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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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Weiber, wie Busch's alter Kräkel, er hatte, ich weiß nicht
wie viele in der Reihenfolge der Zeit unten im Thal gehabt
und geheiratet und ich glaube, eine lebte sogar da unten noch.
Im übrigen aber war sein Herz mitfühlend mit den Sünden
und Begehrlichkeiten der Welt. Es gab keinerlei Restaurant
hier oben und die Forellen waren für Geld nicht feil. Aber
wer eindrücklich zu machen wußte, daß er fünf Stunden ge¬
klettert sei und den elenden Hungertod gewärtige, vor dem
regte sich in dem alten Murmelvater das Gebot christlicher
Nächstenliebe, das da lehrt, es solle der Nackende gekleidet und
der Hungernde getröstet werden um höheren Lohn als Goldes¬
wert. Brot und Käse hatte er nicht und sein Enzianschnaps
fiel in den hungernden Magen wie feurige Kohlen. So bat
er denn endlich, mit einer Forelle vorlieb zu nehmen, wie sie
Robinson dem Schiffbrüchigen giebt. Er nahm die Zappelnde
aus dem Fischkasten und in prähistorisch primitiver Kaffeekasserolle
wurde sie gekocht. Als Teller diente mir ein Zeitungsblatt,
ein Berner "Bund" mit einem Aufsatz Widmanns, als Gabel
ein treuer Pfropfenzieher. Und der ehrwürdige Greis erzählte,
derweil ich aß, wie er den Finger des unmittelbaren Schicksals
allemal über die bloß traditionelle Lehre setze. So schieße er
niemals Gemsen, da das durchaus verboten sei. Aber zum un¬
schuldigen Spiel, dem kein Mensch wehren dürfe, stelle er auf
fernen Steinzacken, die gerade sein ungetrübtes Adlerauge noch
erreiche, eine friedliche Selterswasserflasche auf und übe die Kraft
seines Alters mit Schüssen nach diesem Ziel. Geschehe es nun
allerdings, daß eine Gemse grade im Moment solchen Tellschusses
zwischen ihn und die Flasche trete, so achte er das als den
höheren Finger, dem der Weise sich zu beugen habe. Wenn ich
wieder heraufkäme, meinte er, so wollten wir wohl einen guten
Gemsenbraten zusammen schmausen. Denn so wunderbar es
scheine: in diesen weltfremden Ureinsamkeiten walte das Schicksal
gar eigenartig und gewaltsam zur Erprobung der Philosophen.

In diesem romantischen Milieu also lernte ich zunächst die

Weiber, wie Buſch's alter Kräkel, er hatte, ich weiß nicht
wie viele in der Reihenfolge der Zeit unten im Thal gehabt
und geheiratet und ich glaube, eine lebte ſogar da unten noch.
Im übrigen aber war ſein Herz mitfühlend mit den Sünden
und Begehrlichkeiten der Welt. Es gab keinerlei Reſtaurant
hier oben und die Forellen waren für Geld nicht feil. Aber
wer eindrücklich zu machen wußte, daß er fünf Stunden ge¬
klettert ſei und den elenden Hungertod gewärtige, vor dem
regte ſich in dem alten Murmelvater das Gebot chriſtlicher
Nächſtenliebe, das da lehrt, es ſolle der Nackende gekleidet und
der Hungernde getröſtet werden um höheren Lohn als Goldes¬
wert. Brot und Käſe hatte er nicht und ſein Enzianſchnaps
fiel in den hungernden Magen wie feurige Kohlen. So bat
er denn endlich, mit einer Forelle vorlieb zu nehmen, wie ſie
Robinſon dem Schiffbrüchigen giebt. Er nahm die Zappelnde
aus dem Fiſchkaſten und in prähiſtoriſch primitiver Kaffeekaſſerolle
wurde ſie gekocht. Als Teller diente mir ein Zeitungsblatt,
ein Berner „Bund“ mit einem Aufſatz Widmanns, als Gabel
ein treuer Pfropfenzieher. Und der ehrwürdige Greis erzählte,
derweil ich aß, wie er den Finger des unmittelbaren Schickſals
allemal über die bloß traditionelle Lehre ſetze. So ſchieße er
niemals Gemſen, da das durchaus verboten ſei. Aber zum un¬
ſchuldigen Spiel, dem kein Menſch wehren dürfe, ſtelle er auf
fernen Steinzacken, die gerade ſein ungetrübtes Adlerauge noch
erreiche, eine friedliche Selterswaſſerflaſche auf und übe die Kraft
ſeines Alters mit Schüſſen nach dieſem Ziel. Geſchehe es nun
allerdings, daß eine Gemſe grade im Moment ſolchen Tellſchuſſes
zwiſchen ihn und die Flaſche trete, ſo achte er das als den
höheren Finger, dem der Weiſe ſich zu beugen habe. Wenn ich
wieder heraufkäme, meinte er, ſo wollten wir wohl einen guten
Gemſenbraten zuſammen ſchmauſen. Denn ſo wunderbar es
ſcheine: in dieſen weltfremden Ureinſamkeiten walte das Schickſal
gar eigenartig und gewaltſam zur Erprobung der Philoſophen.

