Die Hochzeiter gingen also tief in die Wasseradern hinein, schaufelten dort ihre Liebesgruben und freuten sich des unge¬ störten Glücks. Nachher ins Salzelement zurückgekehrt, holten sie dann rasch an der Futterkrippe nach, was sie dort entbehrt, und mästeten sich zur nächsten Liebesfreite. Die Jungen aber krochen im Süßwasser zunächst aus, lebten dort von dem kleinen Geziefer, so gut es ging, und kamen langsam mit dem Flüßlein abwärts treibend schließlich doch auch in den Ozean zu ihren Alten und deren besserem Mittagstisch.
So ging das lange Zeit, als könnte es nie anders werden. Gewisse Stellen der Flüsse, die besonders hübsch ge¬ schützt lagen und alle Vorteile vereint boten, wurden Jahr¬ tausende lang immer und immer wieder bevorzugt, und schlie߬ lich wußte das neue Liebesvolk jedesmal gar nicht mehr anders, als daß man ausschließlich da und da, an dem und dem bestimmten Fleck, liebe und seine Grube grabe. Jeder Stamm hatte da seine besondere Tradition, die unverbrüchlich in den kleinen Lachsgehirnen von Generation zu Generation fest stand wie irgend ein Gewissensgesetz und Moralkodex bei einem Menschenstamm.
Aber was die Menschen so oft haben erfahren müssen, das blieb auch diesem treuen Fischvolk nicht erspart. Wir stellen ewige Moraltafeln auf und die Natur, die ewig wan¬ delnde, zieht uns eines Tages lächelnd den Boden darunter fort; der Baum, in dessen Zweigen Gottes Gebot rauschen soll, wird eines Jahres morsch und purzelt um; der Stern, den unser Stamm sich zum Wahrzeichen gewählt, bleibt eines Abends aus, weil es da hinten irgendwo an der Milchstraße kosmischen Krach gegeben hat; und von dem Hügel, da du anbeten solltest, schwemmt nach Jahrtausenden ein Regentröpfchen das letzte Quarzkörnlein fort. Die Lachse erlebten, daß das Ufer immer mehr versandete, das Meer beständig zurückwich und der Lauf ihres geliebten Flusses sich streckte und streckte zwischen dem Ozean, wo die leckere Krebstafel den Schlemmern
Die Hochzeiter gingen alſo tief in die Waſſeradern hinein, ſchaufelten dort ihre Liebesgruben und freuten ſich des unge¬ ſtörten Glücks. Nachher ins Salzelement zurückgekehrt, holten ſie dann raſch an der Futterkrippe nach, was ſie dort entbehrt, und mäſteten ſich zur nächſten Liebesfreite. Die Jungen aber krochen im Süßwaſſer zunächſt aus, lebten dort von dem kleinen Geziefer, ſo gut es ging, und kamen langſam mit dem Flüßlein abwärts treibend ſchließlich doch auch in den Ozean zu ihren Alten und deren beſſerem Mittagstiſch.
So ging das lange Zeit, als könnte es nie anders werden. Gewiſſe Stellen der Flüſſe, die beſonders hübſch ge¬ ſchützt lagen und alle Vorteile vereint boten, wurden Jahr¬ tauſende lang immer und immer wieder bevorzugt, und ſchlie߬ lich wußte das neue Liebesvolk jedesmal gar nicht mehr anders, als daß man ausſchließlich da und da, an dem und dem beſtimmten Fleck, liebe und ſeine Grube grabe. Jeder Stamm hatte da ſeine beſondere Tradition, die unverbrüchlich in den kleinen Lachsgehirnen von Generation zu Generation feſt ſtand wie irgend ein Gewiſſensgeſetz und Moralkodex bei einem Menſchenſtamm.
Aber was die Menſchen ſo oft haben erfahren müſſen, das blieb auch dieſem treuen Fiſchvolk nicht erſpart. Wir ſtellen ewige Moraltafeln auf und die Natur, die ewig wan¬ delnde, zieht uns eines Tages lächelnd den Boden darunter fort; der Baum, in deſſen Zweigen Gottes Gebot rauſchen ſoll, wird eines Jahres morſch und purzelt um; der Stern, den unſer Stamm ſich zum Wahrzeichen gewählt, bleibt eines Abends aus, weil es da hinten irgendwo an der Milchſtraße kosmiſchen Krach gegeben hat; und von dem Hügel, da du anbeten ſollteſt, ſchwemmt nach Jahrtauſenden ein Regentröpfchen das letzte Quarzkörnlein fort. Die Lachſe erlebten, daß das Ufer immer mehr verſandete, das Meer beſtändig zurückwich und der Lauf ihres geliebten Fluſſes ſich ſtreckte und ſtreckte zwiſchen dem Ozean, wo die leckere Krebstafel den Schlemmern
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Die Hochzeiter gingen alſo tief in die Waſſeradern hinein,
ſchaufelten dort ihre Liebesgruben und freuten ſich des unge¬
ſtörten Glücks. Nachher ins Salzelement zurückgekehrt, holten
ſie dann raſch an der Futterkrippe nach, was ſie dort entbehrt,
und mäſteten ſich zur nächſten Liebesfreite. Die Jungen aber
krochen im Süßwaſſer zunächſt aus, lebten dort von dem kleinen
Geziefer, ſo gut es ging, und kamen langſam mit dem Flüßlein
abwärts treibend ſchließlich doch auch in den Ozean zu ihren
Alten und deren beſſerem Mittagstiſch.
So ging das lange Zeit, als könnte es nie anders
werden. Gewiſſe Stellen der Flüſſe, die beſonders hübſch ge¬
ſchützt lagen und alle Vorteile vereint boten, wurden Jahr¬
tauſende lang immer und immer wieder bevorzugt, und ſchlie߬
lich wußte das neue Liebesvolk jedesmal gar nicht mehr
anders, als daß man ausſchließlich da und da, an dem und
dem beſtimmten Fleck, liebe und ſeine Grube grabe. Jeder
Stamm hatte da ſeine beſondere Tradition, die unverbrüchlich
in den kleinen Lachsgehirnen von Generation zu Generation
feſt ſtand wie irgend ein Gewiſſensgeſetz und Moralkodex bei
einem Menſchenſtamm.
Aber was die Menſchen ſo oft haben erfahren müſſen,
das blieb auch dieſem treuen Fiſchvolk nicht erſpart. Wir
ſtellen ewige Moraltafeln auf und die Natur, die ewig wan¬
delnde, zieht uns eines Tages lächelnd den Boden darunter
fort; der Baum, in deſſen Zweigen Gottes Gebot rauſchen
ſoll, wird eines Jahres morſch und purzelt um; der Stern,
den unſer Stamm ſich zum Wahrzeichen gewählt, bleibt eines
Abends aus, weil es da hinten irgendwo an der Milchſtraße
kosmiſchen Krach gegeben hat; und von dem Hügel, da du
anbeten ſollteſt, ſchwemmt nach Jahrtauſenden ein Regentröpfchen
das letzte Quarzkörnlein fort. Die Lachſe erlebten, daß das
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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