Meerwasser. Das Meer ist nun riesig und flutet von Erdteil zu Erdteil. Soweit wollen wir gewiß uns nicht die Männlein und Weiblein des damaligen wurm- oder fischähnlichen Vor¬ menschen voneinander getrennt denken. Mögen sie sich selbst so nahe gewesen sein, wie etwa ein Mann und ein Weib, die mit zwei Armbreiten Spielraum an einer gemeinsamen Bade¬ stelle nebeneinander schwimmen. Jetzt denke dir aber, es soll mitten auch bei diesem Schwimmen von dem Weibe sich ein einziges punktgroßes lebendes Eilein und von dem Manne ein einziges, mikroskopisch kleines, nur ein zwanzigstel eines Milli¬ meters langes Samentierchen frei ins rauschende Wasser hinein lösen. Ei wie Samentierchen sollen zwar die gute Eigenschaft vollauf besitzen, daß sie sich im kalten Salzwasser fidel erhalten können. Aber werden sie jemals zusammenkommen? Die Wahrscheinlichkeit ist sicher noch viel geringer als die für zwei Flöhe in einem Heuschober. Viel geringer, denn das unab¬ lässig bewegte Wasser wird sie auch noch auseinandertragen.
Die Wahrscheinlichkeit würde indessen beträchtlich wachsen, wenn du dir dächtest, es gingen nicht eins, sondern hundert, oder tausend oder zehntausend Samentierchen ab. Oder es vermehrte sich auch die Zahl der Eier. Je mehr, je besser. Wenn erst die Zahl der beliebig ausgeströmten Geschlechtszellen anfinge, etwa den ganzen trennenden Kubikmeter Wasser zwischen den beiden Schwimmern mehr oder minder in dichter Wolke zu erfüllen, wäre eine Art Gewißheit erreicht, daß nicht nur die nötige einmalige Mischung zweier Zellen stattfände, sondern sehr wahrscheinlich noch eine Masse Überproduktion an Zeugung. Auch diese Überproduktion könnte aber sehr erwünscht sein, im Falle es sich um ein stark verfolgtes Wesen handelt, dessen Sterbeziffer beständig rapid anwächst, so daß die Zeugung auch gleichsam im Quadrat nach muß.
Das jetzt ist die Situation, wo die Natur zuerst an¬ gefangen hat mit der "Verschwendung" der Geschlechtsstoffe. Aus der Logik der Situation heraus ist es aber hier gar keine
13
Meerwaſſer. Das Meer iſt nun rieſig und flutet von Erdteil zu Erdteil. Soweit wollen wir gewiß uns nicht die Männlein und Weiblein des damaligen wurm- oder fiſchähnlichen Vor¬ menſchen voneinander getrennt denken. Mögen ſie ſich ſelbſt ſo nahe geweſen ſein, wie etwa ein Mann und ein Weib, die mit zwei Armbreiten Spielraum an einer gemeinſamen Bade¬ ſtelle nebeneinander ſchwimmen. Jetzt denke dir aber, es ſoll mitten auch bei dieſem Schwimmen von dem Weibe ſich ein einziges punktgroßes lebendes Eilein und von dem Manne ein einziges, mikroſkopiſch kleines, nur ein zwanzigſtel eines Milli¬ meters langes Samentierchen frei ins rauſchende Waſſer hinein löſen. Ei wie Samentierchen ſollen zwar die gute Eigenſchaft vollauf beſitzen, daß ſie ſich im kalten Salzwaſſer fidel erhalten können. Aber werden ſie jemals zuſammenkommen? Die Wahrſcheinlichkeit iſt ſicher noch viel geringer als die für zwei Flöhe in einem Heuſchober. Viel geringer, denn das unab¬ läſſig bewegte Waſſer wird ſie auch noch auseinandertragen.
Die Wahrſcheinlichkeit würde indeſſen beträchtlich wachſen, wenn du dir dächteſt, es gingen nicht eins, ſondern hundert, oder tauſend oder zehntauſend Samentierchen ab. Oder es vermehrte ſich auch die Zahl der Eier. Je mehr, je beſſer. Wenn erſt die Zahl der beliebig ausgeſtrömten Geſchlechtszellen anfinge, etwa den ganzen trennenden Kubikmeter Waſſer zwiſchen den beiden Schwimmern mehr oder minder in dichter Wolke zu erfüllen, wäre eine Art Gewißheit erreicht, daß nicht nur die nötige einmalige Miſchung zweier Zellen ſtattfände, ſondern ſehr wahrſcheinlich noch eine Maſſe Überproduktion an Zeugung. Auch dieſe Überproduktion könnte aber ſehr erwünſcht ſein, im Falle es ſich um ein ſtark verfolgtes Weſen handelt, deſſen Sterbeziffer beſtändig rapid anwächſt, ſo daß die Zeugung auch gleichſam im Quadrat nach muß.
