Kabel von Erdteil zu Erdteil. Seine projizierte Muskelkraft sprengt als Dynamit Berge auseinander, bewegt als Hebelkraft Eisenblöcke, vor denen die Wucht eines Elefanten zum Tippen einer Kinderhand wird, gebraucht einen Niagara für seine Zwecke wie der Affe einen grünen Urwaldzweig. Seine Stimme hallt auf dem Telephondraht unendlich viel weiter als der lauteste Donner rollt. Im Riesenfernrohr des Lord Rosse, dessen Spiegel zweieinhalb Quadratmeter und dessen Rohr sieb¬ zehn Meter mißt, starrt sein Gigantenauge in die Welt der Nebelflecken und holt sich den Mond bis auf fünfzehn Meilen herab. Im Mikroskop faßt er den Bazillus, dessen Durchmesser nur den zweitausendsten Teil eines Millimeters beträgt. Ein Angriff seiner neuen Glieder, der Werkzeuge: und die Wasser des Mittelmeeres ergießen sich durch das Rote Meer in den Indischen Ozean; die Kartoffelpflanze aus einem Winkel Chiles breitet sich über ganz Europa aus; Wälder werden abgesägt und eine ganze Gegend erstarrt zur wasserlosen Karstöde, ändert alle ihre Wasserläufe, bekommt ein neues Klima, oder umgekehrt: es wird ein Kanal gezogen und die Wüste blüht, das Schlamm¬ meer trocknet aus, -- die Fata Morgana und der Fliegende Holländer werden zum wirklichen Orangenwald über blauem See und zum weißen Segel des Kulturschiffs, das Anker wirft, wo einst Karawanen verdurstet sind. Keine Grenzen auf der ganzen Kugel giebt es diesem Märchenleibe mehr. In die Tiefen bohrt er sich wie eine ungeheure Wurzel, in die Luft¬ höhe reckt er sich, wie der höchste Sonnensproß.
Eine kurze Frist noch: und dieser ganze sausende Planet mit seiner Hunderttausendtrillionenzentnerlast gehört ihm, wie einem Künstler seine Statue gehört, die bloß einstweilen noch in der Gußform steckt. Jede Sekunde Sonnenfahrt der Kugel mehr auch ein Hammerschlag mehr gegen die rohe Hülle, der das Kunstwerk, sein Werk, befreit. Hörst du den leisen Pfiff der Lokomotive, der fern her über die Wälder kommt? Der Hammer tanzt auch jetzt in stiller Nacht und die morsche Deck¬
Kabel von Erdteil zu Erdteil. Seine projizierte Muskelkraft ſprengt als Dynamit Berge auseinander, bewegt als Hebelkraft Eiſenblöcke, vor denen die Wucht eines Elefanten zum Tippen einer Kinderhand wird, gebraucht einen Niagara für ſeine Zwecke wie der Affe einen grünen Urwaldzweig. Seine Stimme hallt auf dem Telephondraht unendlich viel weiter als der lauteſte Donner rollt. Im Rieſenfernrohr des Lord Roſſe, deſſen Spiegel zweieinhalb Quadratmeter und deſſen Rohr ſieb¬ zehn Meter mißt, ſtarrt ſein Gigantenauge in die Welt der Nebelflecken und holt ſich den Mond bis auf fünfzehn Meilen herab. Im Mikroſkop faßt er den Bazillus, deſſen Durchmeſſer nur den zweitauſendſten Teil eines Millimeters beträgt. Ein Angriff ſeiner neuen Glieder, der Werkzeuge: und die Waſſer des Mittelmeeres ergießen ſich durch das Rote Meer in den Indiſchen Ozean; die Kartoffelpflanze aus einem Winkel Chiles breitet ſich über ganz Europa aus; Wälder werden abgeſägt und eine ganze Gegend erſtarrt zur waſſerloſen Karſtöde, ändert alle ihre Waſſerläufe, bekommt ein neues Klima, oder umgekehrt: es wird ein Kanal gezogen und die Wüſte blüht, das Schlamm¬ meer trocknet aus, — die Fata Morgana und der Fliegende Holländer werden zum wirklichen Orangenwald über blauem See und zum weißen Segel des Kulturſchiffs, das Anker wirft, wo einſt Karawanen verdurſtet ſind. Keine Grenzen auf der ganzen Kugel giebt es dieſem Märchenleibe mehr. In die Tiefen bohrt er ſich wie eine ungeheure Wurzel, in die Luft¬ höhe reckt er ſich, wie der höchſte Sonnenſproß.
