Eizellen bauen will. Es ist dieser Gedanke auch, der den ur¬ sprünglichen wirklich tiefen Kern bildete im kirchlichen Cölibat: der geweihte Mensch, der nur noch ein Geistesträger auf Erden sein soll und darum in freiwilliger Arbeitsteilung Verzicht leistet auf die erotische Seite des Lebens. Bloß daß die tiefere Idee sich hier untrennbar verknüpft hat mit der anderen, die nicht in diesen Zusammenhang gehört: daß die Liebe nicht bloß "ihre Zeit" und vielleicht sogar "ihren Menschen" habe, sondern daß sie selber ein Schlechtes, Teuflisches, Herabziehendes sei. Und bloß auch, daß in der Organisation der Kirche das Cölibat alle Schäden zeitigen mußte, die eine noch so reine Idee erzeugt, wenn sie in die Arme der eisernen Jungfrau Zwang, Autorität, Machtdruck, Parteidisziplin gerät.
Und doch ist es wiederum jene Idee selbst gewesen, die weitab von der Kirche edelste, reinste Genien der Menschheit immer wieder individuell zu einem Cölibat der freiwilligen Entsagung geführt hat. Sie ist es, die uns so oft entgegentritt aus der Biographie großer Dichter, Maler, Musiker und Forscher, wenn der Laie wildere Liebesfahrten als beim Durchschnittsmenschen im Leben des Gewaltigen sucht und der Biograph bekennen muß, daß dieses Blatt hier weit leerer ist als bei unzähligen gewöhnlichen Menschenkindern.
Auch in seinem reinsten Gehalt aber wird dieser extreme Gedankengang, der die Linie von Erotisch und Nichterotisch nicht mehr durch Hülle und Nacktheit des Einzelnen, sondern zwischen Mensch und Mensch durchzieht, immer schwach stehen vor jener einfachsten Lehre, die von winzigen Tieren dieser Erde seit mehr Jahrtausenden, als die ganze Kultur arbeitet, gepredigt wird. Gegen die lebendige Lehre des Bienenvolkes und Ameisenvolkes! Bei ihnen ist der Typus der Art zer¬ spalten in dreierlei Individuen: Mann, Weib und geschlechts¬ loses Arbeitswesen. Zu vielen tausenden stehen die unerotischen Arbeitsbienen der einen erotisch veranlagten Königin gegenüber. Was ist der Erfolg gewesen? Wir haben davon gesprochen.
Eizellen bauen will. Es iſt dieſer Gedanke auch, der den ur¬ ſprünglichen wirklich tiefen Kern bildete im kirchlichen Cölibat: der geweihte Menſch, der nur noch ein Geiſtesträger auf Erden ſein ſoll und darum in freiwilliger Arbeitsteilung Verzicht leiſtet auf die erotiſche Seite des Lebens. Bloß daß die tiefere Idee ſich hier untrennbar verknüpft hat mit der anderen, die nicht in dieſen Zuſammenhang gehört: daß die Liebe nicht bloß „ihre Zeit“ und vielleicht ſogar „ihren Menſchen“ habe, ſondern daß ſie ſelber ein Schlechtes, Teufliſches, Herabziehendes ſei. Und bloß auch, daß in der Organiſation der Kirche das Cölibat alle Schäden zeitigen mußte, die eine noch ſo reine Idee erzeugt, wenn ſie in die Arme der eiſernen Jungfrau Zwang, Autorität, Machtdruck, Parteidisziplin gerät.
Und doch iſt es wiederum jene Idee ſelbſt geweſen, die weitab von der Kirche edelſte, reinſte Genien der Menſchheit immer wieder individuell zu einem Cölibat der freiwilligen Entſagung geführt hat. Sie iſt es, die uns ſo oft entgegentritt aus der Biographie großer Dichter, Maler, Muſiker und Forſcher, wenn der Laie wildere Liebesfahrten als beim Durchſchnittsmenſchen im Leben des Gewaltigen ſucht und der Biograph bekennen muß, daß dieſes Blatt hier weit leerer iſt als bei unzähligen gewöhnlichen Menſchenkindern.
