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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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zum teil mit in Rechnung gezogen sind. Ein drittes Auge
noch nach der Bauchseite hätte wenig Zweck gehabt und wäre
schlecht mit dem Gehirn zu verbinden gewesen, das nun einmal
beim Wirbeltier konsequent über dem Mund und Darm lag.
Eher hätte sich schon ein Cyklopenauge oben auf dem Schlauch,
also auf dem Kopf, bilden lassen, und in der That ist bei
einer Anzahl mittlerer Wirbeltiere (zum Beispiel bei aus¬
gestorbenen molchähnlichen Amphibien und verkümmert bei noch
lebenden Eidechsen) ein solches Parietal- oder Scheitelauge vor¬
handen. Es hat sich erst bei den höheren Wirbeltieren wieder
vollständig verloren, wahrscheinlich weil die Beweglichkeit des
Kopfes, die bequem auch mit den Seitenaugen nach oben sehen
ließ, es doch auch überflüssig machte -- und andererseits in
Kampf und Gefahr der exponierte Fleck da oben sich zu schlecht
bewährte; lieber da oben einheitliche harte Schädelmasse, die
gelegentlich auch einen derben Puff aushielt, als ein so zartes
und zerbrechliches Ding, wie ein Auge. Du siehst aber: der
Cyklop des Märchens ist an sich, wie das meiste solcher Menschen¬
märchen, gar nicht übel erfunden gewesen. Bloß dichtet er den
Menschen nicht genügend darwinistisch-scharfsinnig nach vorwärts
um -- er läßt ihn zu etwas zurückkehren, was die Eidechsen
schon als unpraktisch hinter sich gelassen haben.

Mindestens wird dir so klar sein, wie die Doppel¬
entwickelung von Organen jetzt an beiden Schlauchseiten über¬
haupt eine Art Notwendigkeit werden mußte. Wie mit den
Augenfenstern, so ging es auch mit den Telephonleitungen des
Fisch-Hauses: je ein Ohr kam an jede der beiden freien Wände.
Und vollends so mußte es gehen mit den Bewegungsgliedern,
als solche beim Haifisch zuerst auftraten.

Nimm noch einmal jenes Haus, das hinten und vorne
eine Thür und rechts und links je ein Fenster hat. Ver¬
wandle es dir in einen Pferdebahnwagen, der sich vorwärts
bewegen soll. Wo bringst du die Räder an? Rechts und links
natürlich. Und wenn es ein schlauchartig langer Darm von

zum teil mit in Rechnung gezogen ſind. Ein drittes Auge
noch nach der Bauchſeite hätte wenig Zweck gehabt und wäre
ſchlecht mit dem Gehirn zu verbinden geweſen, das nun einmal
beim Wirbeltier konſequent über dem Mund und Darm lag.
Eher hätte ſich ſchon ein Cyklopenauge oben auf dem Schlauch,
alſo auf dem Kopf, bilden laſſen, und in der That iſt bei
einer Anzahl mittlerer Wirbeltiere (zum Beiſpiel bei aus¬
geſtorbenen molchähnlichen Amphibien und verkümmert bei noch
lebenden Eidechſen) ein ſolches Parietal- oder Scheitelauge vor¬
handen. Es hat ſich erſt bei den höheren Wirbeltieren wieder
vollſtändig verloren, wahrſcheinlich weil die Beweglichkeit des
Kopfes, die bequem auch mit den Seitenaugen nach oben ſehen
ließ, es doch auch überflüſſig machte — und andererſeits in
Kampf und Gefahr der exponierte Fleck da oben ſich zu ſchlecht
bewährte; lieber da oben einheitliche harte Schädelmaſſe, die
gelegentlich auch einen derben Puff aushielt, als ein ſo zartes
und zerbrechliches Ding, wie ein Auge. Du ſiehſt aber: der
Cyklop des Märchens iſt an ſich, wie das meiſte ſolcher Menſchen¬
märchen, gar nicht übel erfunden geweſen. Bloß dichtet er den
Menſchen nicht genügend darwiniſtiſch-ſcharfſinnig nach vorwärts
um — er läßt ihn zu etwas zurückkehren, was die Eidechſen
ſchon als unpraktiſch hinter ſich gelaſſen haben.

Mindeſtens wird dir ſo klar ſein, wie die Doppel¬
entwickelung von Organen jetzt an beiden Schlauchſeiten über¬
haupt eine Art Notwendigkeit werden mußte. Wie mit den
Augenfenſtern, ſo ging es auch mit den Telephonleitungen des
Fiſch-Hauſes: je ein Ohr kam an jede der beiden freien Wände.
Und vollends ſo mußte es gehen mit den Bewegungsgliedern,
als ſolche beim Haifiſch zuerſt auftraten.

Nimm noch einmal jenes Haus, das hinten und vorne
eine Thür und rechts und links je ein Fenſter hat. Ver¬
wandle es dir in einen Pferdebahnwagen, der ſich vorwärts
bewegen ſoll. Wo bringſt du die Räder an? Rechts und links
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[82/0098] zum teil mit in Rechnung gezogen ſind. Ein drittes Auge noch nach der Bauchſeite hätte wenig Zweck gehabt und wäre ſchlecht mit dem Gehirn zu verbinden geweſen, das nun einmal beim Wirbeltier konſequent über dem Mund und Darm lag. Eher hätte ſich ſchon ein Cyklopenauge oben auf dem Schlauch, alſo auf dem Kopf, bilden laſſen, und in der That iſt bei einer Anzahl mittlerer Wirbeltiere (zum Beiſpiel bei aus¬ geſtorbenen molchähnlichen Amphibien und verkümmert bei noch lebenden Eidechſen) ein ſolches Parietal- oder Scheitelauge vor¬ handen. Es hat ſich erſt bei den höheren Wirbeltieren wieder vollſtändig verloren, wahrſcheinlich weil die Beweglichkeit des Kopfes, die bequem auch mit den Seitenaugen nach oben ſehen ließ, es doch auch überflüſſig machte — und andererſeits in Kampf und Gefahr der exponierte Fleck da oben ſich zu ſchlecht bewährte; lieber da oben einheitliche harte Schädelmaſſe, die gelegentlich auch einen derben Puff aushielt, als ein ſo zartes und zerbrechliches Ding, wie ein Auge. Du ſiehſt aber: der Cyklop des Märchens iſt an ſich, wie das meiſte ſolcher Menſchen¬ märchen, gar nicht übel erfunden geweſen. Bloß dichtet er den Menſchen nicht genügend darwiniſtiſch-ſcharfſinnig nach vorwärts um — er läßt ihn zu etwas zurückkehren, was die Eidechſen ſchon als unpraktiſch hinter ſich gelaſſen haben. Mindeſtens wird dir ſo klar ſein, wie die Doppel¬ entwickelung von Organen jetzt an beiden Schlauchſeiten über¬ haupt eine Art Notwendigkeit werden mußte. Wie mit den Augenfenſtern, ſo ging es auch mit den Telephonleitungen des Fiſch-Hauſes: je ein Ohr kam an jede der beiden freien Wände. Und vollends ſo mußte es gehen mit den Bewegungsgliedern, als ſolche beim Haifiſch zuerſt auftraten. Nimm noch einmal jenes Haus, das hinten und vorne eine Thür und rechts und links je ein Fenſter hat. Ver¬ wandle es dir in einen Pferdebahnwagen, der ſich vorwärts bewegen ſoll. Wo bringſt du die Räder an? Rechts und links natürlich. Und wenn es ein ſchlauchartig langer Darm von

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/98>, abgerufen am 22.11.2024.