weiß ist der Eisbär, der Polarfuchs, der Polarvogel in viel¬ fältigster Art. Grün nützt dem Laubfrosch, der Heuschrecke. Und so weiter. Eine naturgesetzliche Anpassung ist überall im Kampfe um die Existenz eingetreten. Darwin selbst meinte, daß von tausend verschiedenen Farben stets nur die beste, die "angepaßte" sich erhielt. Wie durch ein Sieb fielen die un¬ praktischen Farben ab. In der Wüste erhielt sich nur gelb, -- alles andere wurde ausgerottet. Auf dem grünen Blatt nur grün. Und so fort. Andere haben an noch direktere Zusammen¬ hänge gedacht. Das "Wie" sei der freien Debatte ausgeliefert, für die auch Darwin dir nur eine Anregung sein mag. Aber die Thatsache einer allgemeinen Anpassung der Lebewesen zu Zwecken des Daseinskampfes, sei es Raub oder Schutz, kann schlechterdings nicht mehr angezweifelt werden.
Ihr unterlag nun auch, scheint es, jene ursprüngliche schlichte Farbe der Paradiesvogelahnen.
Hier spielte "Schönheit" keinerlei Rolle. Was Schönheit, wenn es groben Lebenskampf gilt! Da ist ein Land, wo wilde Räuber, Katzen oder Halbaffen oder Eichhörnchen (echteste Nest¬ räuber auch diese!) den armen Vogel und seine Brut be¬ drohen. Als Parole gilt, so unscheinbar wie möglich aus¬ sehen. Glücklich der Vogel, der braun ist wie ein Spatz. Er drückt sich an den braunen Stamm und wird nicht erkannt. Der Räuber sieht ihn reglos auf dem Neste sitzen und denkt, es ist eine dürre Baumflechte, ein Stück krauser Rinde, ein welkes Blatt: Mutter und Brut sind gerettet.
In solcher Zeit der Drangsal festigt sich die Anpassungs¬ farbe, -- weltfern von aller "Schönheit". Was denkt ein Soldat in der Schlacht an ästhetische Werte -- und sei er selbst daheim eigens privilegierter "Professor der Ästhetik". Das ist die Stimmung, in der die Ahnen der Paradiesier sich bildeten. Sie wurden, wie heute die Jungen, die Weiber sind: Anpassungsprodukte, bei denen Kaffebraun als Rindenfarbe Trumpf war. Bloß keine üppigen Federanhängsel! Sie
24*
weiß iſt der Eisbär, der Polarfuchs, der Polarvogel in viel¬ fältigſter Art. Grün nützt dem Laubfroſch, der Heuſchrecke. Und ſo weiter. Eine naturgeſetzliche Anpaſſung iſt überall im Kampfe um die Exiſtenz eingetreten. Darwin ſelbſt meinte, daß von tauſend verſchiedenen Farben ſtets nur die beſte, die „angepaßte“ ſich erhielt. Wie durch ein Sieb fielen die un¬ praktiſchen Farben ab. In der Wüſte erhielt ſich nur gelb, — alles andere wurde ausgerottet. Auf dem grünen Blatt nur grün. Und ſo fort. Andere haben an noch direktere Zuſammen¬ hänge gedacht. Das „Wie“ ſei der freien Debatte ausgeliefert, für die auch Darwin dir nur eine Anregung ſein mag. Aber die Thatſache einer allgemeinen Anpaſſung der Lebeweſen zu Zwecken des Daſeinskampfes, ſei es Raub oder Schutz, kann ſchlechterdings nicht mehr angezweifelt werden.
Ihr unterlag nun auch, ſcheint es, jene urſprüngliche ſchlichte Farbe der Paradiesvogelahnen.
Hier ſpielte „Schönheit“ keinerlei Rolle. Was Schönheit, wenn es groben Lebenskampf gilt! Da iſt ein Land, wo wilde Räuber, Katzen oder Halbaffen oder Eichhörnchen (echteſte Neſt¬ räuber auch dieſe!) den armen Vogel und ſeine Brut be¬ drohen. Als Parole gilt, ſo unſcheinbar wie möglich aus¬ ſehen. Glücklich der Vogel, der braun iſt wie ein Spatz. Er drückt ſich an den braunen Stamm und wird nicht erkannt. Der Räuber ſieht ihn reglos auf dem Neſte ſitzen und denkt, es iſt eine dürre Baumflechte, ein Stück krauſer Rinde, ein welkes Blatt: Mutter und Brut ſind gerettet.
