Und der Teppich verschwimmt in dem allgemeinen Bunt einer unentzifferbaren Stickerei. Violette Höhen im Süden. Im Norden der Horizont auf dem hoch sich wölbenden Meer. Zuletzt die ganze deutsche Ebene noch wie in einem Riß, -- dann der Riß sich schließend, Wolken, unendliche weiße Ein¬ samkeit. Die höchste Ballonhöhe: Berson im "Phönix" mit 9000 Metern, der leere "Cirrus" bis 18000. Im Sinne des Altertums müßtest du jetzt die berühmte kristallblaue Himmelsglocke schneiden, auf der die Götter wandeln.
Aber kein Kristall taucht dir auf, kein schneeiger Venus¬ leib spiegelt sich darin. Nur die blaue Farbe hast du wirk¬ lich durchschnitten. Die feinen Wasserbläschen reflektieren über dir kein Blau mehr. Gespenstisch rabenschwarz ist der Himmel, -- die Sonne weißglühend darin wie das scharf um¬ randete Loch eines Hochofens. Mit eisiger Hand greift hier schon die Polarkälte des Weltraums zu dir heran. Bei jenen 18000 Metern schon 67 Grad unter Null. Allmählich dann bis zur Hundert herab. Unten schmelzen jetzt auch die Wolken¬ bänke zu Flocken und Streifen ein. Die Erde erscheint wieder, aber tonnenartig nach innen eingewölbt wie ein gähnender Trichter.
Höher. Die Atmosphäre geht zur Neige. Bei zwei¬ hundert Kilometern ist sie so gut wie fort. Geheimnisvoll zeigen sich an diesem Luftufer nur noch die letzten Auswürf¬ linge des tieferen atmosphärischen Ozeans angespült. Da schweben Teilchen vulkanischer Asche und leichteste Bakterien¬ keime, wohl das Einzige, was die sausende Erde unablässig in den Raum hinein verliert. Dazwischen aber schon Gäste des Neuen. Vielleicht durchquerst du die rätselvolle Gasschicht, die uns da oben in der bunten Strahlenkrone des Nordlichts erglüht. Der feine meteorische Nickeleisen-Staub des Alls beginnt reichlicher auf dich einzufallen. Unter dir verpufft wie eine platzende Bombe ein derber Meteorstein durch die Reibung an der unaufhaltsam rasend von West nach Ost
Und der Teppich verſchwimmt in dem allgemeinen Bunt einer unentzifferbaren Stickerei. Violette Höhen im Süden. Im Norden der Horizont auf dem hoch ſich wölbenden Meer. Zuletzt die ganze deutſche Ebene noch wie in einem Riß, — dann der Riß ſich ſchließend, Wolken, unendliche weiße Ein¬ ſamkeit. Die höchſte Ballonhöhe: Berſon im „Phönix“ mit 9000 Metern, der leere „Cirrus“ bis 18000. Im Sinne des Altertums müßteſt du jetzt die berühmte kriſtallblaue Himmelsglocke ſchneiden, auf der die Götter wandeln.
Aber kein Kriſtall taucht dir auf, kein ſchneeiger Venus¬ leib ſpiegelt ſich darin. Nur die blaue Farbe haſt du wirk¬ lich durchſchnitten. Die feinen Waſſerbläschen reflektieren über dir kein Blau mehr. Geſpenſtiſch rabenſchwarz iſt der Himmel, — die Sonne weißglühend darin wie das ſcharf um¬ randete Loch eines Hochofens. Mit eiſiger Hand greift hier ſchon die Polarkälte des Weltraums zu dir heran. Bei jenen 18000 Metern ſchon 67 Grad unter Null. Allmählich dann bis zur Hundert herab. Unten ſchmelzen jetzt auch die Wolken¬ bänke zu Flocken und Streifen ein. Die Erde erſcheint wieder, aber tonnenartig nach innen eingewölbt wie ein gähnender Trichter.
Höher. Die Atmoſphäre geht zur Neige. Bei zwei¬ hundert Kilometern iſt ſie ſo gut wie fort. Geheimnisvoll zeigen ſich an dieſem Luftufer nur noch die letzten Auswürf¬ linge des tieferen atmoſphäriſchen Ozeans angeſpült. Da ſchweben Teilchen vulkaniſcher Aſche und leichteſte Bakterien¬ keime, wohl das Einzige, was die ſauſende Erde unabläſſig in den Raum hinein verliert. Dazwiſchen aber ſchon Gäſte des Neuen. Vielleicht durchquerſt du die rätſelvolle Gasſchicht, die uns da oben in der bunten Strahlenkrone des Nordlichts erglüht. Der feine meteoriſche Nickeleiſen-Staub des Alls beginnt reichlicher auf dich einzufallen. Unter dir verpufft wie eine platzende Bombe ein derber Meteorſtein durch die Reibung an der unaufhaltſam raſend von Weſt nach Oſt
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Und der Teppich verſchwimmt in dem allgemeinen Bunt einer
unentzifferbaren Stickerei. Violette Höhen im Süden. Im
Norden der Horizont auf dem hoch ſich wölbenden Meer.
Zuletzt die ganze deutſche Ebene noch wie in einem Riß, —
dann der Riß ſich ſchließend, Wolken, unendliche weiße Ein¬
ſamkeit. Die höchſte Ballonhöhe: Berſon im „Phönix“ mit
9000 Metern, der leere „Cirrus“ bis 18000. Im Sinne
des Altertums müßteſt du jetzt die berühmte kriſtallblaue
Himmelsglocke ſchneiden, auf der die Götter wandeln.
Aber kein Kriſtall taucht dir auf, kein ſchneeiger Venus¬
leib ſpiegelt ſich darin. Nur die blaue Farbe haſt du wirk¬
lich durchſchnitten. Die feinen Waſſerbläschen reflektieren
über dir kein Blau mehr. Geſpenſtiſch rabenſchwarz iſt der
Himmel, — die Sonne weißglühend darin wie das ſcharf um¬
randete Loch eines Hochofens. Mit eiſiger Hand greift hier
ſchon die Polarkälte des Weltraums zu dir heran. Bei jenen
18000 Metern ſchon 67 Grad unter Null. Allmählich dann
bis zur Hundert herab. Unten ſchmelzen jetzt auch die Wolken¬
bänke zu Flocken und Streifen ein. Die Erde erſcheint wieder,
aber tonnenartig nach innen eingewölbt wie ein gähnender
Trichter.
Höher. Die Atmoſphäre geht zur Neige. Bei zwei¬
hundert Kilometern iſt ſie ſo gut wie fort. Geheimnisvoll
zeigen ſich an dieſem Luftufer nur noch die letzten Auswürf¬
linge des tieferen atmoſphäriſchen Ozeans angeſpült. Da
ſchweben Teilchen vulkaniſcher Aſche und leichteſte Bakterien¬
keime, wohl das Einzige, was die ſauſende Erde unabläſſig in
den Raum hinein verliert. Dazwiſchen aber ſchon Gäſte des
Neuen. Vielleicht durchquerſt du die rätſelvolle Gasſchicht, die
uns da oben in der bunten Strahlenkrone des Nordlichts
erglüht. Der feine meteoriſche Nickeleiſen-Staub des Alls
beginnt reichlicher auf dich einzufallen. Unter dir verpufft
wie eine platzende Bombe ein derber Meteorſtein durch die
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/346>, abgerufen am 25.11.2024.
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