da wie ein stolzes Königreich solcher Zellen. Wohl hub auch er einmal an mit zwei Zellen nur: der Samenzelle und der Eizelle. Ja, die verschmolzen -- und nun war's nur noch eine einzige Zelle überhaupt. Aber diese Zelle hat sich dann gemehrt, als sei sie in einer Märchen-Bank auf Wucher-Zinsen gelegt: ungezählte Milliarden von Zellen bilden heute deinen fertigen Leib. Wie du hier jetzt im Grase liegst, hast du in deinem Leibe allein etwa zehn Pfund Blut. In diesem Blute kreisen rote Körperchen, die sogenannten Blutkörperchen. Jedes stellt eine (wenn auch etwas veränderte, des Kernes beraubte) Zelle dar. Jene zehn Pfund Blut enthalten aber nun schon rund fünfundzwanzig Milliarden roter Blutkörperchen, -- jedes im Werte einem ganzen einzelnen Bakterium gleich. Du bist einfach weit, weit über das Bakterium hinaus, -- eine Milch¬ straße des Lebendigen gegen ein Meteor-Splitterchen. Gerade darin aber kommst du mit Pflanze und Tier zusammen. Auch der Palmbaum besteht aus so viel Zellen, daß dir schwindelte, wenn du sie zählen solltest. Und die Auster, die Schildkröte, der Vogel, die Robbe sind jedes für sich Zell-Pyramiden ähn¬ licher Art. Also Tier bist du, lehrt dein großer Zellenbau¬ meister Leib, -- oder Pflanze; nicht ein-zelliges Bakterium. Aber was nun da wieder: Tier oder Pflanze?
Für deinen jungen Geist könnte das so recht wieder eine Doktorfrage werden, des Schweißes der Philosophen wert. Dein Leib aber entscheidet augenblicklich. Er hat auch hier wieder ein altes Pensum eingepaukt in sich, das er erledigt, ob mit, ob trotz all deiner Philosophie. Und dieses Pensum heißt in Worten einfach: ich bin nicht Pflanze, sondern Tier. Unter deinen Brustwarzen, deinen Brüsten hier, von denen wir vorhin gesprochen haben, hebt und senkt sich leise dein Brustkasten. Du athmest. Die Zellen deines Leibes bilden da drunter einen doppelten Sack, die Lunge. Sie nimmt Luft auf und verarbeitet sie für den Körper. Sauerstoff nimmt sie auf ins Blut, die unbrauchbare schädliche Kohlensäure atmet
da wie ein ſtolzes Königreich ſolcher Zellen. Wohl hub auch er einmal an mit zwei Zellen nur: der Samenzelle und der Eizelle. Ja, die verſchmolzen — und nun war’s nur noch eine einzige Zelle überhaupt. Aber dieſe Zelle hat ſich dann gemehrt, als ſei ſie in einer Märchen-Bank auf Wucher-Zinſen gelegt: ungezählte Milliarden von Zellen bilden heute deinen fertigen Leib. Wie du hier jetzt im Graſe liegſt, haſt du in deinem Leibe allein etwa zehn Pfund Blut. In dieſem Blute kreiſen rote Körperchen, die ſogenannten Blutkörperchen. Jedes ſtellt eine (wenn auch etwas veränderte, des Kernes beraubte) Zelle dar. Jene zehn Pfund Blut enthalten aber nun ſchon rund fünfundzwanzig Milliarden roter Blutkörperchen, — jedes im Werte einem ganzen einzelnen Bakterium gleich. Du biſt einfach weit, weit über das Bakterium hinaus, — eine Milch¬ ſtraße des Lebendigen gegen ein Meteor-Splitterchen. Gerade darin aber kommſt du mit Pflanze und Tier zuſammen. Auch der Palmbaum beſteht aus ſo viel Zellen, daß dir ſchwindelte, wenn du ſie zählen ſollteſt. Und die Auſter, die Schildkröte, der Vogel, die Robbe ſind jedes für ſich Zell-Pyramiden ähn¬ licher Art. Alſo Tier biſt du, lehrt dein großer Zellenbau¬ meiſter Leib, — oder Pflanze; nicht ein-zelliges Bakterium. Aber was nun da wieder: Tier oder Pflanze?