In ſolcher Zeit der Drangſal feſtigt ſich die Anpaſſungs¬ farbe, — weltfern von aller „Schönheit“. Was denkt ein Soldat in der Schlacht an äſthetiſche Werte — und ſei er ſelbſt daheim eigens privilegierter „Profeſſor der Äſthetik“. Das iſt die Stimmung, in der die Ahnen der Paradieſier ſich bildeten. Sie wurden, wie heute die Jungen, die Weiber ſind: Anpaſſungsprodukte, bei denen Kaffebraun als Rindenfarbe Trumpf war. Bloß keine üppigen Federanhängſel! Sie
24*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0387"n="371"/>
weiß iſt der Eisbär, der Polarfuchs, der Polarvogel in viel¬<lb/>
fältigſter Art. Grün nützt dem Laubfroſch, der Heuſchrecke.<lb/>
Und ſo weiter. Eine naturgeſetzliche Anpaſſung iſt überall im<lb/>
Kampfe um die Exiſtenz eingetreten. Darwin ſelbſt meinte,<lb/>
daß von tauſend verſchiedenen Farben ſtets nur die beſte, die<lb/>„angepaßte“ſich erhielt. Wie durch ein Sieb fielen die un¬<lb/>
praktiſchen Farben ab. In der Wüſte erhielt ſich nur gelb, —<lb/>
alles andere wurde ausgerottet. Auf dem grünen Blatt nur<lb/>
grün. Und ſo fort. Andere haben an noch direktere Zuſammen¬<lb/>
hänge gedacht. Das „Wie“ſei der freien Debatte ausgeliefert,<lb/>
für die auch Darwin dir nur eine Anregung ſein mag. Aber<lb/>
die Thatſache einer allgemeinen Anpaſſung der Lebeweſen zu<lb/>
Zwecken des Daſeinskampfes, ſei es Raub oder Schutz, kann<lb/>ſchlechterdings nicht mehr angezweifelt werden.</p><lb/><p>Ihr unterlag nun auch, ſcheint es, jene urſprüngliche<lb/>ſchlichte Farbe der Paradiesvogelahnen.</p><lb/><p>Hier ſpielte „Schönheit“ keinerlei Rolle. Was Schönheit,<lb/>
wenn es groben Lebenskampf gilt! Da iſt ein Land, wo wilde<lb/>
Räuber, Katzen oder Halbaffen oder Eichhörnchen (echteſte Neſt¬<lb/>
räuber auch dieſe!) den armen Vogel und ſeine Brut be¬<lb/>
drohen. Als Parole gilt, <hirendition="#g">ſo unſcheinbar wie möglich</hi> aus¬<lb/>ſehen. Glücklich der Vogel, der braun iſt wie ein Spatz. Er<lb/>
drückt ſich an den braunen Stamm und wird nicht erkannt.<lb/>
Der Räuber ſieht ihn reglos auf dem Neſte ſitzen und denkt,<lb/>
es iſt eine dürre Baumflechte, ein Stück krauſer Rinde, ein<lb/>
welkes Blatt: Mutter und Brut ſind gerettet.</p><lb/><p>In ſolcher Zeit der Drangſal feſtigt ſich die Anpaſſungs¬<lb/>
farbe, — weltfern von aller „Schönheit“. Was denkt ein<lb/>
Soldat in der Schlacht an äſthetiſche Werte — und ſei er<lb/>ſelbſt daheim eigens privilegierter „Profeſſor der Äſthetik“.<lb/>
Das iſt die Stimmung, in der die Ahnen der Paradieſier ſich<lb/>
bildeten. Sie wurden, wie heute die Jungen, die Weiber ſind:<lb/>
Anpaſſungsprodukte, bei denen Kaffebraun als Rindenfarbe<lb/>
Trumpf war. Bloß keine üppigen Federanhängſel! Sie<lb/><fwplace="bottom"type="sig">24*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[371/0387]
weiß iſt der Eisbär, der Polarfuchs, der Polarvogel in viel¬
fältigſter Art. Grün nützt dem Laubfroſch, der Heuſchrecke.
Und ſo weiter. Eine naturgeſetzliche Anpaſſung iſt überall im
Kampfe um die Exiſtenz eingetreten. Darwin ſelbſt meinte,
daß von tauſend verſchiedenen Farben ſtets nur die beſte, die
„angepaßte“ ſich erhielt. Wie durch ein Sieb fielen die un¬
praktiſchen Farben ab. In der Wüſte erhielt ſich nur gelb, —
alles andere wurde ausgerottet. Auf dem grünen Blatt nur
grün. Und ſo fort. Andere haben an noch direktere Zuſammen¬
hänge gedacht. Das „Wie“ ſei der freien Debatte ausgeliefert,
für die auch Darwin dir nur eine Anregung ſein mag. Aber
die Thatſache einer allgemeinen Anpaſſung der Lebeweſen zu
Zwecken des Daſeinskampfes, ſei es Raub oder Schutz, kann
ſchlechterdings nicht mehr angezweifelt werden.
Ihr unterlag nun auch, ſcheint es, jene urſprüngliche
ſchlichte Farbe der Paradiesvogelahnen.
Hier ſpielte „Schönheit“ keinerlei Rolle. Was Schönheit,
wenn es groben Lebenskampf gilt! Da iſt ein Land, wo wilde
Räuber, Katzen oder Halbaffen oder Eichhörnchen (echteſte Neſt¬
räuber auch dieſe!) den armen Vogel und ſeine Brut be¬
drohen. Als Parole gilt, ſo unſcheinbar wie möglich aus¬
ſehen. Glücklich der Vogel, der braun iſt wie ein Spatz. Er
drückt ſich an den braunen Stamm und wird nicht erkannt.
Der Räuber ſieht ihn reglos auf dem Neſte ſitzen und denkt,
es iſt eine dürre Baumflechte, ein Stück krauſer Rinde, ein
welkes Blatt: Mutter und Brut ſind gerettet.
In ſolcher Zeit der Drangſal feſtigt ſich die Anpaſſungs¬
farbe, — weltfern von aller „Schönheit“. Was denkt ein
Soldat in der Schlacht an äſthetiſche Werte — und ſei er
ſelbſt daheim eigens privilegierter „Profeſſor der Äſthetik“.
Das iſt die Stimmung, in der die Ahnen der Paradieſier ſich
bildeten. Sie wurden, wie heute die Jungen, die Weiber ſind:
Anpaſſungsprodukte, bei denen Kaffebraun als Rindenfarbe
Trumpf war. Bloß keine üppigen Federanhängſel! Sie
24*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/387>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.