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[214/0230] Weiber, wie Buſch's alter Kräkel, er hatte, ich weiß nicht wie viele in der Reihenfolge der Zeit unten im Thal gehabt und geheiratet und ich glaube, eine lebte ſogar da unten noch. Im übrigen aber war ſein Herz mitfühlend mit den Sünden und Begehrlichkeiten der Welt. Es gab keinerlei Reſtaurant hier oben und die Forellen waren für Geld nicht feil. Aber wer eindrücklich zu machen wußte, daß er fünf Stunden ge¬ klettert ſei und den elenden Hungertod gewärtige, vor dem regte ſich in dem alten Murmelvater das Gebot chriſtlicher Nächſtenliebe, das da lehrt, es ſolle der Nackende gekleidet und der Hungernde getröſtet werden um höheren Lohn als Goldes¬ wert. Brot und Käſe hatte er nicht und ſein Enzianſchnaps fiel in den hungernden Magen wie feurige Kohlen. So bat er denn endlich, mit einer Forelle vorlieb zu nehmen, wie ſie Robinſon dem Schiffbrüchigen giebt. Er nahm die Zappelnde aus dem Fiſchkaſten und in prähiſtoriſch primitiver Kaffeekaſſerolle wurde ſie gekocht. Als Teller diente mir ein Zeitungsblatt, ein Berner „Bund“ mit einem Aufſatz Widmanns, als Gabel ein treuer Pfropfenzieher. Und der ehrwürdige Greis erzählte, derweil ich aß, wie er den Finger des unmittelbaren Schickſals allemal über die bloß traditionelle Lehre ſetze. So ſchieße er niemals Gemſen, da das durchaus verboten ſei. Aber zum un¬ ſchuldigen Spiel, dem kein Menſch wehren dürfe, ſtelle er auf fernen Steinzacken, die gerade ſein ungetrübtes Adlerauge noch erreiche, eine friedliche Selterswaſſerflaſche auf und übe die Kraft ſeines Alters mit Schüſſen nach dieſem Ziel. Geſchehe es nun allerdings, daß eine Gemſe grade im Moment ſolchen Tellſchuſſes zwiſchen ihn und die Flaſche trete, ſo achte er das als den höheren Finger, dem der Weiſe ſich zu beugen habe. Wenn ich wieder heraufkäme, meinte er, ſo wollten wir wohl einen guten Gemſenbraten zuſammen ſchmauſen. Denn ſo wunderbar es ſcheine: in dieſen weltfremden Ureinſamkeiten walte das Schickſal gar eigenartig und gewaltſam zur Erprobung der Philoſophen. In dieſem romantiſchen Milieu alſo lernte ich zunächſt die

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/230>, abgerufen am 24.11.2024.