Für deinen jungen Geiſt könnte das ſo recht wieder eine Doktorfrage werden, des Schweißes der Philoſophen wert. Dein Leib aber entſcheidet augenblicklich. Er hat auch hier wieder ein altes Penſum eingepaukt in ſich, das er erledigt, ob mit, ob trotz all deiner Philoſophie. Und dieſes Penſum heißt in Worten einfach: ich bin nicht Pflanze, ſondern Tier. Unter deinen Bruſtwarzen, deinen Brüſten hier, von denen wir vorhin geſprochen haben, hebt und ſenkt ſich leiſe dein Bruſtkaſten. Du athmeſt. Die Zellen deines Leibes bilden da drunter einen doppelten Sack, die Lunge. Sie nimmt Luft auf und verarbeitet ſie für den Körper. Sauerſtoff nimmt ſie auf ins Blut, die unbrauchbare ſchädliche Kohlenſäure atmet
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da wie ein ſtolzes Königreich ſolcher Zellen. Wohl hub auch
er einmal an mit zwei Zellen nur: der Samenzelle und der
Eizelle. Ja, die verſchmolzen — und nun war’s nur noch
eine einzige Zelle überhaupt. Aber dieſe Zelle hat ſich dann
gemehrt, als ſei ſie in einer Märchen-Bank auf Wucher-Zinſen
gelegt: ungezählte Milliarden von Zellen bilden heute deinen
fertigen Leib. Wie du hier jetzt im Graſe liegſt, haſt du in
deinem Leibe allein etwa zehn Pfund Blut. In dieſem Blute
kreiſen rote Körperchen, die ſogenannten Blutkörperchen. Jedes
ſtellt eine (wenn auch etwas veränderte, des Kernes beraubte)
Zelle dar. Jene zehn Pfund Blut enthalten aber nun ſchon
rund fünfundzwanzig Milliarden roter Blutkörperchen, — jedes
im Werte einem ganzen einzelnen Bakterium gleich. Du biſt
einfach weit, weit über das Bakterium hinaus, — eine Milch¬
ſtraße des Lebendigen gegen ein Meteor-Splitterchen. Gerade
darin aber kommſt du mit Pflanze und Tier zuſammen. Auch
der Palmbaum beſteht aus ſo viel Zellen, daß dir ſchwindelte,
wenn du ſie zählen ſollteſt. Und die Auſter, die Schildkröte,
der Vogel, die Robbe ſind jedes für ſich Zell-Pyramiden ähn¬
licher Art. Alſo Tier biſt du, lehrt dein großer Zellenbau¬
meiſter Leib, — oder Pflanze; nicht ein-zelliges Bakterium.
Aber was nun da wieder: Tier oder Pflanze?
Für deinen jungen Geiſt könnte das ſo recht wieder eine
Doktorfrage werden, des Schweißes der Philoſophen wert.
Dein Leib aber entſcheidet augenblicklich. Er hat auch hier
wieder ein altes Penſum eingepaukt in ſich, das er erledigt,
ob mit, ob trotz all deiner Philoſophie. Und dieſes Penſum
heißt in Worten einfach: ich bin nicht Pflanze, ſondern Tier.
Unter deinen Bruſtwarzen, deinen Brüſten hier, von denen
wir vorhin geſprochen haben, hebt und ſenkt ſich leiſe dein
Bruſtkaſten. Du athmeſt. Die Zellen deines Leibes bilden
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auf und verarbeitet ſie für den Körper. Sauerſtoff nimmt ſie
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/82>, abgerufen am 24.11.2024.
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