artig weiter, daß noch ganz andere Luftsprünge der äußeren Gestalt hineinpassen. Es giebt einen australischen Verwandten unseres Seepferdchens, der "Fetzenfisch" heißt, weil ihm die Haut in eitel Fetzen wie eine Lumpenhose hintennachschleift, -- dieser Fisch hat eben aus Schutzzwecken (zum Verstecken) ein Interesse daran wie ein lappiges, zersplissenes Stück See¬ tang auszusehen und sieht auch so gründlich danach aus, daß ihn der Laie einfach für eine Tangpflanze hält; hier beginnt erst das wahre Wunder der fischlichen Fratzen- und Extremform, gegen die das Seepferdchen harmlos ist. Der wahre Grund aber, warum der Tier-Philosoph das Seepferdchen mit der ganzen Liebe zu einem zoologisch-philosophischen Sonntagskinde anschaut, liegt in etwas völlig Besonderem, das der Laienblick schlechterdings nicht beachtet.
In der Komödie des Tierreichs setzt hier ein Stück ein, das nach berühmtem Muster "Der Vater" heißen müßte. Und zwar noch wieder in einem ganz anderen Sinne, als du es früher beim Stichling erlebt hast.
Das Seepferdchen bietet ein voll entwickeltes Beispiel der Mannesschwangerschaft.
Du erinnerst dich, wie die eigentliche Schwangerschaft bei den Wirbeltieren entstand: die Eier wurden nicht mehr nach außen abgelegt, sondern bis zur Geburt im Leibesinnern be¬ halten und ausgereift.
Auch das Seepferd-Fischlein bevorzugt schon statt des freien Eierlegens in irgend ein Nest eine solche innerliche Schwangerschaft.
Das besondere Kunststück ist aber dabei, daß die Mutter zwar die Eier erzeugt, der Vater dagegen die Schwanger¬ schaft übernehmen muß.
Um die Liebeszeit wächst dem Seehengstchen an der unteren Leibesseite durch Wucherung der eigenen Haut eine geräumige Tasche. Der Übertragungsakt besteht dann darin, daß die beiden Pferdlein sich vermöge ihrer famosen Ringelfähigkeit umeinander¬
artig weiter, daß noch ganz andere Luftſprünge der äußeren Geſtalt hineinpaſſen. Es giebt einen auſtraliſchen Verwandten unſeres Seepferdchens, der „Fetzenfiſch“ heißt, weil ihm die Haut in eitel Fetzen wie eine Lumpenhoſe hintennachſchleift, — dieſer Fiſch hat eben aus Schutzzwecken (zum Verſtecken) ein Intereſſe daran wie ein lappiges, zerſpliſſenes Stück See¬ tang auszuſehen und ſieht auch ſo gründlich danach aus, daß ihn der Laie einfach für eine Tangpflanze hält; hier beginnt erſt das wahre Wunder der fiſchlichen Fratzen- und Extremform, gegen die das Seepferdchen harmlos iſt. Der wahre Grund aber, warum der Tier-Philoſoph das Seepferdchen mit der ganzen Liebe zu einem zoologiſch-philoſophiſchen Sonntagskinde anſchaut, liegt in etwas völlig Beſonderem, das der Laienblick ſchlechterdings nicht beachtet.
In der Komödie des Tierreichs ſetzt hier ein Stück ein, das nach berühmtem Muſter „Der Vater“ heißen müßte. Und zwar noch wieder in einem ganz anderen Sinne, als du es früher beim Stichling erlebt haſt.
Das Seepferdchen bietet ein voll entwickeltes Beiſpiel der Mannesſchwangerſchaft.
Du erinnerſt dich, wie die eigentliche Schwangerſchaft bei den Wirbeltieren entſtand: die Eier wurden nicht mehr nach außen abgelegt, ſondern bis zur Geburt im Leibesinnern be¬ halten und ausgereift.
Auch das Seepferd-Fiſchlein bevorzugt ſchon ſtatt des freien Eierlegens in irgend ein Neſt eine ſolche innerliche Schwangerſchaft.
Das beſondere Kunſtſtück iſt aber dabei, daß die Mutter zwar die Eier erzeugt, der Vater dagegen die Schwanger¬ ſchaft übernehmen muß.
Um die Liebeszeit wächſt dem Seehengſtchen an der unteren Leibesſeite durch Wucherung der eigenen Haut eine geräumige Taſche. Der Übertragungsakt beſteht dann darin, daß die beiden Pferdlein ſich vermöge ihrer famoſen Ringelfähigkeit umeinander¬
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artig weiter, daß noch ganz andere Luftſprünge der äußeren
Geſtalt hineinpaſſen. Es giebt einen auſtraliſchen Verwandten
unſeres Seepferdchens, der „Fetzenfiſch“ heißt, weil ihm die
Haut in eitel Fetzen wie eine Lumpenhoſe hintennachſchleift,
— dieſer Fiſch hat eben aus Schutzzwecken (zum Verſtecken)
ein Intereſſe daran wie ein lappiges, zerſpliſſenes Stück See¬
tang auszuſehen und ſieht auch ſo gründlich danach aus, daß
ihn der Laie einfach für eine Tangpflanze hält; hier beginnt
erſt das wahre Wunder der fiſchlichen Fratzen- und Extremform,
gegen die das Seepferdchen harmlos iſt. Der wahre Grund
aber, warum der Tier-Philoſoph das Seepferdchen mit der
ganzen Liebe zu einem zoologiſch-philoſophiſchen Sonntagskinde
anſchaut, liegt in etwas völlig Beſonderem, das der Laienblick
ſchlechterdings nicht beachtet.
In der Komödie des Tierreichs ſetzt hier ein Stück ein,
das nach berühmtem Muſter „Der Vater“ heißen müßte.
Und zwar noch wieder in einem ganz anderen Sinne, als du
es früher beim Stichling erlebt haſt.
Das Seepferdchen bietet ein voll entwickeltes Beiſpiel der
Mannesſchwangerſchaft.
Du erinnerſt dich, wie die eigentliche Schwangerſchaft bei
den Wirbeltieren entſtand: die Eier wurden nicht mehr nach
außen abgelegt, ſondern bis zur Geburt im Leibesinnern be¬
halten und ausgereift.
Auch das Seepferd-Fiſchlein bevorzugt ſchon ſtatt des
freien Eierlegens in irgend ein Neſt eine ſolche innerliche
Schwangerſchaft.
Das beſondere Kunſtſtück iſt aber dabei, daß die Mutter
zwar die Eier erzeugt, der Vater dagegen die Schwanger¬
ſchaft übernehmen muß.
Um die Liebeszeit wächſt dem Seehengſtchen an der unteren
Leibesſeite durch Wucherung der eigenen Haut eine geräumige
Taſche. Der Übertragungsakt beſteht dann darin, daß die beiden
Pferdlein ſich vermöge ihrer famoſen Ringelfähigkeit umeinander¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/244>, abgerufen am 23.02.2025.
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