Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Stufe der Grenzpunkt dieser Liebeskette immer tiefer noch
hinein. Und also geht die Wollust mit, ihren rechten Ort
zu suchen.

Kehre noch einmal zu jenem Ur-Bilde des vielzelligen
Wesens zurück, das uns in unsere Betrachtung schon so oft ge¬
holfen hat. Der Stufe, die Häckel das Urmagentier oder die
Gasträa getauft hat.

Das ganze Tier besteht bloß aus Haut und Darm. Der
Darm besorgt die Ernährung. Die Haut dagegen bewegt, ver¬
verteidigt -- und ist der wesentliche Sitz der Empfindungen.
Sie nimmt Lichtreize auf, Schallreize, äußere Stöße und
Stiche und Berührungen jeder Art.

Die Haut ist hier im ganzen Umfange das, was später
das Nervensystem ist. Dieses ganze Nervensystem mit allen
seinen Sinnesorganen und inneren Werkstätten ist eben ur¬
sprünglich aus der Haut hervorgegangen. Die feineren Ver¬
arbeitungsateliers wurden allmählich in Gruben, Rinnen, Säcke
dieser Haut aus Schutzgründen mehr nach Innen verlegt. So
ist das Gehirn, das Rückenmark, das ganze Nervennetz langsam
von Stufe zu Stufe gleichsam eingesunken aus Hautstücken, in
die sicherere Tiefe des Leibes hinein, -- nach demselben Grund¬
prinzip, das zuerst den Magen nach innen sich hatte einstülpen
lassen. Je feiner, je verwickelter das gesamte Innenkunstwerk
des Tierkörpers sich ausgestaltete, desto feiner und verwickelter
spann sich auch dieses ursprüngliche Hautnetz durch sein ganzes
Inneres hindurch. Immer aber mußte auch jetzt noch die
strengste Verbindung zwischen den Empfindungs-Werkstätten im
Inneren und der Außenwelt bleiben.

Zog sich auch der eigentliche Sitz des Empfindens tief in
den harten Schädel und in die Wirbelsäule zurück als Gehirn
und Rückenmark, -- so wahrten doch diese uralten, einwärts
gewanderten Hautteile fort und fort auch dann noch durch
Nervenverbindungen, -- also auch letzthin nur feinste Haut¬
verlängerungen, nach innen geleitete Hautspitzen gleichsam, --

Stufe der Grenzpunkt dieſer Liebeskette immer tiefer noch
hinein. Und alſo geht die Wolluſt mit, ihren rechten Ort
zu ſuchen.

Kehre noch einmal zu jenem Ur-Bilde des vielzelligen
Weſens zurück, das uns in unſere Betrachtung ſchon ſo oft ge¬
holfen hat. Der Stufe, die Häckel das Urmagentier oder die
Gaſträa getauft hat.

Das ganze Tier beſteht bloß aus Haut und Darm. Der
Darm beſorgt die Ernährung. Die Haut dagegen bewegt, ver¬
verteidigt — und iſt der weſentliche Sitz der Empfindungen.
Sie nimmt Lichtreize auf, Schallreize, äußere Stöße und
Stiche und Berührungen jeder Art.

Die Haut iſt hier im ganzen Umfange das, was ſpäter
das Nervenſyſtem iſt. Dieſes ganze Nervenſyſtem mit allen
ſeinen Sinnesorganen und inneren Werkſtätten iſt eben ur¬
ſprünglich aus der Haut hervorgegangen. Die feineren Ver¬
arbeitungsateliers wurden allmählich in Gruben, Rinnen, Säcke
dieſer Haut aus Schutzgründen mehr nach Innen verlegt. So
iſt das Gehirn, das Rückenmark, das ganze Nervennetz langſam
von Stufe zu Stufe gleichſam eingeſunken aus Hautſtücken, in
die ſicherere Tiefe des Leibes hinein, — nach demſelben Grund¬
prinzip, das zuerſt den Magen nach innen ſich hatte einſtülpen
laſſen. Je feiner, je verwickelter das geſamte Innenkunſtwerk
des Tierkörpers ſich ausgeſtaltete, deſto feiner und verwickelter
ſpann ſich auch dieſes urſprüngliche Hautnetz durch ſein ganzes
Inneres hindurch. Immer aber mußte auch jetzt noch die
ſtrengſte Verbindung zwiſchen den Empfindungs-Werkſtätten im
Inneren und der Außenwelt bleiben.

