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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

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wieder haben, -- fragt sich bloß welche und was für eine in
was für einer noch um ein Stockwerk tieferen Kausalkette der
Weltendinge. Das trifft aber nun auch auf den Menschen zu.
Und hier haben wir beispielsweise, um nur das Gröbste zu
erwähnen, vorläufig nicht die leiseste Ahnung, wie und nach
welchem Gesetz die köstlichste unserer menschlichen Varietäten,
ja die wahre Fortschrittsvarietät von Beruf: das Genie, ent¬
stehe. Daß es sich behauptet, sehen wir in Darwins Sinne,
aufs Geistige übertragen, alle Tage, ja wir sehen selbst, wie
es, im kurzen Raum eines Menschenlebens oft aufs härteste
bedrängt und gar in Märtyrerflammen verbrannt, nach Jahr¬
hunderten, ja Jahrtausenden noch sich herausbeißt und schlie߬
lich die Köpfe doch noch zu sich herum erzieht. Aber das Gesetz
seiner Enstehung ist vorläufig ganz dunkel. Wir sehen es weder
abhängig von einer bestimmten Kulturrasse, noch etwa einem
besonderen sozialen Milieu, oder besonderer Muskelstärke,
Bazillenfestigkeit oder Langlebigkeit, wir können es weder her¬
vorfüttern noch hervorfasten und hervorprügeln. Es ist eben
einfach so und so oft da, und wenn es da ist, bricht es durch
und führt uns schließlich alle ein Stück weiter. Seine Kausal¬
verknüpfung in tiefen Ursachen, die zweifellos im innersten Ge¬
webe der Weltentwickelung eine ungeheure Rolle spielen, wird
es ganz gewiß haben. Bloß daß wir sie vorläufig nicht sehen.

So scheint mir also auch jenes Dilemma einstweilen nicht
so sehr wichtig. Deßwegen ließe sich der Gedanke aber immer¬
hin wohl hören, daß der Fortschritt der Menschheit der Zucht¬
wahl auch noch an einigen Ecken unterliegen könnte, an die
sich unser Mitleid im allgemeinen noch gar nicht heranwagt.
So also beispielsweise bei der Konkurrenz der Samentierchen.
Und daß wir vielleicht einmal danach trachten könnten, hier der
Natur noch im fortschrittlichen Sinne nachzuhelfen, -- indem
wir dafür sorgten, daß stets möglichst viele kerngesunde und
vollkräftige Samentierchen bei dem Akt zur Stelle wären.
Worauf dann der uns unsichtbare Konkurrenzzwist da drinnen

wieder haben, — fragt ſich bloß welche und was für eine in
was für einer noch um ein Stockwerk tieferen Kauſalkette der
Weltendinge. Das trifft aber nun auch auf den Menſchen zu.
Und hier haben wir beiſpielsweiſe, um nur das Gröbſte zu
erwähnen, vorläufig nicht die leiſeſte Ahnung, wie und nach
welchem Geſetz die köſtlichſte unſerer menſchlichen Varietäten,
ja die wahre Fortſchrittsvarietät von Beruf: das Genie, ent¬
ſtehe. Daß es ſich behauptet, ſehen wir in Darwins Sinne,
aufs Geiſtige übertragen, alle Tage, ja wir ſehen ſelbſt, wie
es, im kurzen Raum eines Menſchenlebens oft aufs härteſte
bedrängt und gar in Märtyrerflammen verbrannt, nach Jahr¬
hunderten, ja Jahrtauſenden noch ſich herausbeißt und ſchlie߬
lich die Köpfe doch noch zu ſich herum erzieht. Aber das Geſetz
ſeiner Enſtehung iſt vorläufig ganz dunkel. Wir ſehen es weder
abhängig von einer beſtimmten Kulturraſſe, noch etwa einem
beſonderen ſozialen Milieu, oder beſonderer Muskelſtärke,
Bazillenfeſtigkeit oder Langlebigkeit, wir können es weder her¬
vorfüttern noch hervorfaſten und hervorprügeln. Es iſt eben
einfach ſo und ſo oft da, und wenn es da iſt, bricht es durch
und führt uns ſchließlich alle ein Stück weiter. Seine Kauſal¬
verknüpfung in tiefen Urſachen, die zweifellos im innerſten Ge¬
webe der Weltentwickelung eine ungeheure Rolle ſpielen, wird
es ganz gewiß haben. Bloß daß wir ſie vorläufig nicht ſehen.

