Es giebt keinen brauchbareren Ausdruck dafür als das Wort "sozial".
Doch verstehen wir ihn recht.
Die Ehe selber ist ja schon eine soziale That. Sie ver¬ knüpft zwei oder gar schon mehr Individuen zu einer höheren Gemeinschaft. Seit alters giebt es Leute genug, die gemeint haben, aller soziale Verband auf Erden sei nur eine Aus¬ gestaltung dieser Ehegemeinschaft. Die Familie ist die "Urzelle" der Gesellschaft, sagt ein hübsches Wort. Aber laß es uns auch hier machen, wie es in der Bibel heißt, und zu den Gemsen auf ihren Höhen und den Kaninchen in ihren Gruben gehen. Die Praxis, die da geübt wird, ist doch noch etwas älter und ehrwürdiger als menschliche Doktrin.
Wenn der Maulwurf das absolute Musterbeispiel unter¬ halb des Menschen wäre, so hättest du allerdings alle Anfänge des Sozialen ausschließlich in der Ehe. Sie allein verknüpft ein paar Tiere miteinander, -- auch das ja noch recht mangel¬ haft, denn es geschieht ja nur zeitweise. Ist die "Ehe auf Wiederruf", die "Zeitehe" wieder herum, so leben Maulwurf und Maulwürfin jedes für sich als borstige Stirnerianer. Willst du sie in Gedanken zur Genossenschaft, zur Gesellschaft dir erziehen, so mußt du dir allerdings vorstellen, sie träten zunächst von der Zeitehe über zur Dauerehe, dann bliebe auch noch ein Dauerband zwischen Alten und Jungen und so gestaltete sich schließlich eine patriarchalische Überfamilie, ein Stamm, ein Geschlecht heraus, dessen inneres Band die Blutsverwandt¬ schaft wäre. Viele solcher Familiengenossenschaften möchten dann sich wieder zum Volk, zum Staat zusammenthun und so erhieltest du endlich die sozial geordnete Welt der Maul¬ würfe.
Aber der Maulwurf ist im Volk seiner Mitsäugetiere nicht das Beispiel, sondern die Ausnahme hinsichtlich seiner individualistischen Wirtschaftsform außerhalb der Ehe. Eine ungeheure Fülle von Säugetieren hat das Soziale gerade erst
Es giebt keinen brauchbareren Ausdruck dafür als das Wort „ſozial“.
Doch verſtehen wir ihn recht.
Die Ehe ſelber iſt ja ſchon eine ſoziale That. Sie ver¬ knüpft zwei oder gar ſchon mehr Individuen zu einer höheren Gemeinſchaft. Seit alters giebt es Leute genug, die gemeint haben, aller ſoziale Verband auf Erden ſei nur eine Aus¬ geſtaltung dieſer Ehegemeinſchaft. Die Familie iſt die „Urzelle“ der Geſellſchaft, ſagt ein hübſches Wort. Aber laß es uns auch hier machen, wie es in der Bibel heißt, und zu den Gemſen auf ihren Höhen und den Kaninchen in ihren Gruben gehen. Die Praxis, die da geübt wird, iſt doch noch etwas älter und ehrwürdiger als menſchliche Doktrin.
Wenn der Maulwurf das abſolute Muſterbeiſpiel unter¬ halb des Menſchen wäre, ſo hätteſt du allerdings alle Anfänge des Sozialen ausſchließlich in der Ehe. Sie allein verknüpft ein paar Tiere miteinander, — auch das ja noch recht mangel¬ haft, denn es geſchieht ja nur zeitweiſe. Iſt die „Ehe auf Wiederruf“, die „Zeitehe“ wieder herum, ſo leben Maulwurf und Maulwürfin jedes für ſich als borſtige Stirnerianer. Willſt du ſie in Gedanken zur Genoſſenſchaft, zur Geſellſchaft dir erziehen, ſo mußt du dir allerdings vorſtellen, ſie träten zunächſt von der Zeitehe über zur Dauerehe, dann bliebe auch noch ein Dauerband zwiſchen Alten und Jungen und ſo geſtaltete ſich ſchließlich eine patriarchaliſche Überfamilie, ein Stamm, ein Geſchlecht heraus, deſſen inneres Band die Blutsverwandt¬ ſchaft wäre. Viele ſolcher Familiengenoſſenſchaften möchten dann ſich wieder zum Volk, zum Staat zuſammenthun und ſo erhielteſt du endlich die ſozial geordnete Welt der Maul¬ würfe.