Zog ſich auch der eigentliche Sitz des Empfindens tief in
den harten Schädel und in die Wirbelſäule zurück als Gehirn
und Rückenmark, — ſo wahrten doch dieſe uralten, einwärts
gewanderten Hautteile fort und fort auch dann noch durch
Nervenverbindungen, — alſo auch letzthin nur feinſte Haut¬
verlängerungen, nach innen geleitete Hautſpitzen gleichſam, —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0325" n="309"/>
Stufe der Grenzpunkt die&#x017F;er Liebeskette immer tiefer noch<lb/>
hinein. Und al&#x017F;o geht die Wollu&#x017F;t mit, ihren rechten Ort<lb/>
zu &#x017F;uchen.</p><lb/>
        <p>Kehre noch einmal zu jenem Ur-Bilde des vielzelligen<lb/>
We&#x017F;ens zurück, das uns in un&#x017F;ere Betrachtung &#x017F;chon &#x017F;o oft ge¬<lb/>
holfen hat. Der Stufe, die Häckel das Urmagentier oder die<lb/>
Ga&#x017F;träa getauft hat.</p><lb/>
        <p>Das ganze Tier be&#x017F;teht bloß aus Haut und Darm. Der<lb/>
Darm be&#x017F;orgt die Ernährung. Die Haut dagegen bewegt, ver¬<lb/>
verteidigt &#x2014; und i&#x017F;t der we&#x017F;entliche Sitz der Empfindungen.<lb/>
Sie nimmt Lichtreize auf, Schallreize, äußere Stöße und<lb/>
Stiche und Berührungen jeder Art.</p><lb/>
        <p>Die Haut i&#x017F;t hier im ganzen Umfange das, was &#x017F;päter<lb/>
das Nerven&#x017F;y&#x017F;tem i&#x017F;t. Die&#x017F;es ganze Nerven&#x017F;y&#x017F;tem mit allen<lb/>
&#x017F;einen Sinnesorganen und inneren Werk&#x017F;tätten i&#x017F;t eben ur¬<lb/>
&#x017F;prünglich aus der Haut hervorgegangen. Die feineren Ver¬<lb/>
arbeitungsateliers wurden allmählich in Gruben, Rinnen, Säcke<lb/>
die&#x017F;er Haut aus Schutzgründen mehr nach Innen verlegt. So<lb/>
i&#x017F;t das Gehirn, das Rückenmark, das ganze Nervennetz lang&#x017F;am<lb/>
von Stufe zu Stufe gleich&#x017F;am einge&#x017F;unken aus Haut&#x017F;tücken, in<lb/>
die &#x017F;icherere Tiefe des Leibes hinein, &#x2014; nach dem&#x017F;elben Grund¬<lb/>
prinzip, das zuer&#x017F;t den Magen nach innen &#x017F;ich hatte ein&#x017F;tülpen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Je feiner, je verwickelter das ge&#x017F;amte Innenkun&#x017F;twerk<lb/>
des Tierkörpers &#x017F;ich ausge&#x017F;taltete, de&#x017F;to feiner und verwickelter<lb/>
&#x017F;pann &#x017F;ich auch die&#x017F;es ur&#x017F;prüngliche Hautnetz durch &#x017F;ein ganzes<lb/>
Inneres hindurch. Immer aber mußte auch jetzt noch die<lb/>
&#x017F;treng&#x017F;te Verbindung zwi&#x017F;chen den Empfindungs-Werk&#x017F;tätten im<lb/>
Inneren und der Außenwelt bleiben.</p><lb/>
        <p>Zog &#x017F;ich auch der eigentliche Sitz des Empfindens tief in<lb/>
den harten Schädel und in die Wirbel&#x017F;äule zurück als Gehirn<lb/>
und Rückenmark, &#x2014; &#x017F;o wahrten doch die&#x017F;e uralten, einwärts<lb/>
gewanderten Hautteile fort und fort auch dann noch durch<lb/>
Nervenverbindungen, &#x2014; al&#x017F;o auch letzthin nur fein&#x017F;te Haut¬<lb/>
verlängerungen, nach innen geleitete Haut&#x017F;pitzen gleich&#x017F;am, &#x2014;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[309/0325] Stufe der Grenzpunkt dieſer Liebeskette immer tiefer noch hinein. Und alſo geht die Wolluſt mit, ihren rechten Ort zu ſuchen. Kehre noch einmal zu jenem Ur-Bilde des vielzelligen Weſens zurück, das uns in unſere Betrachtung ſchon ſo oft ge¬ holfen hat. Der Stufe, die Häckel das Urmagentier oder die Gaſträa getauft hat. Das ganze Tier beſteht bloß aus Haut und Darm. Der Darm beſorgt die Ernährung. Die Haut dagegen bewegt, ver¬ verteidigt — und iſt der weſentliche Sitz der Empfindungen. Sie nimmt Lichtreize auf, Schallreize, äußere Stöße und Stiche und Berührungen jeder Art. Die Haut iſt hier im ganzen Umfange das, was ſpäter das Nervenſyſtem iſt. Dieſes ganze Nervenſyſtem mit allen ſeinen Sinnesorganen und inneren Werkſtätten iſt eben ur¬ ſprünglich aus der Haut hervorgegangen. Die feineren Ver¬ arbeitungsateliers wurden allmählich in Gruben, Rinnen, Säcke dieſer Haut aus Schutzgründen mehr nach Innen verlegt. So iſt das Gehirn, das Rückenmark, das ganze Nervennetz langſam von Stufe zu Stufe gleichſam eingeſunken aus Hautſtücken, in die ſicherere Tiefe des Leibes hinein, — nach demſelben Grund¬ prinzip, das zuerſt den Magen nach innen ſich hatte einſtülpen laſſen. Je feiner, je verwickelter das geſamte Innenkunſtwerk des Tierkörpers ſich ausgeſtaltete, deſto feiner und verwickelter ſpann ſich auch dieſes urſprüngliche Hautnetz durch ſein ganzes Inneres hindurch. Immer aber mußte auch jetzt noch die ſtrengſte Verbindung zwiſchen den Empfindungs-Werkſtätten im Inneren und der Außenwelt bleiben. Zog ſich auch der eigentliche Sitz des Empfindens tief in den harten Schädel und in die Wirbelſäule zurück als Gehirn und Rückenmark, — ſo wahrten doch dieſe uralten, einwärts gewanderten Hautteile fort und fort auch dann noch durch Nervenverbindungen, — alſo auch letzthin nur feinſte Haut¬ verlängerungen, nach innen geleitete Hautſpitzen gleichſam, —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/325
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/325>, abgerufen am 25.11.2024.