so wenig wie Rafael in die herrliche Kunstgestalt seiner Madonna selbst hineinzuschlüpfen braucht. Seinem Schönheitssinn ist alles Höchste erfüllt durch den Anblick dieser farbenprächtigen Männchen. Sie entfalten ihr Gefieder vor ihm, sie entzücken sein Auge. Immer noch wählt es die herrlichsten aus, in immer verfeinertem Kunstgeschmack. Alle sind sie so entstanden, der Königsparadiesier, der große goldene, der blaue des Kron¬ prinzen Rudolf. Und noch immer währt der Schönheitsstreit der Männchen bis auf diesen Tag.
Höre noch einmal zum Schlusse Wallace, der die Para¬ diesier in den Wäldern ihrer Heimat belauscht hat, wörtlich. "Die Vögel hatten jetzt", erzählt er im Reisebericht von den Aruinseln dicht bei Neu-Guinea, "was das Volk hier ihre scaleli oder Tanzgesellschaften nennt, begonnen. Sie finden sich auf gewissen Waldbäumen ein, die nicht Fruchtbäume sind wie ich zuerst meinte, aber weiter sich ausbreitende Zweige und große, zerstreut stehende Blätter haben und den Vögeln schönen Raum zum Spielen und zur Entfaltung ihres Gefieders geben. Auf einem der Bäume versammeln sich ein Dutzend bis zwan¬ zig vollbefiederter männlicher Vögel, strecken ihre Nacken aus und richten ihr exquisites Gefieder auf, indem sie es in be¬ ständiger zitternder Bewegung erhalten. Dazwischen fliegen sie in großer Erregung von Zweig zu Zweig, so daß der ganze Baum mit wallendem Gefieder in großer Manigfaltigkeit der Stellung und Bewegung erfüllt ist." Alles "Nützliche" wird vergessen bei diesem Liebesspiel. Massenhaft schießen die Eingeborenen -- ein letzter und allerdings schlimmster Feind -- die prunkenden Werber aus dem Blätterdickicht mit Pfeilen herunter. Dabei wissen die heute so herrlichen Männchen selber offenbar ganz sicher, daß "Schönheit" ihr Liebespfeil gegenüber dem Weibe ist. Vor den Spiegel gestellt, beschaut sich das gefangene Paradiesvogelmännchen mit unverkennbarer Eitelkeit, und hundert andere Züge mehr weisen darauf hin.
So wäre die alte Linie wirklich geschlossen.
ſo wenig wie Rafael in die herrliche Kunſtgeſtalt ſeiner Madonna ſelbſt hineinzuſchlüpfen braucht. Seinem Schönheitsſinn iſt alles Höchſte erfüllt durch den Anblick dieſer farbenprächtigen Männchen. Sie entfalten ihr Gefieder vor ihm, ſie entzücken ſein Auge. Immer noch wählt es die herrlichſten aus, in immer verfeinertem Kunſtgeſchmack. Alle ſind ſie ſo entſtanden, der Königsparadieſier, der große goldene, der blaue des Kron¬ prinzen Rudolf. Und noch immer währt der Schönheitsſtreit der Männchen bis auf dieſen Tag.
