wie bei Gott, es ist zu groß. Es ist das Welträtsel. Ein ungeheures Lichtband Gott ist die Welt. Und eine ungeheure Wolke rinnenden Staubes. Orionweiten hier wie dort. Wie der alte Lucretius singt: Tritt ans Ende alles Erkannten und wirf mit kühner Hand einen Speer hinaus: er fliegt neuen Welten zu. Welten, die vor dir glimmen wie silberner Staub. Welten, die immer noch Gott sind, wie der Orion, wie die Sonne, wie du. Gott wie Staub: sie sind keine Antwort, sie sind Welt. An Kleineres, Engeres, Näheres mußt du dich wenden für deine Frage, woher der Mensch und seine Liebe auf diesem Planeten Erde kamen. Du sagst: "Gott schuf ihn aus Staub." Ich sage: Staub ist Gott; Gott ist Staub. Auf dem Wege dieser Gottwerdung des Staubes steht aller¬ dings der Mensch. Aber wo ....? Das Wort hilft nichts. Wir müssen uns anderswo und schwerer die Stelle suchen.
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Und so wäre der Flug des rein grübelnden Geistes hier lahm gelegt. Der eine Weg wäre verrammelt. Am Ende dieses stolzen Geistesfeldzuges bliebe nichts anderes übrig als eine gewisse Melancholie. Ja, wir müssen uns das wirklich eingestehen, so schwer es fällt: in dem ganzen Stück Welt¬ historie von Urtagen der Erde bis heute, das wir kennen, giebt es eigentlich keine seltsamere, rührendere und doch auch lehrreichere Thatsache als diese: wie lautlos, belanglos, bei¬ nah wie eine Bagatelle das wirkliche und natürliche Auftauchen des Menschen auf dieser Erde sich vollzogen hat. Unsere Natur¬ erkenntnis bis in ferne Vergangenheit hinein hat so helle Bilder. Diese ungeheure, dämonische Sache aber verbirgt sich wie in einem Zwischenakt.
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wie bei Gott, es iſt zu groß. Es iſt das Welträtſel. Ein ungeheures Lichtband Gott iſt die Welt. Und eine ungeheure Wolke rinnenden Staubes. Orionweiten hier wie dort. Wie der alte Lucretius ſingt: Tritt ans Ende alles Erkannten und wirf mit kühner Hand einen Speer hinaus: er fliegt neuen Welten zu. Welten, die vor dir glimmen wie ſilberner Staub. Welten, die immer noch Gott ſind, wie der Orion, wie die Sonne, wie du. Gott wie Staub: ſie ſind keine Antwort, ſie ſind Welt. An Kleineres, Engeres, Näheres mußt du dich wenden für deine Frage, woher der Menſch und ſeine Liebe auf dieſem Planeten Erde kamen. Du ſagſt: „Gott ſchuf ihn aus Staub.“ Ich ſage: Staub iſt Gott; Gott iſt Staub. Auf dem Wege dieſer Gottwerdung des Staubes ſteht aller¬ dings der Menſch. Aber wo ....? Das Wort hilft nichts. Wir müſſen uns anderswo und ſchwerer die Stelle ſuchen.
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Und ſo wäre der Flug des rein grübelnden Geiſtes hier lahm gelegt. Der eine Weg wäre verrammelt. Am Ende dieſes ſtolzen Geiſtesfeldzuges bliebe nichts anderes übrig als eine gewiſſe Melancholie. Ja, wir müſſen uns das wirklich eingeſtehen, ſo ſchwer es fällt: in dem ganzen Stück Welt¬ hiſtorie von Urtagen der Erde bis heute, das wir kennen, giebt es eigentlich keine ſeltſamere, rührendere und doch auch lehrreichere Thatſache als dieſe: wie lautlos, belanglos, bei¬ nah wie eine Bagatelle das wirkliche und natürliche Auftauchen des Menſchen auf dieſer Erde ſich vollzogen hat. Unſere Natur¬ erkenntnis bis in ferne Vergangenheit hinein hat ſo helle Bilder. Dieſe ungeheure, dämoniſche Sache aber verbirgt ſich wie in einem Zwiſchenakt.
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wie bei Gott, es iſt zu groß. Es iſt das Welträtſel. Ein
ungeheures Lichtband Gott iſt die Welt. Und eine ungeheure
Wolke rinnenden Staubes. Orionweiten hier wie dort. Wie
der alte Lucretius ſingt: Tritt ans Ende alles Erkannten und
wirf mit kühner Hand einen Speer hinaus: er fliegt neuen
Welten zu. Welten, die vor dir glimmen wie ſilberner Staub.
Welten, die immer noch Gott ſind, wie der Orion, wie die
Sonne, wie du. Gott wie Staub: ſie ſind keine Antwort, ſie
ſind Welt. An Kleineres, Engeres, Näheres mußt du dich
wenden für deine Frage, woher der Menſch und ſeine Liebe
auf dieſem Planeten Erde kamen. Du ſagſt: „Gott ſchuf ihn
aus Staub.“ Ich ſage: Staub iſt Gott; Gott iſt Staub.
Auf dem Wege dieſer Gottwerdung des Staubes ſteht aller¬
dings der Menſch. Aber wo ....? Das Wort hilft nichts.
Wir müſſen uns anderswo und ſchwerer die Stelle ſuchen.
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Und ſo wäre der Flug des rein grübelnden Geiſtes hier
lahm gelegt. Der eine Weg wäre verrammelt. Am Ende
dieſes ſtolzen Geiſtesfeldzuges bliebe nichts anderes übrig als
eine gewiſſe Melancholie. Ja, wir müſſen uns das wirklich
eingeſtehen, ſo ſchwer es fällt: in dem ganzen Stück Welt¬
hiſtorie von Urtagen der Erde bis heute, das wir kennen,
giebt es eigentlich keine ſeltſamere, rührendere und doch auch
lehrreichere Thatſache als dieſe: wie lautlos, belanglos, bei¬
nah wie eine Bagatelle das wirkliche und natürliche Auftauchen
des Menſchen auf dieſer Erde ſich vollzogen hat. Unſere Natur¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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