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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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Wo immer die Erde ein grüner, pflanzenfroher Planet
war, da wuchs und mehrte sich dieses Geschlecht ins Ungemessene.
Und mit seinem Glück und Wachstum kamen die wunderbarsten
Exempel sozialer Verbände in die Welt. Denn diesen großen
Grasfressern war über alles wichtig die Geselligkeit. Diesem
ihrem allgemeinen Drange that aber die Ehe lange nicht Genüge.

Auch die Wiederkäuer führen ein Doppelleben aus kurzer
Zeitehe und langem Zwischenraum. In der einfachsten Form
regelt sich das genau wie bei den Fledermäusen: die Männer
streifen in der Nichtbrunstzeit regellos als mürrische, egoistische
Einsiedler umher, -- die Weiber aber mit ihren Jungen bilden
große Genossenschaften.

Das Klosterhafte schwindet zwar im äußeren Bilde, da
es für dieses Volk so vieler Riesen keine Verstecke im Sinn
von Genossenschaftshäusern zu geben pflegt. Was klosterhaft
hier zusammenhält, das erscheint auf offener Weide in langer
Prozession: als "Herde".

Auf den kalten Grasebenen des Hochlandes von Tibet
findest du so den Yak, den großen wilden Ochsen mit dem
wallenden Haartalar, der bis zum Boden schleift. Hier weiden
ganz abgetrennt für sich die einzelnen alten Stiere, Griesgrame,
die nach niemand fragen. Dort aber bebt die Erde vom Traben
einer ungeheueren Prozession: hunderte, ja tausende von Kühen
mit Kälbern und schon stattlichen jungen Tieren ziehen daher,
einträchtig, bei jeder Gefahr und jeder Rast sich eng aneinander
drängend.

Und ein weiteres Bild. Statt Tibet die Gebirge Spaniens.
Auch dort haust ein prachtvolles Wild: der Steinbock.

Nur wenig über einen Monat währt auch bei denen die
Ehe im Jahr. Den ganzen Rest leben Mann und Frau ge¬
trennt. Keines von beiden aber verzichtet in diesem langen
Interregnum auf Geselligkeit und sozialen Schutz. Du kletterst
ins rauhe spanische Hochland, etwa in die Sierra de Gredos,
bis zu über 2500 Meter Höhe. Und du scheuchst Herden der

Wo immer die Erde ein grüner, pflanzenfroher Planet
war, da wuchs und mehrte ſich dieſes Geſchlecht ins Ungemeſſene.
Und mit ſeinem Glück und Wachstum kamen die wunderbarſten
Exempel ſozialer Verbände in die Welt. Denn dieſen großen
Grasfreſſern war über alles wichtig die Geſelligkeit. Dieſem
ihrem allgemeinen Drange that aber die Ehe lange nicht Genüge.

Auch die Wiederkäuer führen ein Doppelleben aus kurzer
Zeitehe und langem Zwiſchenraum. In der einfachſten Form
regelt ſich das genau wie bei den Fledermäuſen: die Männer
ſtreifen in der Nichtbrunſtzeit regellos als mürriſche, egoiſtiſche
Einſiedler umher, — die Weiber aber mit ihren Jungen bilden
große Genoſſenſchaften.

Das Kloſterhafte ſchwindet zwar im äußeren Bilde, da
es für dieſes Volk ſo vieler Rieſen keine Verſtecke im Sinn
von Genoſſenſchaftshäuſern zu geben pflegt. Was kloſterhaft
hier zuſammenhält, das erſcheint auf offener Weide in langer
Prozeſſion: als „Herde“.

Auf den kalten Grasebenen des Hochlandes von Tibet
findeſt du ſo den Yak, den großen wilden Ochſen mit dem
wallenden Haartalar, der bis zum Boden ſchleift. Hier weiden
ganz abgetrennt für ſich die einzelnen alten Stiere, Griesgrame,
die nach niemand fragen. Dort aber bebt die Erde vom Traben
einer ungeheueren Prozeſſion: hunderte, ja tauſende von Kühen
mit Kälbern und ſchon ſtattlichen jungen Tieren ziehen daher,
einträchtig, bei jeder Gefahr und jeder Raſt ſich eng aneinander
drängend.

Und ein weiteres Bild. Statt Tibet die Gebirge Spaniens.
Auch dort hauſt ein prachtvolles Wild: der Steinbock.

Nur wenig über einen Monat währt auch bei denen die
Ehe im Jahr. Den ganzen Reſt leben Mann und Frau ge¬
trennt. Keines von beiden aber verzichtet in dieſem langen
Interregnum auf Geſelligkeit und ſozialen Schutz. Du kletterſt
ins rauhe ſpaniſche Hochland, etwa in die Sierra de Gredos,
bis zu über 2500 Meter Höhe. Und du ſcheuchſt Herden der

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[190/0204] Wo immer die Erde ein grüner, pflanzenfroher Planet war, da wuchs und mehrte ſich dieſes Geſchlecht ins Ungemeſſene. Und mit ſeinem Glück und Wachstum kamen die wunderbarſten Exempel ſozialer Verbände in die Welt. Denn dieſen großen Grasfreſſern war über alles wichtig die Geſelligkeit. Dieſem ihrem allgemeinen Drange that aber die Ehe lange nicht Genüge. Auch die Wiederkäuer führen ein Doppelleben aus kurzer Zeitehe und langem Zwiſchenraum. In der einfachſten Form regelt ſich das genau wie bei den Fledermäuſen: die Männer ſtreifen in der Nichtbrunſtzeit regellos als mürriſche, egoiſtiſche Einſiedler umher, — die Weiber aber mit ihren Jungen bilden große Genoſſenſchaften. Das Kloſterhafte ſchwindet zwar im äußeren Bilde, da es für dieſes Volk ſo vieler Rieſen keine Verſtecke im Sinn von Genoſſenſchaftshäuſern zu geben pflegt. Was kloſterhaft hier zuſammenhält, das erſcheint auf offener Weide in langer Prozeſſion: als „Herde“. Auf den kalten Grasebenen des Hochlandes von Tibet findeſt du ſo den Yak, den großen wilden Ochſen mit dem wallenden Haartalar, der bis zum Boden ſchleift. Hier weiden ganz abgetrennt für ſich die einzelnen alten Stiere, Griesgrame, die nach niemand fragen. Dort aber bebt die Erde vom Traben einer ungeheueren Prozeſſion: hunderte, ja tauſende von Kühen mit Kälbern und ſchon ſtattlichen jungen Tieren ziehen daher, einträchtig, bei jeder Gefahr und jeder Raſt ſich eng aneinander drängend. Und ein weiteres Bild. Statt Tibet die Gebirge Spaniens. Auch dort hauſt ein prachtvolles Wild: der Steinbock. Nur wenig über einen Monat währt auch bei denen die Ehe im Jahr. Den ganzen Reſt leben Mann und Frau ge¬ trennt. Keines von beiden aber verzichtet in dieſem langen Interregnum auf Geſelligkeit und ſozialen Schutz. Du kletterſt ins rauhe ſpaniſche Hochland, etwa in die Sierra de Gredos, bis zu über 2500 Meter Höhe. Und du ſcheuchſt Herden der

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/204>, abgerufen am 27.11.2024.