Röhre vor. Du hättest eben bloß die Bauchhöhle oder Leibes¬ höhle mit deinem Schnitt geöffnet, also den Raum, in dem erst Magen und Darm als besonderer Schlauch, der gegen Mund und After natürlich aufgeht, eingebettet liegen. Bei dem Polypen ist das noch nicht so, -- da würdest du beim Einschnitt in die Haut gleich in die direkt dagegen anliegende Darmwand mit hineinschneiden, ohne noch zwischen Haut und Darm eine besondere Leibeshöhle anzubohren. Erst bei den Würmern hat sich, wie gesagt, eine solche Leibeshöhle nach und nach wirklich gebildet und von da hast auch du sie mitbekommen. Der Her¬ gang war dabei, mindestens in der zu dir gehenden Linie, wie es scheint, nicht so ganz einfach, daß etwa bloß Haut und Darm innerlich auseinander gerückt wären und so einen leeren Raum zwischen sich gelassen hätten. Sondern es scheinen sich Zellen¬ massen von der Mundecke des Magens her jederseits taschenartig zwischen Hautwand und Magenwand hineingeschoben zu haben wie ein hohler Handschuhfinger, der zwischen zwei aufeinander¬ gelegte Servietten eindringt. Schließlich schloß sich der Finger oben wieder und lag nun ganz wie eine hohle Wurst zwischen Haut und Magen, wobei aber die inneren Wände seines Hohl¬ raums jetzt nicht unmittelbar von Magen und Haut, sondern von den eingestülpten neuen Zellmassen der Handschuhwand mit gebildet wurden.
Die Details des Vorganges stehen hier noch keineswegs fest und du kannst dich damit trösten, daß, wenn das harm¬ lose Wörtchen "Leibeshöhle" heute in der Zoologie erklingt, die Parteien auf dich losfahren wie Spinnen auf eine Fliege: jede wickelt dich in ein anderes Netz von Theorien, und volks¬ tümlich darzustellen ist die ganze Geschichte in ihrem eigentlichen Umfange überhaupt noch nicht. Wenn ich sie dir hausbacken hier zuschneide, so mußt du dir immer dabei klar bleiben, daß du nur einen gewissen Annäherungswert an die Wahrheit er¬ hältst, -- wenn nur dabei ein annähernd in sich logisches Bild herauskommt.
Röhre vor. Du hätteſt eben bloß die Bauchhöhle oder Leibes¬ höhle mit deinem Schnitt geöffnet, alſo den Raum, in dem erſt Magen und Darm als beſonderer Schlauch, der gegen Mund und After natürlich aufgeht, eingebettet liegen. Bei dem Polypen iſt das noch nicht ſo, — da würdeſt du beim Einſchnitt in die Haut gleich in die direkt dagegen anliegende Darmwand mit hineinſchneiden, ohne noch zwiſchen Haut und Darm eine beſondere Leibeshöhle anzubohren. Erſt bei den Würmern hat ſich, wie geſagt, eine ſolche Leibeshöhle nach und nach wirklich gebildet und von da haſt auch du ſie mitbekommen. Der Her¬ gang war dabei, mindeſtens in der zu dir gehenden Linie, wie es ſcheint, nicht ſo ganz einfach, daß etwa bloß Haut und Darm innerlich auseinander gerückt wären und ſo einen leeren Raum zwiſchen ſich gelaſſen hätten. Sondern es ſcheinen ſich Zellen¬ maſſen von der Mundecke des Magens her jederſeits taſchenartig zwiſchen Hautwand und Magenwand hineingeſchoben zu haben wie ein hohler Handſchuhfinger, der zwiſchen zwei aufeinander¬ gelegte Servietten eindringt. Schließlich ſchloß ſich der Finger oben wieder und lag nun ganz wie eine hohle Wurſt zwiſchen Haut und Magen, wobei aber die inneren Wände ſeines Hohl¬ raums jetzt nicht unmittelbar von Magen und Haut, ſondern von den eingeſtülpten neuen Zellmaſſen der Handſchuhwand mit gebildet wurden.
Die Details des Vorganges ſtehen hier noch keineswegs feſt und du kannſt dich damit tröſten, daß, wenn das harm¬ loſe Wörtchen „Leibeshöhle“ heute in der Zoologie erklingt, die Parteien auf dich losfahren wie Spinnen auf eine Fliege: jede wickelt dich in ein anderes Netz von Theorien, und volks¬ tümlich darzuſtellen iſt die ganze Geſchichte in ihrem eigentlichen Umfange überhaupt noch nicht. Wenn ich ſie dir hausbacken hier zuſchneide, ſo mußt du dir immer dabei klar bleiben, daß du nur einen gewiſſen Annäherungswert an die Wahrheit er¬ hältſt, — wenn nur dabei ein annähernd in ſich logiſches Bild herauskommt.
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Röhre vor. Du hätteſt eben bloß die Bauchhöhle oder Leibes¬
höhle mit deinem Schnitt geöffnet, alſo den Raum, in dem
erſt Magen und Darm als beſonderer Schlauch, der gegen Mund
und After natürlich aufgeht, eingebettet liegen. Bei dem
Polypen iſt das noch nicht ſo, — da würdeſt du beim Einſchnitt
in die Haut gleich in die direkt dagegen anliegende Darmwand
mit hineinſchneiden, ohne noch zwiſchen Haut und Darm eine
beſondere Leibeshöhle anzubohren. Erſt bei den Würmern hat
ſich, wie geſagt, eine ſolche Leibeshöhle nach und nach wirklich
gebildet und von da haſt auch du ſie mitbekommen. Der Her¬
gang war dabei, mindeſtens in der zu dir gehenden Linie, wie
es ſcheint, nicht ſo ganz einfach, daß etwa bloß Haut und Darm
innerlich auseinander gerückt wären und ſo einen leeren Raum
zwiſchen ſich gelaſſen hätten. Sondern es ſcheinen ſich Zellen¬
maſſen von der Mundecke des Magens her jederſeits taſchenartig
zwiſchen Hautwand und Magenwand hineingeſchoben zu haben
wie ein hohler Handſchuhfinger, der zwiſchen zwei aufeinander¬
gelegte Servietten eindringt. Schließlich ſchloß ſich der Finger
oben wieder und lag nun ganz wie eine hohle Wurſt zwiſchen
Haut und Magen, wobei aber die inneren Wände ſeines Hohl¬
raums jetzt nicht unmittelbar von Magen und Haut, ſondern
von den eingeſtülpten neuen Zellmaſſen der Handſchuhwand mit
gebildet wurden.
Die Details des Vorganges ſtehen hier noch keineswegs
feſt und du kannſt dich damit tröſten, daß, wenn das harm¬
loſe Wörtchen „Leibeshöhle“ heute in der Zoologie erklingt,
die Parteien auf dich losfahren wie Spinnen auf eine Fliege:
jede wickelt dich in ein anderes Netz von Theorien, und volks¬
tümlich darzuſtellen iſt die ganze Geſchichte in ihrem eigentlichen
Umfange überhaupt noch nicht. Wenn ich ſie dir hausbacken
hier zuſchneide, ſo mußt du dir immer dabei klar bleiben, daß
du nur einen gewiſſen Annäherungswert an die Wahrheit er¬
hältſt, — wenn nur dabei ein annähernd in ſich logiſches
Bild herauskommt.
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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