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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Punkte der Liebesmischung ist das heilige Totem nicht ein
Trennungssignal, sondern es verlangt gerade Anschluß, Er¬
gänzung, Bäumchenverwechselspiel.

Auf den ersten Blick siehst du, daß hier einfach das Grund¬
gesetz zur Verhütung der Inzucht zur heiligen Moral erhoben
ist, das wir oben schon als eine notwendige Forderung zur
Rettung der Elefantenherde logisch uns ausdachten. Jede Heirat
bedingt zugleich eine Blutauffrischung in der Totemsippe, da
sie thatsächlich eine Ehehälfte aus einem anderen Totem herein¬
bringt.

Allerdings sind die Dinge in diesem indianischen Ehe-
und Sozialkodex noch etwas verwickelt durch das Eindringen
eines zweiten Problems.

Nachdem dieses Grundgesetz der Überskreuzheirat zwischen
Totem und Totem einmal gegeben war, blieb ja eine zweite,
damit allein noch nicht gelöste Frage: nämlich welcher Totem¬
sippe denn nun das neue Ehepaar mit seinen Kindern angehören
solle?

Ein Bärenmann heiratet ein Büffelmädchen. Gehört er
damit samt seinen Kindern fortan dem Büffeltotem, also der
Sippe seiner Frau an, -- oder tritt das Büffelmädchen durch
die Heirat über in den heiligen Bannkreis des Bärentotem?
Die Totems selber sollen bleiben, sie dürfen sich also als solche
nicht vermischen, -- was thun?

Es muß ein Alexanderschnitt durch den Knoten gemacht,
irgend ein Gesellschaftsgesetz gegeben werden, das so oder so
entscheidet.

Unserem Kulturempfinden entspräche ja als geradezu selbst¬
verständlich, daß das Büffelmädchen samt all seiner Nachkommen¬
schaft Bär wird. Fräulein Meier, die einen Schultze heiratet,
heißt bei uns fortan Schultze und ihre Kinder werden in dulce
infinitum
Schultzes. Der Irokese indessen entscheidet fast genau
umgekehrt. Bär heiratet Büffel. Bär bleibt seiner Sippen¬
zugehörigkeit dabei Bär, wie Schultze Schultze. Frau Büffel

Punkte der Liebesmiſchung iſt das heilige Totem nicht ein
Trennungsſignal, ſondern es verlangt gerade Anſchluß, Er¬
gänzung, Bäumchenverwechſelſpiel.

Auf den erſten Blick ſiehſt du, daß hier einfach das Grund¬
geſetz zur Verhütung der Inzucht zur heiligen Moral erhoben
iſt, das wir oben ſchon als eine notwendige Forderung zur
Rettung der Elefantenherde logiſch uns ausdachten. Jede Heirat
bedingt zugleich eine Blutauffriſchung in der Totemſippe, da
ſie thatſächlich eine Ehehälfte aus einem anderen Totem herein¬
bringt.

Allerdings ſind die Dinge in dieſem indianiſchen Ehe-
und Sozialkodex noch etwas verwickelt durch das Eindringen
eines zweiten Problems.

Nachdem dieſes Grundgeſetz der Überskreuzheirat zwiſchen
Totem und Totem einmal gegeben war, blieb ja eine zweite,
damit allein noch nicht gelöſte Frage: nämlich welcher Totem¬
ſippe denn nun das neue Ehepaar mit ſeinen Kindern angehören
ſolle?

Ein Bärenmann heiratet ein Büffelmädchen. Gehört er
damit ſamt ſeinen Kindern fortan dem Büffeltotem, alſo der
Sippe ſeiner Frau an, — oder tritt das Büffelmädchen durch
die Heirat über in den heiligen Bannkreis des Bärentotem?
Die Totems ſelber ſollen bleiben, ſie dürfen ſich alſo als ſolche
nicht vermiſchen, — was thun?

Es muß ein Alexanderſchnitt durch den Knoten gemacht,
irgend ein Geſellſchaftsgeſetz gegeben werden, das ſo oder ſo
entſcheidet.

Unſerem Kulturempfinden entſpräche ja als geradezu ſelbſt¬
verſtändlich, daß das Büffelmädchen ſamt all ſeiner Nachkommen¬
ſchaft Bär wird. Fräulein Meier, die einen Schultze heiratet,
heißt bei uns fortan Schultze und ihre Kinder werden in dulce
infinitum
Schultzes. Der Irokeſe indeſſen entſcheidet faſt genau
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[219/0233] Punkte der Liebesmiſchung iſt das heilige Totem nicht ein Trennungsſignal, ſondern es verlangt gerade Anſchluß, Er¬ gänzung, Bäumchenverwechſelſpiel. Auf den erſten Blick ſiehſt du, daß hier einfach das Grund¬ geſetz zur Verhütung der Inzucht zur heiligen Moral erhoben iſt, das wir oben ſchon als eine notwendige Forderung zur Rettung der Elefantenherde logiſch uns ausdachten. Jede Heirat bedingt zugleich eine Blutauffriſchung in der Totemſippe, da ſie thatſächlich eine Ehehälfte aus einem anderen Totem herein¬ bringt. Allerdings ſind die Dinge in dieſem indianiſchen Ehe- und Sozialkodex noch etwas verwickelt durch das Eindringen eines zweiten Problems. Nachdem dieſes Grundgeſetz der Überskreuzheirat zwiſchen Totem und Totem einmal gegeben war, blieb ja eine zweite, damit allein noch nicht gelöſte Frage: nämlich welcher Totem¬ ſippe denn nun das neue Ehepaar mit ſeinen Kindern angehören ſolle? Ein Bärenmann heiratet ein Büffelmädchen. Gehört er damit ſamt ſeinen Kindern fortan dem Büffeltotem, alſo der Sippe ſeiner Frau an, — oder tritt das Büffelmädchen durch die Heirat über in den heiligen Bannkreis des Bärentotem? Die Totems ſelber ſollen bleiben, ſie dürfen ſich alſo als ſolche nicht vermiſchen, — was thun? Es muß ein Alexanderſchnitt durch den Knoten gemacht, irgend ein Geſellſchaftsgeſetz gegeben werden, das ſo oder ſo entſcheidet. Unſerem Kulturempfinden entſpräche ja als geradezu ſelbſt¬ verſtändlich, daß das Büffelmädchen ſamt all ſeiner Nachkommen¬ ſchaft Bär wird. Fräulein Meier, die einen Schultze heiratet, heißt bei uns fortan Schultze und ihre Kinder werden in dulce infinitum Schultzes. Der Irokeſe indeſſen entſcheidet faſt genau umgekehrt. Bär heiratet Büffel. Bär bleibt ſeiner Sippen¬ zugehörigkeit dabei Bär, wie Schultze Schultze. Frau Büffel

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/233>, abgerufen am 30.11.2024.