Das jetzt iſt die Situation, wo die Natur zuerſt an¬ gefangen hat mit der „Verſchwendung“ der Geſchlechtsſtoffe. Aus der Logik der Situation heraus iſt es aber hier gar keine
13
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0209"n="193"/>
Meerwaſſer. Das Meer iſt nun rieſig und flutet von Erdteil<lb/>
zu Erdteil. Soweit wollen wir gewiß uns nicht die Männlein<lb/>
und Weiblein des damaligen wurm- oder fiſchähnlichen Vor¬<lb/>
menſchen voneinander getrennt denken. Mögen ſie ſich ſelbſt<lb/>ſo nahe geweſen ſein, wie etwa ein Mann und ein Weib, die<lb/>
mit zwei Armbreiten Spielraum an einer gemeinſamen Bade¬<lb/>ſtelle nebeneinander ſchwimmen. Jetzt denke dir aber, es ſoll<lb/>
mitten auch bei dieſem Schwimmen von dem Weibe ſich ein<lb/>
einziges punktgroßes lebendes Eilein und von dem Manne ein<lb/>
einziges, mikroſkopiſch kleines, nur ein zwanzigſtel eines Milli¬<lb/>
meters langes Samentierchen frei ins rauſchende Waſſer hinein<lb/>
löſen. Ei wie Samentierchen ſollen zwar die gute Eigenſchaft<lb/>
vollauf beſitzen, daß ſie ſich im kalten Salzwaſſer fidel erhalten<lb/>
können. Aber werden ſie jemals zuſammenkommen? Die<lb/>
Wahrſcheinlichkeit iſt ſicher noch viel geringer als die für zwei<lb/>
Flöhe in einem Heuſchober. Viel geringer, denn das unab¬<lb/>
läſſig bewegte Waſſer wird ſie auch noch auseinandertragen.</p><lb/><p>Die Wahrſcheinlichkeit würde indeſſen beträchtlich wachſen,<lb/>
wenn du dir dächteſt, es gingen nicht eins, ſondern hundert,<lb/>
oder tauſend oder zehntauſend Samentierchen ab. Oder es<lb/>
vermehrte ſich auch die Zahl der Eier. Je mehr, je beſſer.<lb/>
Wenn erſt die Zahl der beliebig ausgeſtrömten Geſchlechtszellen<lb/>
anfinge, etwa den ganzen trennenden Kubikmeter Waſſer zwiſchen<lb/>
den beiden Schwimmern mehr oder minder in dichter Wolke zu<lb/>
erfüllen, wäre eine Art Gewißheit erreicht, daß nicht nur die<lb/>
nötige einmalige Miſchung zweier Zellen ſtattfände, ſondern ſehr<lb/>
wahrſcheinlich noch eine Maſſe Überproduktion an Zeugung.<lb/>
Auch dieſe Überproduktion könnte aber ſehr erwünſcht ſein, im<lb/>
Falle es ſich um ein ſtark verfolgtes Weſen handelt, deſſen<lb/>
Sterbeziffer beſtändig rapid anwächſt, ſo daß die Zeugung auch<lb/>
gleichſam im Quadrat nach muß.</p><lb/><p>Das jetzt iſt die Situation, wo die Natur zuerſt an¬<lb/>
gefangen hat mit der „Verſchwendung“ der Geſchlechtsſtoffe.<lb/>
Aus der Logik der Situation heraus iſt es aber hier gar keine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">13<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[193/0209]
Meerwaſſer. Das Meer iſt nun rieſig und flutet von Erdteil
zu Erdteil. Soweit wollen wir gewiß uns nicht die Männlein
und Weiblein des damaligen wurm- oder fiſchähnlichen Vor¬
menſchen voneinander getrennt denken. Mögen ſie ſich ſelbſt
ſo nahe geweſen ſein, wie etwa ein Mann und ein Weib, die
mit zwei Armbreiten Spielraum an einer gemeinſamen Bade¬
ſtelle nebeneinander ſchwimmen. Jetzt denke dir aber, es ſoll
mitten auch bei dieſem Schwimmen von dem Weibe ſich ein
einziges punktgroßes lebendes Eilein und von dem Manne ein
einziges, mikroſkopiſch kleines, nur ein zwanzigſtel eines Milli¬
meters langes Samentierchen frei ins rauſchende Waſſer hinein
löſen. Ei wie Samentierchen ſollen zwar die gute Eigenſchaft
vollauf beſitzen, daß ſie ſich im kalten Salzwaſſer fidel erhalten
können. Aber werden ſie jemals zuſammenkommen? Die
Wahrſcheinlichkeit iſt ſicher noch viel geringer als die für zwei
Flöhe in einem Heuſchober. Viel geringer, denn das unab¬
läſſig bewegte Waſſer wird ſie auch noch auseinandertragen.
Die Wahrſcheinlichkeit würde indeſſen beträchtlich wachſen,
wenn du dir dächteſt, es gingen nicht eins, ſondern hundert,
oder tauſend oder zehntauſend Samentierchen ab. Oder es
vermehrte ſich auch die Zahl der Eier. Je mehr, je beſſer.
Wenn erſt die Zahl der beliebig ausgeſtrömten Geſchlechtszellen
anfinge, etwa den ganzen trennenden Kubikmeter Waſſer zwiſchen
den beiden Schwimmern mehr oder minder in dichter Wolke zu
erfüllen, wäre eine Art Gewißheit erreicht, daß nicht nur die
nötige einmalige Miſchung zweier Zellen ſtattfände, ſondern ſehr
wahrſcheinlich noch eine Maſſe Überproduktion an Zeugung.
Auch dieſe Überproduktion könnte aber ſehr erwünſcht ſein, im
Falle es ſich um ein ſtark verfolgtes Weſen handelt, deſſen
Sterbeziffer beſtändig rapid anwächſt, ſo daß die Zeugung auch
gleichſam im Quadrat nach muß.
Das jetzt iſt die Situation, wo die Natur zuerſt an¬
gefangen hat mit der „Verſchwendung“ der Geſchlechtsſtoffe.
Aus der Logik der Situation heraus iſt es aber hier gar keine
13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/209>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.