Eine kurze Friſt noch: und dieſer ganze ſauſende Planet mit ſeiner Hunderttauſendtrillionenzentnerlaſt gehört ihm, wie einem Künſtler ſeine Statue gehört, die bloß einſtweilen noch in der Gußform ſteckt. Jede Sekunde Sonnenfahrt der Kugel mehr auch ein Hammerſchlag mehr gegen die rohe Hülle, der das Kunſtwerk, ſein Werk, befreit. Hörſt du den leiſen Pfiff der Lokomotive, der fern her über die Wälder kommt? Der Hammer tanzt auch jetzt in ſtiller Nacht und die morſche Deck¬
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Kabel von Erdteil zu Erdteil. Seine projizierte Muskelkraft
ſprengt als Dynamit Berge auseinander, bewegt als Hebelkraft
Eiſenblöcke, vor denen die Wucht eines Elefanten zum Tippen
einer Kinderhand wird, gebraucht einen Niagara für ſeine
Zwecke wie der Affe einen grünen Urwaldzweig. Seine Stimme
hallt auf dem Telephondraht unendlich viel weiter als der
lauteſte Donner rollt. Im Rieſenfernrohr des Lord Roſſe,
deſſen Spiegel zweieinhalb Quadratmeter und deſſen Rohr ſieb¬
zehn Meter mißt, ſtarrt ſein Gigantenauge in die Welt der
Nebelflecken und holt ſich den Mond bis auf fünfzehn Meilen
herab. Im Mikroſkop faßt er den Bazillus, deſſen Durchmeſſer
nur den zweitauſendſten Teil eines Millimeters beträgt. Ein
Angriff ſeiner neuen Glieder, der Werkzeuge: und die Waſſer
des Mittelmeeres ergießen ſich durch das Rote Meer in den
Indiſchen Ozean; die Kartoffelpflanze aus einem Winkel Chiles
breitet ſich über ganz Europa aus; Wälder werden abgeſägt
und eine ganze Gegend erſtarrt zur waſſerloſen Karſtöde, ändert
alle ihre Waſſerläufe, bekommt ein neues Klima, oder umgekehrt:
es wird ein Kanal gezogen und die Wüſte blüht, das Schlamm¬
meer trocknet aus, — die Fata Morgana und der Fliegende
Holländer werden zum wirklichen Orangenwald über blauem
See und zum weißen Segel des Kulturſchiffs, das Anker wirft,
wo einſt Karawanen verdurſtet ſind. Keine Grenzen auf der
ganzen Kugel giebt es dieſem Märchenleibe mehr. In die
Tiefen bohrt er ſich wie eine ungeheure Wurzel, in die Luft¬
höhe reckt er ſich, wie der höchſte Sonnenſproß.
Eine kurze Friſt noch: und dieſer ganze ſauſende Planet
mit ſeiner Hunderttauſendtrillionenzentnerlaſt gehört ihm, wie
einem Künſtler ſeine Statue gehört, die bloß einſtweilen noch
in der Gußform ſteckt. Jede Sekunde Sonnenfahrt der Kugel
mehr auch ein Hammerſchlag mehr gegen die rohe Hülle, der
das Kunſtwerk, ſein Werk, befreit. Hörſt du den leiſen Pfiff
der Lokomotive, der fern her über die Wälder kommt? Der
Hammer tanzt auch jetzt in ſtiller Nacht und die morſche Deck¬
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/34>, abgerufen am 27.11.2024.
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