Rohrstengel über den Wasserspiegel, wie der Rohrsperling, daß kein schwereres Klettertier mehr hinzu kann. Sie werden zum Schneidervogel, der den Schnabel als Nadel benutzt und feine selbstgedrehte Fäden durch eingestochene Blattlöcher zieht, bis das Nest in einer regelrecht vernähten Blattscheide steckt, die von den lebendigen Blattstielen frei getragen wird. Und sie werden endlich zum Webervogel, der aus Wolle und Bast die zierlichsten Hängekörbchen, Beutel und Flaschen webt, die steil vom freien Astende übers Wasser hinaushängen, ebenfalls gegen jeden Feind wundersam geschützt.
In diesem Nest kriechen die Jungen aus dem Ei, in un¬ zähligen Fällen völlig hilflos, nur nach Nahrung schreiend, Tag und Nacht. Die muß das alte Tier jetzt auch anschleppen in rastloser Arbeit. Und noch der flügge junge Vogel muß angelernt werden.
Kein Zweifel: das ist unendliche Arbeit. Schon der Nest¬ bau fordert beide Gatten heran. Wenn das Weibchen brütet, muß der Mann es atzen, oder er muß ihm Mittagspausen gewähren, wo er selbst die Eier bedeckt. Sind die Jungen da, so müssen beide vereint zutragen. In dieser Schule ist es wahrhaftig kein Wunder, daß die beiden, die sich zur Begattung gewählt, sich als rechte Eheleute aneinander gewöhnen.
Bei den Zwergpapageien herrscht (um Schomburgks Wort zu gebrauchen) "die vollkommenste Harmonie zwischen dem beiderseitigen Wollen und Thun: frißt das eine, so thut dies auch das andere; badet sich dieses, so begleitet es jenes; schreit das Männchen, so stimmt das Weibchen unmittelbar mit ein; wird dieses krank, so füttert es jenes; und wenn noch so viele auf einem Baume versammelt sind, so werden doch niemals die zusammengehörigen Pärchen sich trennen."
Von einem Pärchen der umgekehrt riesigsten Papageien, der Araras, schoß ein Jäger das Weibchen ab und hängte es an den Sattel seines Pferdes. Das Männchen folgte dem Reiter bis zu seinem Hause mitten in der Stadt, warf sich dort über
Rohrſtengel über den Waſſerſpiegel, wie der Rohrſperling, daß kein ſchwereres Klettertier mehr hinzu kann. Sie werden zum Schneidervogel, der den Schnabel als Nadel benutzt und feine ſelbſtgedrehte Fäden durch eingeſtochene Blattlöcher zieht, bis das Neſt in einer regelrecht vernähten Blattſcheide ſteckt, die von den lebendigen Blattſtielen frei getragen wird. Und ſie werden endlich zum Webervogel, der aus Wolle und Baſt die zierlichſten Hängekörbchen, Beutel und Flaſchen webt, die ſteil vom freien Aſtende übers Waſſer hinaushängen, ebenfalls gegen jeden Feind wunderſam geſchützt.
In dieſem Neſt kriechen die Jungen aus dem Ei, in un¬ zähligen Fällen völlig hilflos, nur nach Nahrung ſchreiend, Tag und Nacht. Die muß das alte Tier jetzt auch anſchleppen in raſtloſer Arbeit. Und noch der flügge junge Vogel muß angelernt werden.
Kein Zweifel: das iſt unendliche Arbeit. Schon der Neſt¬ bau fordert beide Gatten heran. Wenn das Weibchen brütet, muß der Mann es atzen, oder er muß ihm Mittagspauſen gewähren, wo er ſelbſt die Eier bedeckt. Sind die Jungen da, ſo müſſen beide vereint zutragen. In dieſer Schule iſt es wahrhaftig kein Wunder, daß die beiden, die ſich zur Begattung gewählt, ſich als rechte Eheleute aneinander gewöhnen.
Bei den Zwergpapageien herrſcht (um Schomburgks Wort zu gebrauchen) „die vollkommenſte Harmonie zwiſchen dem beiderſeitigen Wollen und Thun: frißt das eine, ſo thut dies auch das andere; badet ſich dieſes, ſo begleitet es jenes; ſchreit das Männchen, ſo ſtimmt das Weibchen unmittelbar mit ein; wird dieſes krank, ſo füttert es jenes; und wenn noch ſo viele auf einem Baume verſammelt ſind, ſo werden doch niemals die zuſammengehörigen Pärchen ſich trennen.“
Von einem Pärchen der umgekehrt rieſigſten Papageien, der Araras, ſchoß ein Jäger das Weibchen ab und hängte es an den Sattel ſeines Pferdes. Das Männchen folgte dem Reiter bis zu ſeinem Hauſe mitten in der Stadt, warf ſich dort über
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Rohrſtengel über den Waſſerſpiegel, wie der Rohrſperling, daß
kein ſchwereres Klettertier mehr hinzu kann. Sie werden zum
Schneidervogel, der den Schnabel als Nadel benutzt und feine
ſelbſtgedrehte Fäden durch eingeſtochene Blattlöcher zieht, bis
das Neſt in einer regelrecht vernähten Blattſcheide ſteckt, die
von den lebendigen Blattſtielen frei getragen wird. Und ſie
werden endlich zum Webervogel, der aus Wolle und Baſt die
zierlichſten Hängekörbchen, Beutel und Flaſchen webt, die ſteil
vom freien Aſtende übers Waſſer hinaushängen, ebenfalls gegen
jeden Feind wunderſam geſchützt.
In dieſem Neſt kriechen die Jungen aus dem Ei, in un¬
zähligen Fällen völlig hilflos, nur nach Nahrung ſchreiend,
Tag und Nacht. Die muß das alte Tier jetzt auch anſchleppen
in raſtloſer Arbeit. Und noch der flügge junge Vogel muß
angelernt werden.
Kein Zweifel: das iſt unendliche Arbeit. Schon der Neſt¬
bau fordert beide Gatten heran. Wenn das Weibchen brütet,
muß der Mann es atzen, oder er muß ihm Mittagspauſen
gewähren, wo er ſelbſt die Eier bedeckt. Sind die Jungen
da, ſo müſſen beide vereint zutragen. In dieſer Schule iſt es
wahrhaftig kein Wunder, daß die beiden, die ſich zur Begattung
gewählt, ſich als rechte Eheleute aneinander gewöhnen.
Bei den Zwergpapageien herrſcht (um Schomburgks
Wort zu gebrauchen) „die vollkommenſte Harmonie zwiſchen
dem beiderſeitigen Wollen und Thun: frißt das eine, ſo thut
dies auch das andere; badet ſich dieſes, ſo begleitet es jenes;
ſchreit das Männchen, ſo ſtimmt das Weibchen unmittelbar mit
ein; wird dieſes krank, ſo füttert es jenes; und wenn noch ſo
viele auf einem Baume verſammelt ſind, ſo werden doch niemals
die zuſammengehörigen Pärchen ſich trennen.“
Von einem Pärchen der umgekehrt rieſigſten Papageien,
der Araras, ſchoß ein Jäger das Weibchen ab und hängte es an
den Sattel ſeines Pferdes. Das Männchen folgte dem Reiter
bis zu ſeinem Hauſe mitten in der Stadt, warf ſich dort über
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/178>, abgerufen am 23.11.2024.
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