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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Sondern ein Mann, ein ganz bestimmter Mann.

Und ein Weib, ein ganz bestimmtes Weib.

Individualisierende Wahl.

Es ist gewiß wahr, daß gerade die Wollust vielleicht der
ausgesucht seltsamste Punkt ist, um auf dieses neue Kapitel zu
kommen. Gerade die Wollust mit ihrem einen groben, gleich¬
förmigen Grundbaß ist bisher bei uns Menschen selber noch
stets positiv die stärkste Nivellierungswalze gewesen, die uns
immer und immer wieder beibringen wollte, jede höhere, ver¬
geistigtere, individualisiertere Wahl beim Schließen des Liebes-
Individuums sei eigentlich gleichgültig, da diese Grundmelodie
doch spielt, ob nun das dümmste Augenblickswesen unserer
Laune oder die verklärteste Idealliebe die Taste schlägt.

Und es ist wirklich so, daß erst Zukunftswerte gerade
hier vor dir auftauchen, wenn du von Individualisierung auch
der Wollust reden willst, -- von einem in gewissem Sinne
befreiten Menschen redest, der für das Gefühl auch der wirk¬
lichen Wollust schlechterdings nur noch empfänglich wäre bei
inniger Einigung mit dem anderen Wesen, das auch sein
ganzer unendlich verfeinerter Kulturgeist, all seine Ethik und
Ästhetik, all seine Idealität und Idealschaffungssehnsucht für
das richtige, ihm entsprechende erkannt hätten, das also Ma¬
donna und Venus im höchsten Sinne zugleich für ihn wäre.
Diese erhabene Harmonie ist offenbar bei uns selber noch ein
Entwickelungs-Ideal, das wir wohl schon sehnend schauen,
aber noch keineswegs besitzen. Erst dieses unablässige in¬
brünstige Schauen (dem wohl keine echte und reine Seele im
Punkte der Sehnsucht je im Leben, in noch so viel stark da¬
gegen abstechenden Akten, eigentlich untreu geworden ist) soll
uns ja den Besitz einmal verschaffen. Inzwischen scheint aber
jene alte grobe Wollust-Form ihre gute Rolle darin zu spielen,
daß sie überhaupt Liebes-Individuen auch jetzt unablässig --
wenn schon rohe einstweilen, Mondkälber gleichsam des Ideals
-- schaffen hilft. Die Menschheit stürbe sonst aus und aller

Sondern ein Mann, ein ganz beſtimmter Mann.

Und ein Weib, ein ganz beſtimmtes Weib.

Individualiſierende Wahl.

Es iſt gewiß wahr, daß gerade die Wolluſt vielleicht der
ausgeſucht ſeltſamſte Punkt iſt, um auf dieſes neue Kapitel zu
kommen. Gerade die Wolluſt mit ihrem einen groben, gleich¬
förmigen Grundbaß iſt bisher bei uns Menſchen ſelber noch
ſtets poſitiv die ſtärkſte Nivellierungswalze geweſen, die uns
immer und immer wieder beibringen wollte, jede höhere, ver¬
geiſtigtere, individualiſiertere Wahl beim Schließen des Liebes-
Individuums ſei eigentlich gleichgültig, da dieſe Grundmelodie
doch ſpielt, ob nun das dümmſte Augenblicksweſen unſerer
Laune oder die verklärteſte Idealliebe die Taſte ſchlägt.

Und es iſt wirklich ſo, daß erſt Zukunftswerte gerade
hier vor dir auftauchen, wenn du von Individualiſierung auch
der Wolluſt reden willſt, — von einem in gewiſſem Sinne
befreiten Menſchen redeſt, der für das Gefühl auch der wirk¬
lichen Wolluſt ſchlechterdings nur noch empfänglich wäre bei
inniger Einigung mit dem anderen Weſen, das auch ſein
ganzer unendlich verfeinerter Kulturgeiſt, all ſeine Ethik und
Äſthetik, all ſeine Idealität und Idealſchaffungsſehnſucht für
das richtige, ihm entſprechende erkannt hätten, das alſo Ma¬
donna und Venus im höchſten Sinne zugleich für ihn wäre.
Dieſe erhabene Harmonie iſt offenbar bei uns ſelber noch ein
Entwickelungs-Ideal, das wir wohl ſchon ſehnend ſchauen,
aber noch keineswegs beſitzen. Erſt dieſes unabläſſige in¬
brünſtige Schauen (dem wohl keine echte und reine Seele im
Punkte der Sehnſucht je im Leben, in noch ſo viel ſtark da¬
gegen abſtechenden Akten, eigentlich untreu geworden iſt) ſoll
uns ja den Beſitz einmal verſchaffen. Inzwiſchen ſcheint aber
jene alte grobe Wolluſt-Form ihre gute Rolle darin zu ſpielen,
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[324/0340] Sondern ein Mann, ein ganz beſtimmter Mann. Und ein Weib, ein ganz beſtimmtes Weib. Individualiſierende Wahl. Es iſt gewiß wahr, daß gerade die Wolluſt vielleicht der ausgeſucht ſeltſamſte Punkt iſt, um auf dieſes neue Kapitel zu kommen. Gerade die Wolluſt mit ihrem einen groben, gleich¬ förmigen Grundbaß iſt bisher bei uns Menſchen ſelber noch ſtets poſitiv die ſtärkſte Nivellierungswalze geweſen, die uns immer und immer wieder beibringen wollte, jede höhere, ver¬ geiſtigtere, individualiſiertere Wahl beim Schließen des Liebes- Individuums ſei eigentlich gleichgültig, da dieſe Grundmelodie doch ſpielt, ob nun das dümmſte Augenblicksweſen unſerer Laune oder die verklärteſte Idealliebe die Taſte ſchlägt. Und es iſt wirklich ſo, daß erſt Zukunftswerte gerade hier vor dir auftauchen, wenn du von Individualiſierung auch der Wolluſt reden willſt, — von einem in gewiſſem Sinne befreiten Menſchen redeſt, der für das Gefühl auch der wirk¬ lichen Wolluſt ſchlechterdings nur noch empfänglich wäre bei inniger Einigung mit dem anderen Weſen, das auch ſein ganzer unendlich verfeinerter Kulturgeiſt, all ſeine Ethik und Äſthetik, all ſeine Idealität und Idealſchaffungsſehnſucht für das richtige, ihm entſprechende erkannt hätten, das alſo Ma¬ donna und Venus im höchſten Sinne zugleich für ihn wäre. Dieſe erhabene Harmonie iſt offenbar bei uns ſelber noch ein Entwickelungs-Ideal, das wir wohl ſchon ſehnend ſchauen, aber noch keineswegs beſitzen. Erſt dieſes unabläſſige in¬ brünſtige Schauen (dem wohl keine echte und reine Seele im Punkte der Sehnſucht je im Leben, in noch ſo viel ſtark da¬ gegen abſtechenden Akten, eigentlich untreu geworden iſt) ſoll uns ja den Beſitz einmal verſchaffen. Inzwiſchen ſcheint aber jene alte grobe Wolluſt-Form ihre gute Rolle darin zu ſpielen, daß ſie überhaupt Liebes-Individuen auch jetzt unabläſſig — wenn ſchon rohe einſtweilen, Mondkälber gleichſam des Ideals — ſchaffen hilft. Die Menſchheit ſtürbe ſonſt aus und aller

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/340>, abgerufen am 25.11.2024.