Sirius und Aldebaran, Wega und Beteigeuze, er wird der wirbelnde Maelstrom des Spiralnebels im Sternbild der Jagdhunde und der Nebelring in der Leyer. In dieses Gottes Riesenleib ist jetzt die ganze Bahn der Sonne von den flammen¬ den Urwelten des Orion bis zu den fernen Zukunftssternen des Herkules ein winzigstes Äderchen, das ein Blutkügelchen durcheilt. In Gottes zeitlicher Entfaltung trabt das Mammut, schwimmt der Ichthyosaurus, fällt die ganze Erde wie ein Lichtstäubchen aus der Nacht und wieder in die Nacht. Das sind wir jetzt -- und unser Gott. In Gott alles eingegangen bis zum letzten glimmenden Sternenpünktchen des Alls, in Gott das ganze Naturgesetz, alle unzerstörbare, nur sich wandelnde Kraft, in Gott die ganze natürliche Entwickelung Darwins. In Gott das ganze Leben des Alls, von dem wir ahnen, daß es in unendlichen leuchtenden Katarakten auch über das hinabströmt, was wir heute noch das Anorganische nennen, und daß es mindestens in großen Flammensäulen aufbrennt, so weit Millionen wohnlicher Gestirne ziehn. In Gottes Adern starrt das Fernrohr, das schwindelnd in Milch¬ straßen versinkt. Gott ist es, den das Prisma zu sieben blüh¬ enden Farben bricht. Gott ist der Stein von Hildburghausen, der einst Meeresschlamm war und in dem sich die Fährte eines verschollenen froschartigen Ungeheuers abgedrückt hat. "Gott schuf" heißt nichts anderes, als: auch der Mensch wurde in ihm, wurde in der Welt. Aber diese Antwort zerflattert in Orionweiten. Das Wort ist endlich zur vollen Größe erwacht. Aber nun ist es zu groß für die einzelne Antwort. In seiner Riesenhand stürzt der kleine Erdenmensch von Stern zu Stern in das unerschöpfliche Danaidenfaß der Weltentiefe hinab. Es ist so gut wie keine Antwort mehr. Gewiß hängt der Mensch auch im Gewebe dieser ganzen Welt. Alle diese Sterne, alle diese Zeiten flossen zusammen auch in ihm. Aber das enträtseln!! Enträtseln vom Saum dieses winzigen Planeten aus, enträtseln von dieser Menschenweisheit
Sirius und Aldebaran, Wega und Beteigeuze, er wird der wirbelnde Maelſtrom des Spiralnebels im Sternbild der Jagdhunde und der Nebelring in der Leyer. In dieſes Gottes Rieſenleib iſt jetzt die ganze Bahn der Sonne von den flammen¬ den Urwelten des Orion bis zu den fernen Zukunftsſternen des Herkules ein winzigſtes Äderchen, das ein Blutkügelchen durcheilt. In Gottes zeitlicher Entfaltung trabt das Mammut, ſchwimmt der Ichthyoſaurus, fällt die ganze Erde wie ein Lichtſtäubchen aus der Nacht und wieder in die Nacht. Das ſind wir jetzt — und unſer Gott. In Gott alles eingegangen bis zum letzten glimmenden Sternenpünktchen des Alls, in Gott das ganze Naturgeſetz, alle unzerſtörbare, nur ſich wandelnde Kraft, in Gott die ganze natürliche Entwickelung Darwins. In Gott das ganze Leben des Alls, von dem wir ahnen, daß es in unendlichen leuchtenden Katarakten auch über das hinabſtrömt, was wir heute noch das Anorganiſche nennen, und daß es mindeſtens in großen Flammenſäulen aufbrennt, ſo weit Millionen wohnlicher Geſtirne ziehn. In Gottes Adern ſtarrt das Fernrohr, das ſchwindelnd in Milch¬ ſtraßen verſinkt. Gott iſt es, den das Prisma zu ſieben blüh¬ enden Farben bricht. Gott iſt der Stein von Hildburghauſen, der einſt Meeresſchlamm war und in dem ſich die Fährte eines verſchollenen froſchartigen Ungeheuers abgedrückt hat. „Gott ſchuf“ heißt nichts anderes, als: auch der Menſch wurde in ihm, wurde in der Welt. Aber dieſe Antwort zerflattert in Orionweiten. Das Wort iſt endlich zur vollen Größe erwacht. Aber nun iſt es zu groß für die einzelne Antwort. In ſeiner Rieſenhand ſtürzt der kleine Erdenmenſch von Stern zu Stern in das unerſchöpfliche Danaidenfaß der Weltentiefe hinab. Es iſt ſo gut wie keine Antwort mehr. Gewiß hängt der Menſch auch im Gewebe dieſer ganzen Welt. Alle dieſe Sterne, alle dieſe Zeiten floſſen zuſammen auch in ihm. Aber das enträtſeln!! Enträtſeln vom Saum dieſes winzigen Planeten aus, enträtſeln von dieſer Menſchenweisheit
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Sirius und Aldebaran, Wega und Beteigeuze, er wird der
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Jagdhunde und der Nebelring in der Leyer. In dieſes Gottes
Rieſenleib iſt jetzt die ganze Bahn der Sonne von den flammen¬
den Urwelten des Orion bis zu den fernen Zukunftsſternen
des Herkules ein winzigſtes Äderchen, das ein Blutkügelchen
durcheilt. In Gottes zeitlicher Entfaltung trabt das Mammut,
ſchwimmt der Ichthyoſaurus, fällt die ganze Erde wie ein
Lichtſtäubchen aus der Nacht und wieder in die Nacht. Das
ſind wir jetzt — und unſer Gott. In Gott alles eingegangen
bis zum letzten glimmenden Sternenpünktchen des Alls, in
Gott das ganze Naturgeſetz, alle unzerſtörbare, nur ſich
wandelnde Kraft, in Gott die ganze natürliche Entwickelung
Darwins. In Gott das ganze Leben des Alls, von dem wir
ahnen, daß es in unendlichen leuchtenden Katarakten auch
über das hinabſtrömt, was wir heute noch das Anorganiſche
nennen, und daß es mindeſtens in großen Flammenſäulen
aufbrennt, ſo weit Millionen wohnlicher Geſtirne ziehn. In
Gottes Adern ſtarrt das Fernrohr, das ſchwindelnd in Milch¬
ſtraßen verſinkt. Gott iſt es, den das Prisma zu ſieben blüh¬
enden Farben bricht. Gott iſt der Stein von Hildburghauſen,
der einſt Meeresſchlamm war und in dem ſich die Fährte
eines verſchollenen froſchartigen Ungeheuers abgedrückt hat.
„Gott ſchuf“ heißt nichts anderes, als: auch der Menſch
wurde in ihm, wurde in der Welt. Aber dieſe Antwort
zerflattert in Orionweiten. Das Wort iſt endlich zur vollen
Größe erwacht. Aber nun iſt es zu groß für die einzelne
Antwort. In ſeiner Rieſenhand ſtürzt der kleine Erdenmenſch
von Stern zu Stern in das unerſchöpfliche Danaidenfaß der
Weltentiefe hinab. Es iſt ſo gut wie keine Antwort mehr.
Gewiß hängt der Menſch auch im Gewebe dieſer ganzen Welt.
Alle dieſe Sterne, alle dieſe Zeiten floſſen zuſammen auch in
ihm. Aber das enträtſeln!! Enträtſeln vom Saum dieſes
winzigen Planeten aus, enträtſeln von dieſer Menſchenweisheit
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/43>, abgerufen am 21.11.2024.
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