Aber der Maulwurf iſt im Volk ſeiner Mitſäugetiere nicht das Beiſpiel, ſondern die Ausnahme hinſichtlich ſeiner individualiſtiſchen Wirtſchaftsform außerhalb der Ehe. Eine ungeheure Fülle von Säugetieren hat das Soziale gerade erſt
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0198"n="184"/><p>Es giebt keinen brauchbareren Ausdruck dafür als das<lb/>
Wort „ſozial“.</p><lb/><p>Doch verſtehen wir ihn recht.</p><lb/><p>Die Ehe ſelber iſt ja ſchon eine ſoziale That. Sie ver¬<lb/>
knüpft zwei oder gar ſchon mehr Individuen zu einer höheren<lb/>
Gemeinſchaft. Seit alters giebt es Leute genug, die gemeint<lb/>
haben, aller ſoziale Verband auf Erden ſei nur eine Aus¬<lb/>
geſtaltung dieſer Ehegemeinſchaft. Die Familie iſt die „Urzelle“<lb/>
der Geſellſchaft, ſagt ein hübſches Wort. Aber laß es uns<lb/>
auch hier machen, wie es in der Bibel heißt, und zu den<lb/>
Gemſen auf ihren Höhen und den Kaninchen in ihren Gruben<lb/>
gehen. Die Praxis, die da geübt wird, iſt doch noch etwas<lb/>
älter und ehrwürdiger als menſchliche Doktrin.</p><lb/><p>Wenn der Maulwurf das abſolute Muſterbeiſpiel unter¬<lb/>
halb des Menſchen wäre, ſo hätteſt du allerdings alle Anfänge<lb/>
des Sozialen ausſchließlich in der Ehe. Sie allein verknüpft<lb/>
ein paar Tiere miteinander, — auch das ja noch recht mangel¬<lb/>
haft, denn es geſchieht ja nur zeitweiſe. Iſt die „Ehe auf<lb/>
Wiederruf“, die „Zeitehe“ wieder herum, ſo leben Maulwurf<lb/>
und Maulwürfin jedes für ſich als borſtige Stirnerianer. Willſt<lb/>
du ſie in Gedanken zur Genoſſenſchaft, zur Geſellſchaft dir<lb/>
erziehen, ſo mußt du dir allerdings vorſtellen, ſie träten zunächſt<lb/>
von der Zeitehe über zur Dauerehe, dann bliebe auch noch<lb/>
ein Dauerband zwiſchen Alten und Jungen und ſo geſtaltete<lb/>ſich ſchließlich eine patriarchaliſche Überfamilie, ein Stamm,<lb/>
ein Geſchlecht heraus, deſſen inneres Band die Blutsverwandt¬<lb/>ſchaft wäre. Viele ſolcher Familiengenoſſenſchaften möchten<lb/>
dann ſich wieder zum Volk, zum Staat zuſammenthun und<lb/>ſo erhielteſt du endlich die ſozial geordnete Welt der Maul¬<lb/>
würfe.</p><lb/><p>Aber der Maulwurf iſt im Volk ſeiner Mitſäugetiere<lb/>
nicht das Beiſpiel, ſondern die Ausnahme hinſichtlich ſeiner<lb/>
individualiſtiſchen Wirtſchaftsform außerhalb der Ehe. Eine<lb/>
ungeheure Fülle von Säugetieren hat das Soziale gerade erſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[184/0198]
Es giebt keinen brauchbareren Ausdruck dafür als das
Wort „ſozial“.
Doch verſtehen wir ihn recht.
Die Ehe ſelber iſt ja ſchon eine ſoziale That. Sie ver¬
knüpft zwei oder gar ſchon mehr Individuen zu einer höheren
Gemeinſchaft. Seit alters giebt es Leute genug, die gemeint
haben, aller ſoziale Verband auf Erden ſei nur eine Aus¬
geſtaltung dieſer Ehegemeinſchaft. Die Familie iſt die „Urzelle“
der Geſellſchaft, ſagt ein hübſches Wort. Aber laß es uns
auch hier machen, wie es in der Bibel heißt, und zu den
Gemſen auf ihren Höhen und den Kaninchen in ihren Gruben
gehen. Die Praxis, die da geübt wird, iſt doch noch etwas
älter und ehrwürdiger als menſchliche Doktrin.
Wenn der Maulwurf das abſolute Muſterbeiſpiel unter¬
halb des Menſchen wäre, ſo hätteſt du allerdings alle Anfänge
des Sozialen ausſchließlich in der Ehe. Sie allein verknüpft
ein paar Tiere miteinander, — auch das ja noch recht mangel¬
haft, denn es geſchieht ja nur zeitweiſe. Iſt die „Ehe auf
Wiederruf“, die „Zeitehe“ wieder herum, ſo leben Maulwurf
und Maulwürfin jedes für ſich als borſtige Stirnerianer. Willſt
du ſie in Gedanken zur Genoſſenſchaft, zur Geſellſchaft dir
erziehen, ſo mußt du dir allerdings vorſtellen, ſie träten zunächſt
von der Zeitehe über zur Dauerehe, dann bliebe auch noch
ein Dauerband zwiſchen Alten und Jungen und ſo geſtaltete
ſich ſchließlich eine patriarchaliſche Überfamilie, ein Stamm,
ein Geſchlecht heraus, deſſen inneres Band die Blutsverwandt¬
ſchaft wäre. Viele ſolcher Familiengenoſſenſchaften möchten
dann ſich wieder zum Volk, zum Staat zuſammenthun und
ſo erhielteſt du endlich die ſozial geordnete Welt der Maul¬
würfe.
Aber der Maulwurf iſt im Volk ſeiner Mitſäugetiere
nicht das Beiſpiel, ſondern die Ausnahme hinſichtlich ſeiner
individualiſtiſchen Wirtſchaftsform außerhalb der Ehe. Eine
ungeheure Fülle von Säugetieren hat das Soziale gerade erſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/198>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.