eine Prozent&#x017F;umme für ihre öffentliche Pflege mit, wie man<lb/>
es für die ehelichen Wai&#x017F;enkinder ja auch thut, wie man es<lb/>
für die Volks&#x017F;chule allgemein thut, und &#x017F;o weiter. Wer kennt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0268] Hier entſteht ein Hetärenſtand, bei dem die Ehe ausgeſchaltet iſt. Die Exiſtenz dieſer ledigen Junggeſellenmädchen bringt aber wieder die Möglichkeit, daß das „Flötenhaus“ nicht blos ein Klub bleibe von Männern, die noch nicht verheiratet ſind, ſondern daß es ein echter Hageſtolzenklub werde, der auf die Ehe pfeift. Das Flötenhausmädchen erſetzt die Frau hinſicht¬ lich der erotiſchen Bedürfniſſe des Mannes. Das Klubhaus erſetzt ihm die Annehmlichkeiten eines Familienheims. Die Kinderfrage läßt ſich auch ſozial regeln. „Für etwaige Kinder des Mädchens gelten ſämtliche Männer, mit denen ſie verkehrt hat, als Väter“ ſagt Steinen. Der Klub, ſchließlich der Stamm haften da ſolidariſch wie bei den Pinguinen. Wenn man ſieht, wie ſpät durchweg die jungen Männer dieſer Indianer heiraten, ſo empfindet man, daß etwas derart wirklich dort ſchon ein¬ getreten iſt. Die Dinge ſtehen ſchon faſt auf der Balance. Ehe iſt da und gilt. Aber es geht auch ohne ſie durch ein liebesfrohes Menſchenleben. Annäherungen an dieſe Sachlage haſt du nun überall, die ganze Völkerſchlange lang. Geh doch gleich zu uns. Auch bei uns haſt du Männerklubs, die eine Macht gegen die Ehe bilden. Das einfache Wirtshaus iſt ein Anfang. Das ganze ſtudentiſche Leben hat eine Spitze hierher. Wer nun etwas vom „ewigen Studenten“ ſich wahrt! Die Stelle des Flötenhausmädchens erſetzen uns reichlich das Verhältnis, die Proſtituierte in ihren vielen Abſtufungen. Der Mann braucht ſich nicht mit Eiferſucht zu plagen. Er hat keine Verantwortung für die Frau. Er kann verfügen, ob er zum Tort auf alle herrſchenden Ehebräuche ſeiner Kultur Monogamiſt oder Polygamiſt ſein will. Na ja, die Kinder. Aber erſtens brauchen keine da zu ſein. Und wenn, ſo mögen ſie ins Findelhaus. Man zahlt in den Steuern, dieſem großen Geſellſchaftsſchlauch, aus dem es überall hinfließt, eine Prozentſumme für ihre öffentliche Pflege mit, wie man es für die ehelichen Waiſenkinder ja auch thut, wie man es für die Volksſchule allgemein thut, und ſo weiter. Wer kennt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/268
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/268>, abgerufen am 05.07.2024.