einer Mädchenpension. In diesem trivialen Beispiele hast du vier kleine Sozialversuche außerhalb der Ehe mit ausgesprochenem Zusammenhalten der Geschlechtsgenossen, Frauen, Männer, Knaben, Mädchen. Die beiden letzten liegen noch vor der Ehe, die beiden ersten aber schieben sich bereits zwischen diese. Nun wirst du füglich einwenden, daß es in der Urzeit bei Mammuten und Eiszeitgletschern noch keine Skatabende und keine Mädchen¬ pensionate gegeben habe. Indessen wir wollen einmal wieder unser Provinznest mit einem zentralbrasilianischen Flußufer vertauschen, an dem jene bewußten Bakairi-Indianer hausen. Sie stehen, wie du weißt, heute noch in der Steinzeit und laufen splitterfasernackt umher, bloß mit einem winzigsten Ge¬ schlechts-Symbol.
Bei diesen Indianern hast du zwei ganz feste Einrichtungen nebeneinander.
Hier die Ehe, die Familie, das Familienheim, wo Mann und Frau und kleine Kinder hausen. Und daneben den Männerbund, eine außereheliche oder besser nebeneheliche Klub- Genossenschaft der Männer. Der Männerklub hat sein be¬ sonderes Klubhaus, sein "Männerhaus". Es ist für die Frauen im allgemeinen völlig verschlossen. Die Männer aber leben hier ungeniert für sich, so viel sie können, -- ganz so, als gebe es vom Moment, da sie durch diese Thür gegangen sind, gar kein anderes Geschlecht mehr in der Welt. Hier wird ge¬ tanzt und gesungen und musiziert, hier wird geschwelgt und gesoffen, hier werden Feste gefeiert, hier tollt der Karneval mit seinen bunten Masken, -- hier wird Rat gepflogen, werden die Waffen geputzt, wird von den Ahnen erzählt, wird die kleine Tradition aufrecht erhalten. Die jungen, reifen, aber noch unverheirateten Männer leben ganz hier. Wer Weib und Kind daheim hat, kommt nur besuchsweise, aber immer findet auch er hier ein zweites Heim.
Leicht versteht man, wie gerade bei diesen Stämmen dieser Männerklub sich so scharf herausbilden konnte. Einmal ist er
einer Mädchenpenſion. In dieſem trivialen Beiſpiele haſt du vier kleine Sozialverſuche außerhalb der Ehe mit ausgeſprochenem Zuſammenhalten der Geſchlechtsgenoſſen, Frauen, Männer, Knaben, Mädchen. Die beiden letzten liegen noch vor der Ehe, die beiden erſten aber ſchieben ſich bereits zwiſchen dieſe. Nun wirſt du füglich einwenden, daß es in der Urzeit bei Mammuten und Eiszeitgletſchern noch keine Skatabende und keine Mädchen¬ penſionate gegeben habe. Indeſſen wir wollen einmal wieder unſer Provinzneſt mit einem zentralbraſilianiſchen Flußufer vertauſchen, an dem jene bewußten Bakaïri-Indianer hauſen. Sie ſtehen, wie du weißt, heute noch in der Steinzeit und laufen ſplitterfaſernackt umher, bloß mit einem winzigſten Ge¬ ſchlechts-Symbol.
Bei dieſen Indianern haſt du zwei ganz feſte Einrichtungen nebeneinander.
Hier die Ehe, die Familie, das Familienheim, wo Mann und Frau und kleine Kinder hauſen. Und daneben den Männerbund, eine außereheliche oder beſſer nebeneheliche Klub- Genoſſenſchaft der Männer. Der Männerklub hat ſein be¬ ſonderes Klubhaus, ſein „Männerhaus“. Es iſt für die Frauen im allgemeinen völlig verſchloſſen. Die Männer aber leben hier ungeniert für ſich, ſo viel ſie können, — ganz ſo, als gebe es vom Moment, da ſie durch dieſe Thür gegangen ſind, gar kein anderes Geſchlecht mehr in der Welt. Hier wird ge¬ tanzt und geſungen und muſiziert, hier wird geſchwelgt und geſoffen, hier werden Feſte gefeiert, hier tollt der Karneval mit ſeinen bunten Masken, — hier wird Rat gepflogen, werden die Waffen geputzt, wird von den Ahnen erzählt, wird die kleine Tradition aufrecht erhalten. Die jungen, reifen, aber noch unverheirateten Männer leben ganz hier. Wer Weib und Kind daheim hat, kommt nur beſuchsweiſe, aber immer findet auch er hier ein zweites Heim.
Leicht verſteht man, wie gerade bei dieſen Stämmen dieſer Männerklub ſich ſo ſcharf herausbilden konnte. Einmal iſt er
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einer Mädchenpenſion. In dieſem trivialen Beiſpiele haſt du
vier kleine Sozialverſuche außerhalb der Ehe mit ausgeſprochenem
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Mädchen. Die beiden letzten liegen noch vor der Ehe, die beiden
erſten aber ſchieben ſich bereits zwiſchen dieſe. Nun wirſt du
füglich einwenden, daß es in der Urzeit bei Mammuten und
Eiszeitgletſchern noch keine Skatabende und keine Mädchen¬
penſionate gegeben habe. Indeſſen wir wollen einmal wieder
unſer Provinzneſt mit einem zentralbraſilianiſchen Flußufer
vertauſchen, an dem jene bewußten Bakaïri-Indianer hauſen.
Sie ſtehen, wie du weißt, heute noch in der Steinzeit und
laufen ſplitterfaſernackt umher, bloß mit einem winzigſten Ge¬
ſchlechts-Symbol.
Bei dieſen Indianern haſt du zwei ganz feſte Einrichtungen
nebeneinander.
Hier die Ehe, die Familie, das Familienheim, wo Mann
und Frau und kleine Kinder hauſen. Und daneben den
Männerbund, eine außereheliche oder beſſer nebeneheliche Klub-
Genoſſenſchaft der Männer. Der Männerklub hat ſein be¬
ſonderes Klubhaus, ſein „Männerhaus“. Es iſt für die Frauen
im allgemeinen völlig verſchloſſen. Die Männer aber leben
hier ungeniert für ſich, ſo viel ſie können, — ganz ſo, als
gebe es vom Moment, da ſie durch dieſe Thür gegangen ſind,
gar kein anderes Geſchlecht mehr in der Welt. Hier wird ge¬
tanzt und geſungen und muſiziert, hier wird geſchwelgt und
geſoffen, hier werden Feſte gefeiert, hier tollt der Karneval
mit ſeinen bunten Masken, — hier wird Rat gepflogen, werden
die Waffen geputzt, wird von den Ahnen erzählt, wird die kleine
Tradition aufrecht erhalten. Die jungen, reifen, aber noch
unverheirateten Männer leben ganz hier. Wer Weib und Kind
daheim hat, kommt nur beſuchsweiſe, aber immer findet auch
er hier ein zweites Heim.
Leicht verſteht man, wie gerade bei dieſen Stämmen dieſer
Männerklub ſich ſo ſcharf herausbilden konnte. Einmal iſt er
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/226>, abgerufen am 29.11.2024.
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