Auch in ſeinem reinſten Gehalt aber wird dieſer extreme Gedankengang, der die Linie von Erotiſch und Nichterotiſch nicht mehr durch Hülle und Nacktheit des Einzelnen, ſondern zwiſchen Menſch und Menſch durchzieht, immer ſchwach ſtehen vor jener einfachſten Lehre, die von winzigen Tieren dieſer Erde ſeit mehr Jahrtauſenden, als die ganze Kultur arbeitet, gepredigt wird. Gegen die lebendige Lehre des Bienenvolkes und Ameiſenvolkes! Bei ihnen iſt der Typus der Art zer¬ ſpalten in dreierlei Individuen: Mann, Weib und geſchlechts¬ loſes Arbeitsweſen. Zu vielen tauſenden ſtehen die unerotiſchen Arbeitsbienen der einen erotiſch veranlagten Königin gegenüber. Was iſt der Erfolg geweſen? Wir haben davon geſprochen.
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Eizellen bauen will. Es iſt dieſer Gedanke auch, der den ur¬
ſprünglichen wirklich tiefen Kern bildete im kirchlichen Cölibat:
der geweihte Menſch, der nur noch ein Geiſtesträger auf Erden
ſein ſoll und darum in freiwilliger Arbeitsteilung Verzicht
leiſtet auf die erotiſche Seite des Lebens. Bloß daß die tiefere
Idee ſich hier untrennbar verknüpft hat mit der anderen, die
nicht in dieſen Zuſammenhang gehört: daß die Liebe nicht bloß
„ihre Zeit“ und vielleicht ſogar „ihren Menſchen“ habe, ſondern
daß ſie ſelber ein Schlechtes, Teufliſches, Herabziehendes ſei.
Und bloß auch, daß in der Organiſation der Kirche das Cölibat
alle Schäden zeitigen mußte, die eine noch ſo reine Idee erzeugt,
wenn ſie in die Arme der eiſernen Jungfrau Zwang, Autorität,
Machtdruck, Parteidisziplin gerät.
Und doch iſt es wiederum jene Idee ſelbſt geweſen, die
weitab von der Kirche edelſte, reinſte Genien der Menſchheit
immer wieder individuell zu einem Cölibat der freiwilligen
Entſagung geführt hat. Sie iſt es, die uns ſo oft entgegentritt
aus der Biographie großer Dichter, Maler, Muſiker und
Forſcher, wenn der Laie wildere Liebesfahrten als beim
Durchſchnittsmenſchen im Leben des Gewaltigen ſucht und der
Biograph bekennen muß, daß dieſes Blatt hier weit leerer iſt
als bei unzähligen gewöhnlichen Menſchenkindern.
Auch in ſeinem reinſten Gehalt aber wird dieſer extreme
Gedankengang, der die Linie von Erotiſch und Nichterotiſch
nicht mehr durch Hülle und Nacktheit des Einzelnen, ſondern
zwiſchen Menſch und Menſch durchzieht, immer ſchwach ſtehen
vor jener einfachſten Lehre, die von winzigen Tieren dieſer
Erde ſeit mehr Jahrtauſenden, als die ganze Kultur arbeitet,
gepredigt wird. Gegen die lebendige Lehre des Bienenvolkes
und Ameiſenvolkes! Bei ihnen iſt der Typus der Art zer¬
ſpalten in dreierlei Individuen: Mann, Weib und geſchlechts¬
loſes Arbeitsweſen. Zu vielen tauſenden ſtehen die unerotiſchen
Arbeitsbienen der einen erotiſch veranlagten Königin gegenüber.
Was iſt der Erfolg geweſen? Wir haben davon geſprochen.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/147>, abgerufen am 21.11.2024.
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