So ſcheint mir alſo auch jenes Dilemma einſtweilen nicht
ſo ſehr wichtig. Deßwegen ließe ſich der Gedanke aber immer¬
hin wohl hören, daß der Fortſchritt der Menſchheit der Zucht¬
wahl auch noch an einigen Ecken unterliegen könnte, an die
ſich unſer Mitleid im allgemeinen noch gar nicht heranwagt.
So alſo beiſpielsweiſe bei der Konkurrenz der Samentierchen.
Und daß wir vielleicht einmal danach trachten könnten, hier der
Natur noch im fortſchrittlichen Sinne nachzuhelfen, — indem
wir dafür ſorgten, daß ſtets möglichſt viele kerngeſunde und
vollkräftige Samentierchen bei dem Akt zur Stelle wären.
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[198/0214] wieder haben, — fragt ſich bloß welche und was für eine in was für einer noch um ein Stockwerk tieferen Kauſalkette der Weltendinge. Das trifft aber nun auch auf den Menſchen zu. Und hier haben wir beiſpielsweiſe, um nur das Gröbſte zu erwähnen, vorläufig nicht die leiſeſte Ahnung, wie und nach welchem Geſetz die köſtlichſte unſerer menſchlichen Varietäten, ja die wahre Fortſchrittsvarietät von Beruf: das Genie, ent¬ ſtehe. Daß es ſich behauptet, ſehen wir in Darwins Sinne, aufs Geiſtige übertragen, alle Tage, ja wir ſehen ſelbſt, wie es, im kurzen Raum eines Menſchenlebens oft aufs härteſte bedrängt und gar in Märtyrerflammen verbrannt, nach Jahr¬ hunderten, ja Jahrtauſenden noch ſich herausbeißt und ſchlie߬ lich die Köpfe doch noch zu ſich herum erzieht. Aber das Geſetz ſeiner Enſtehung iſt vorläufig ganz dunkel. Wir ſehen es weder abhängig von einer beſtimmten Kulturraſſe, noch etwa einem beſonderen ſozialen Milieu, oder beſonderer Muskelſtärke, Bazillenfeſtigkeit oder Langlebigkeit, wir können es weder her¬ vorfüttern noch hervorfaſten und hervorprügeln. Es iſt eben einfach ſo und ſo oft da, und wenn es da iſt, bricht es durch und führt uns ſchließlich alle ein Stück weiter. Seine Kauſal¬ verknüpfung in tiefen Urſachen, die zweifellos im innerſten Ge¬ webe der Weltentwickelung eine ungeheure Rolle ſpielen, wird es ganz gewiß haben. Bloß daß wir ſie vorläufig nicht ſehen. So ſcheint mir alſo auch jenes Dilemma einſtweilen nicht ſo ſehr wichtig. Deßwegen ließe ſich der Gedanke aber immer¬ hin wohl hören, daß der Fortſchritt der Menſchheit der Zucht¬ wahl auch noch an einigen Ecken unterliegen könnte, an die ſich unſer Mitleid im allgemeinen noch gar nicht heranwagt. So alſo beiſpielsweiſe bei der Konkurrenz der Samentierchen. Und daß wir vielleicht einmal danach trachten könnten, hier der Natur noch im fortſchrittlichen Sinne nachzuhelfen, — indem wir dafür ſorgten, daß ſtets möglichſt viele kerngeſunde und vollkräftige Samentierchen bei dem Akt zur Stelle wären. Worauf dann der uns unſichtbare Konkurrenzzwiſt da drinnen

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/214>, abgerufen am 24.11.2024.