Höre noch einmal zum Schluſſe Wallace, der die Para¬ dieſier in den Wäldern ihrer Heimat belauſcht hat, wörtlich. „Die Vögel hatten jetzt“, erzählt er im Reiſebericht von den Aruinſeln dicht bei Neu-Guinea, „was das Volk hier ihre scaleli oder Tanzgeſellſchaften nennt, begonnen. Sie finden ſich auf gewiſſen Waldbäumen ein, die nicht Fruchtbäume ſind wie ich zuerſt meinte, aber weiter ſich ausbreitende Zweige und große, zerſtreut ſtehende Blätter haben und den Vögeln ſchönen Raum zum Spielen und zur Entfaltung ihres Gefieders geben. Auf einem der Bäume verſammeln ſich ein Dutzend bis zwan¬ zig vollbefiederter männlicher Vögel, ſtrecken ihre Nacken aus und richten ihr exquiſites Gefieder auf, indem ſie es in be¬ ſtändiger zitternder Bewegung erhalten. Dazwiſchen fliegen ſie in großer Erregung von Zweig zu Zweig, ſo daß der ganze Baum mit wallendem Gefieder in großer Manigfaltigkeit der Stellung und Bewegung erfüllt iſt.“ Alles „Nützliche“ wird vergeſſen bei dieſem Liebesſpiel. Maſſenhaft ſchießen die Eingeborenen — ein letzter und allerdings ſchlimmſter Feind — die prunkenden Werber aus dem Blätterdickicht mit Pfeilen herunter. Dabei wiſſen die heute ſo herrlichen Männchen ſelber offenbar ganz ſicher, daß „Schönheit“ ihr Liebespfeil gegenüber dem Weibe iſt. Vor den Spiegel geſtellt, beſchaut ſich das gefangene Paradiesvogelmännchen mit unverkennbarer Eitelkeit, und hundert andere Züge mehr weiſen darauf hin.
So wäre die alte Linie wirklich geſchloſſen.
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ſo wenig wie Rafael in die herrliche Kunſtgeſtalt ſeiner Madonna
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alles Höchſte erfüllt durch den Anblick dieſer farbenprächtigen
Männchen. Sie entfalten ihr Gefieder vor ihm, ſie entzücken
ſein Auge. Immer noch wählt es die herrlichſten aus, in
immer verfeinertem Kunſtgeſchmack. Alle ſind ſie ſo entſtanden,
der Königsparadieſier, der große goldene, der blaue des Kron¬
prinzen Rudolf. Und noch immer währt der Schönheitsſtreit
der Männchen bis auf dieſen Tag.
Höre noch einmal zum Schluſſe Wallace, der die Para¬
dieſier in den Wäldern ihrer Heimat belauſcht hat, wörtlich.
„Die Vögel hatten jetzt“, erzählt er im Reiſebericht von den
Aruinſeln dicht bei Neu-Guinea, „was das Volk hier ihre
scaleli oder Tanzgeſellſchaften nennt, begonnen. Sie finden
ſich auf gewiſſen Waldbäumen ein, die nicht Fruchtbäume ſind
wie ich zuerſt meinte, aber weiter ſich ausbreitende Zweige und
große, zerſtreut ſtehende Blätter haben und den Vögeln ſchönen
Raum zum Spielen und zur Entfaltung ihres Gefieders geben.
Auf einem der Bäume verſammeln ſich ein Dutzend bis zwan¬
zig vollbefiederter männlicher Vögel, ſtrecken ihre Nacken aus
und richten ihr exquiſites Gefieder auf, indem ſie es in be¬
ſtändiger zitternder Bewegung erhalten. Dazwiſchen fliegen ſie
in großer Erregung von Zweig zu Zweig, ſo daß der ganze
Baum mit wallendem Gefieder in großer Manigfaltigkeit
der Stellung und Bewegung erfüllt iſt.“ Alles „Nützliche“
wird vergeſſen bei dieſem Liebesſpiel. Maſſenhaft ſchießen die
Eingeborenen — ein letzter und allerdings ſchlimmſter Feind
— die prunkenden Werber aus dem Blätterdickicht mit Pfeilen
herunter. Dabei wiſſen die heute ſo herrlichen Männchen
ſelber offenbar ganz ſicher, daß „Schönheit“ ihr Liebespfeil
gegenüber dem Weibe iſt. Vor den Spiegel geſtellt, beſchaut
ſich das gefangene Paradiesvogelmännchen mit unverkennbarer
Eitelkeit, und hundert andere Züge mehr weiſen darauf hin.
So wäre die alte Linie wirklich geſchloſſen.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/398>, abgerufen am 22.11.2024.
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