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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903.

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war. Aus unseren Zeiten, aus der Mitte unserer Kultur
stammt die Geschichte von dem Rabbiner, der, um kein Metall
an die Vorhaut zu bringen, die Beschneidung der ihm anver¬
trauten Kinder mit den Zähnen vollzog. Das Unglück wollte,
daß er syphilitisch war und so unendliches Elend verbreitete.

Er selber wird so wenig gewußt haben, warum er so
handelte, wie die meisten von heute es wissen, denen durch
ihre Religionsgemeinschaft der Akt etwas selbstverständliches
geworden ist. Wie viel Träume, Ideen, Grübeleien, dumpfe
Erkenntnisse, wieviel Mut und Thatkraft des erwachenden
Menschen lagen darin, -- dieses unbändigen Prometheus, der
mit seinem Werkzeug die alte Natur meistern, bessern, bilden
wollte, ob auch das eigene Blut in Strömen floß. Um den
größten Akt des Lebens, das über die Einzelpersonen hinaus¬
griff, handelte es sich. Das ganze Ringen, das unsagbar
verwickelte Experimentieren der lebendigen Natur auf Erden
erscheint konzentriert auf einmal vor solchen Versuchen in ihm.
Sein Gehirn, seine Hand wollen jetzt das Werk des alten
Organgeistes fortführen. Noch sind sie jung, man darf sich nicht
wundern, daß sie roh zutappen. Auch die Natur unter ihm
hat ja eine Wolke goldenen Kiefernstaubes verpulvert, um ein
Bäumlein zu schaffen. So watet er in Blut, um eine kleine
Linie nur einmal wieder weiter zu finden in der Liebesbahn.
Als sein Gemüt sich verfeinert, vor dem wilden Schneiden am
Leibe eines armen weinenden Kindleins zurückschaudert, da
beschwört er die höchsten Geistesgewalten seines Lebens: Reli¬
gion muß die Beschneidung heiligen, die Götter führen das
Messer. Bis endlich in unseren Tagen noch wieder eine
höhere Instanz seiner selbst still das Alte aufnimmt, die
medizinische Wissenschaft, -- dort es besonnen wahrend, wo es
nötig ist, dort es wieder ausmerzend, wo nur Übertreibung es
allgemein gemacht.

Ungefähr ein Siebentel der gesamten Menschheit auf
Erden ist heute noch beschnitten. Es sind ja nicht die Juden

war. Aus unſeren Zeiten, aus der Mitte unſerer Kultur
ſtammt die Geſchichte von dem Rabbiner, der, um kein Metall
an die Vorhaut zu bringen, die Beſchneidung der ihm anver¬
trauten Kinder mit den Zähnen vollzog. Das Unglück wollte,
daß er ſyphilitiſch war und ſo unendliches Elend verbreitete.

Er ſelber wird ſo wenig gewußt haben, warum er ſo
handelte, wie die meiſten von heute es wiſſen, denen durch
ihre Religionsgemeinſchaft der Akt etwas ſelbſtverſtändliches
geworden iſt. Wie viel Träume, Ideen, Grübeleien, dumpfe
Erkenntniſſe, wieviel Mut und Thatkraft des erwachenden
Menſchen lagen darin, — dieſes unbändigen Prometheus, der
mit ſeinem Werkzeug die alte Natur meiſtern, beſſern, bilden
wollte, ob auch das eigene Blut in Strömen floß. Um den
größten Akt des Lebens, das über die Einzelperſonen hinaus¬
griff, handelte es ſich. Das ganze Ringen, das unſagbar
verwickelte Experimentieren der lebendigen Natur auf Erden
erſcheint konzentriert auf einmal vor ſolchen Verſuchen in ihm.
Sein Gehirn, ſeine Hand wollen jetzt das Werk des alten
Organgeiſtes fortführen. Noch ſind ſie jung, man darf ſich nicht
wundern, daß ſie roh zutappen. Auch die Natur unter ihm
hat ja eine Wolke goldenen Kiefernſtaubes verpulvert, um ein
Bäumlein zu ſchaffen. So watet er in Blut, um eine kleine
Linie nur einmal wieder weiter zu finden in der Liebesbahn.
Als ſein Gemüt ſich verfeinert, vor dem wilden Schneiden am
Leibe eines armen weinenden Kindleins zurückſchaudert, da
beſchwört er die höchſten Geiſtesgewalten ſeines Lebens: Reli¬
gion muß die Beſchneidung heiligen, die Götter führen das
Meſſer. Bis endlich in unſeren Tagen noch wieder eine
höhere Inſtanz ſeiner ſelbſt ſtill das Alte aufnimmt, die
mediziniſche Wiſſenſchaft, — dort es beſonnen wahrend, wo es
nötig iſt, dort es wieder ausmerzend, wo nur Übertreibung es
allgemein gemacht.

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Erden iſt heute noch beſchnitten. Es ſind ja nicht die Juden

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[120/0134] war. Aus unſeren Zeiten, aus der Mitte unſerer Kultur ſtammt die Geſchichte von dem Rabbiner, der, um kein Metall an die Vorhaut zu bringen, die Beſchneidung der ihm anver¬ trauten Kinder mit den Zähnen vollzog. Das Unglück wollte, daß er ſyphilitiſch war und ſo unendliches Elend verbreitete. Er ſelber wird ſo wenig gewußt haben, warum er ſo handelte, wie die meiſten von heute es wiſſen, denen durch ihre Religionsgemeinſchaft der Akt etwas ſelbſtverſtändliches geworden iſt. Wie viel Träume, Ideen, Grübeleien, dumpfe Erkenntniſſe, wieviel Mut und Thatkraft des erwachenden Menſchen lagen darin, — dieſes unbändigen Prometheus, der mit ſeinem Werkzeug die alte Natur meiſtern, beſſern, bilden wollte, ob auch das eigene Blut in Strömen floß. Um den größten Akt des Lebens, das über die Einzelperſonen hinaus¬ griff, handelte es ſich. Das ganze Ringen, das unſagbar verwickelte Experimentieren der lebendigen Natur auf Erden erſcheint konzentriert auf einmal vor ſolchen Verſuchen in ihm. Sein Gehirn, ſeine Hand wollen jetzt das Werk des alten Organgeiſtes fortführen. Noch ſind ſie jung, man darf ſich nicht wundern, daß ſie roh zutappen. Auch die Natur unter ihm hat ja eine Wolke goldenen Kiefernſtaubes verpulvert, um ein Bäumlein zu ſchaffen. So watet er in Blut, um eine kleine Linie nur einmal wieder weiter zu finden in der Liebesbahn. Als ſein Gemüt ſich verfeinert, vor dem wilden Schneiden am Leibe eines armen weinenden Kindleins zurückſchaudert, da beſchwört er die höchſten Geiſtesgewalten ſeines Lebens: Reli¬ gion muß die Beſchneidung heiligen, die Götter führen das Meſſer. Bis endlich in unſeren Tagen noch wieder eine höhere Inſtanz ſeiner ſelbſt ſtill das Alte aufnimmt, die mediziniſche Wiſſenſchaft, — dort es beſonnen wahrend, wo es nötig iſt, dort es wieder ausmerzend, wo nur Übertreibung es allgemein gemacht. Ungefähr ein Siebentel der geſamten Menſchheit auf Erden iſt heute noch beſchnitten. Es ſind ja nicht die Juden

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 3. Leipzig, 1903, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben03_1903/134>, abgerufen am 21.11.2024.