Unermüdlich sind, seit man die Thatsachen mühsam etwas gesammelt und gesichtet hatte, die Erklärungsversuche dafür ge¬ wesen, warum der Totemismus gerade das Mutterrecht so viel¬ fältig bevorzugt hat.
Das mißverständliche Wort "Mutterherrschaft" hat da zuerst allerlei Blasen geworfen, als sehe man überall in uralte Amazonenstaaten, die wirklich nach dem Spinnentypus gebaut sein sollten: der Mann nur zur Zeugung zugelassen, dann aber gestäupt, und alles fortan nur in den Händen der "Herrscherin Frau". Das ist heute nur selber noch ein lustiges Grenzpostenmärchen der Forschung.
Ich meine, daß du dir die richtige Antwort vielmehr recht einfach aus jener Erinnyen-Affaire selber schon herauslesen kannst.
Nachdem die Geschichte sich hier auf den Gipfel zugespitzt, geht sie über allen Totemismus und alle sozialen und recht¬ lichen Fragen in eine Debatte ein, die ich im Gegensatz als eine embryologische bezeichnen möchte. Alles gipfelt thatsächlich in einer Entscheidung, die nur der Naturforscher heute lösen könnte, vorausgesetzt, daß auch er schon so weit ist, es zu können.
Die Erinnys sagt zu Orestes, er habe wider sein Blut gefrevelt. Denn die Mutter habe ihn als ihr Blut einst unter ihrem Herzen getragen. Frage: aber war der gemordete Vater nicht auch sein Blut, das er also rächen mußte? Hier ergreift Apollo als Anwalt des Orestes das Wort zu einem Plaidoyer, das sich eben auf eine verbesserte -- Embryologie stützt. Er sagt wörtlich:
"Darauf sag ich also, mein gerechtes Wort vernimm: Nicht ist die Mutter ihres Kindes Zeugerin, Sie hegt und trägt das auferweckte Leben nur; Es zeugt der Vater, aber sie bewahrt das Pfand Dem Freund die Freundin, wenn ein Gott es nicht verletzt."
Die Erinnyen warnen dagegen:
"Darnieder stürzest du die Mächte grauer Zeit. Du, der junge Gott, willst uns, die Greise niederrennen."
Unermüdlich ſind, ſeit man die Thatſachen mühſam etwas geſammelt und geſichtet hatte, die Erklärungsverſuche dafür ge¬ weſen, warum der Totemismus gerade das Mutterrecht ſo viel¬ fältig bevorzugt hat.
Das mißverſtändliche Wort „Mutterherrſchaft“ hat da zuerſt allerlei Blaſen geworfen, als ſehe man überall in uralte Amazonenſtaaten, die wirklich nach dem Spinnentypus gebaut ſein ſollten: der Mann nur zur Zeugung zugelaſſen, dann aber geſtäupt, und alles fortan nur in den Händen der „Herrſcherin Frau“. Das iſt heute nur ſelber noch ein luſtiges Grenzpoſtenmärchen der Forſchung.
Ich meine, daß du dir die richtige Antwort vielmehr recht einfach aus jener Erinnyen-Affaire ſelber ſchon herausleſen kannſt.
Nachdem die Geſchichte ſich hier auf den Gipfel zugeſpitzt, geht ſie über allen Totemismus und alle ſozialen und recht¬ lichen Fragen in eine Debatte ein, die ich im Gegenſatz als eine embryologiſche bezeichnen möchte. Alles gipfelt thatſächlich in einer Entſcheidung, die nur der Naturforſcher heute löſen könnte, vorausgeſetzt, daß auch er ſchon ſo weit iſt, es zu können.
Die Erinnys ſagt zu Oreſtes, er habe wider ſein Blut gefrevelt. Denn die Mutter habe ihn als ihr Blut einſt unter ihrem Herzen getragen. Frage: aber war der gemordete Vater nicht auch ſein Blut, das er alſo rächen mußte? Hier ergreift Apollo als Anwalt des Oreſtes das Wort zu einem Plaidoyer, das ſich eben auf eine verbeſſerte — Embryologie ſtützt. Er ſagt wörtlich:
„Darauf ſag ich alſo, mein gerechtes Wort vernimm: Nicht iſt die Mutter ihres Kindes Zeugerin, Sie hegt und trägt das auferweckte Leben nur; Es zeugt der Vater, aber ſie bewahrt das Pfand Dem Freund die Freundin, wenn ein Gott es nicht verletzt.“
Die Erinnyen warnen dagegen:
„Darnieder ſtürzeſt du die Mächte grauer Zeit. Du, der junge Gott, willſt uns, die Greiſe niederrennen.“
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Unermüdlich ſind, ſeit man die Thatſachen mühſam etwas
geſammelt und geſichtet hatte, die Erklärungsverſuche dafür ge¬
weſen, warum der Totemismus gerade das Mutterrecht ſo viel¬
fältig bevorzugt hat.
Das mißverſtändliche Wort „Mutterherrſchaft“ hat da
zuerſt allerlei Blaſen geworfen, als ſehe man überall in uralte
Amazonenſtaaten, die wirklich nach dem Spinnentypus gebaut
ſein ſollten: der Mann nur zur Zeugung zugelaſſen, dann
aber geſtäupt, und alles fortan nur in den Händen der
„Herrſcherin Frau“. Das iſt heute nur ſelber noch ein luſtiges
Grenzpoſtenmärchen der Forſchung.
Ich meine, daß du dir die richtige Antwort vielmehr recht
einfach aus jener Erinnyen-Affaire ſelber ſchon herausleſen
kannſt.
Nachdem die Geſchichte ſich hier auf den Gipfel zugeſpitzt,
geht ſie über allen Totemismus und alle ſozialen und recht¬
lichen Fragen in eine Debatte ein, die ich im Gegenſatz als eine
embryologiſche bezeichnen möchte. Alles gipfelt thatſächlich
in einer Entſcheidung, die nur der Naturforſcher heute löſen
könnte, vorausgeſetzt, daß auch er ſchon ſo weit iſt, es zu können.
Die Erinnys ſagt zu Oreſtes, er habe wider ſein Blut
gefrevelt. Denn die Mutter habe ihn als ihr Blut einſt unter
ihrem Herzen getragen. Frage: aber war der gemordete Vater
nicht auch ſein Blut, das er alſo rächen mußte? Hier ergreift
Apollo als Anwalt des Oreſtes das Wort zu einem Plaidoyer,
das ſich eben auf eine verbeſſerte — Embryologie ſtützt. Er
ſagt wörtlich:
„Darauf ſag ich alſo, mein gerechtes Wort vernimm:
Nicht iſt die Mutter ihres Kindes Zeugerin,
Sie hegt und trägt das auferweckte Leben nur;
Es zeugt der Vater, aber ſie bewahrt das Pfand
Dem Freund die Freundin, wenn ein Gott es nicht verletzt.“
Die Erinnyen warnen dagegen:
„Darnieder ſtürzeſt du die Mächte grauer Zeit.
Du, der junge Gott, willſt uns, die Greiſe niederrennen.“
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/237>, abgerufen am 23.02.2025.
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