Menschheit. Diese Moral mit ihrer Sündenlehre war erst recht der Geier, der dem Prometheus jetzt die Leber fraß.
Und was half das alles.
Buddha hat sich kasteit, daß das rote Blut zu den Wänden aufgespritzt ist. Fort mit diesem heißen Blute! Der klare be¬ wußte Geist verwirft die Wollust. Er will sich nicht mehr verschlingen lassen von der Welle seines rohen Naturgrundes. Mag die Menschheit lieber im ganzen inne halten, mag sie wieder fortgefegt werden von der Weltentafel wie ein Phantom. Ein hoher Frieden naht. Die Sehnsucht nach Wollust ist er¬ storben. Und damit ist alles hin, was an scheußlichen Kon¬ sequenzen kam. Ein welkes Blatt liegt der gequälte Körper zu Füßen dem Sieger, dem Geist ....
Aber auch durch diesen Geist zittert Müdigkeit. Mag er den Lohn einheimsen. Nach so viel Arbeit jetzt selber ruhen. Es ist ja der Schlaf des Siegers, der überwunden hat. Und Buddha sinkt auf sein Büßerlager und schläft. Armer Thor! Der Schlaf ist ja selber nichts anderes als ein Einsinken in jenen großen Untergrund des Individuums, dem auch die Wollust entstammt. Buddha schläft. Die Außensinne schweigen, wie mit schwarzen Tüchern verhängt. Aber jetzt wird's von innen hell. Der Traum tritt auf die verschlossene Bühne. Und er zündet mit kühler Geisterhand die Lampen an und bringt alles zurück. Ein Zauberer, der alle Siegel löst, Schlösser sprengt, Ketten bricht. Da kommen die Befreiten. Der Leib. Der nackte Leib. Das Weib. Liebend. Geliebt. Schließlich vielleicht sogar die äußersten Gespenster; der ver¬ wegene Trost des Einsamen; das andere Wesen gleichen Ge¬ schlechts. Und die Halluzination greift durch den Körper ein¬ fach hindurch, -- mit einer Einheitsgewalt, die der wache Geist nie erreichen könnte. Sie fragt nicht, sie philosophiert nicht und moralisiert nicht, -- sie handelt. Mit strengem, geradem, zielsicheren Geisterschritt holt sie den Körper. Eins, zwei, drei, hat sie ihn da, wo sie ihn haben will. Die
Menſchheit. Dieſe Moral mit ihrer Sündenlehre war erſt recht der Geier, der dem Prometheus jetzt die Leber fraß.
Und was half das alles.
Buddha hat ſich kaſteit, daß das rote Blut zu den Wänden aufgeſpritzt iſt. Fort mit dieſem heißen Blute! Der klare be¬ wußte Geiſt verwirft die Wolluſt. Er will ſich nicht mehr verſchlingen laſſen von der Welle ſeines rohen Naturgrundes. Mag die Menſchheit lieber im ganzen inne halten, mag ſie wieder fortgefegt werden von der Weltentafel wie ein Phantom. Ein hoher Frieden naht. Die Sehnſucht nach Wolluſt iſt er¬ ſtorben. Und damit iſt alles hin, was an ſcheußlichen Kon¬ ſequenzen kam. Ein welkes Blatt liegt der gequälte Körper zu Füßen dem Sieger, dem Geiſt ....
Aber auch durch dieſen Geiſt zittert Müdigkeit. Mag er den Lohn einheimſen. Nach ſo viel Arbeit jetzt ſelber ruhen. Es iſt ja der Schlaf des Siegers, der überwunden hat. Und Buddha ſinkt auf ſein Büßerlager und ſchläft. Armer Thor! Der Schlaf iſt ja ſelber nichts anderes als ein Einſinken in jenen großen Untergrund des Individuums, dem auch die Wolluſt entſtammt. Buddha ſchläft. Die Außenſinne ſchweigen, wie mit ſchwarzen Tüchern verhängt. Aber jetzt wird's von innen hell. Der Traum tritt auf die verſchloſſene Bühne. Und er zündet mit kühler Geiſterhand die Lampen an und bringt alles zurück. Ein Zauberer, der alle Siegel löſt, Schlöſſer ſprengt, Ketten bricht. Da kommen die Befreiten. Der Leib. Der nackte Leib. Das Weib. Liebend. Geliebt. Schließlich vielleicht ſogar die äußerſten Geſpenſter; der ver¬ wegene Troſt des Einſamen; das andere Weſen gleichen Ge¬ ſchlechts. Und die Halluzination greift durch den Körper ein¬ fach hindurch, — mit einer Einheitsgewalt, die der wache Geiſt nie erreichen könnte. Sie fragt nicht, ſie philoſophiert nicht und moraliſiert nicht, — ſie handelt. Mit ſtrengem, geradem, zielſicheren Geiſterſchritt holt ſie den Körper. Eins, zwei, drei, hat ſie ihn da, wo ſie ihn haben will. Die
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Menſchheit. Dieſe Moral mit ihrer Sündenlehre war erſt recht
der Geier, der dem Prometheus jetzt die Leber fraß.
Und was half das alles.
Buddha hat ſich kaſteit, daß das rote Blut zu den Wänden
aufgeſpritzt iſt. Fort mit dieſem heißen Blute! Der klare be¬
wußte Geiſt verwirft die Wolluſt. Er will ſich nicht mehr
verſchlingen laſſen von der Welle ſeines rohen Naturgrundes.
Mag die Menſchheit lieber im ganzen inne halten, mag ſie
wieder fortgefegt werden von der Weltentafel wie ein Phantom.
Ein hoher Frieden naht. Die Sehnſucht nach Wolluſt iſt er¬
ſtorben. Und damit iſt alles hin, was an ſcheußlichen Kon¬
ſequenzen kam. Ein welkes Blatt liegt der gequälte Körper
zu Füßen dem Sieger, dem Geiſt ....
Aber auch durch dieſen Geiſt zittert Müdigkeit. Mag er den
Lohn einheimſen. Nach ſo viel Arbeit jetzt ſelber ruhen. Es
iſt ja der Schlaf des Siegers, der überwunden hat. Und
Buddha ſinkt auf ſein Büßerlager und ſchläft. Armer Thor!
Der Schlaf iſt ja ſelber nichts anderes als ein Einſinken in
jenen großen Untergrund des Individuums, dem auch die
Wolluſt entſtammt. Buddha ſchläft. Die Außenſinne ſchweigen,
wie mit ſchwarzen Tüchern verhängt. Aber jetzt wird's von
innen hell. Der Traum tritt auf die verſchloſſene Bühne.
Und er zündet mit kühler Geiſterhand die Lampen an und
bringt alles zurück. Ein Zauberer, der alle Siegel löſt,
Schlöſſer ſprengt, Ketten bricht. Da kommen die Befreiten.
Der Leib. Der nackte Leib. Das Weib. Liebend. Geliebt.
Schließlich vielleicht ſogar die äußerſten Geſpenſter; der ver¬
wegene Troſt des Einſamen; das andere Weſen gleichen Ge¬
ſchlechts. Und die Halluzination greift durch den Körper ein¬
fach hindurch, — mit einer Einheitsgewalt, die der wache
Geiſt nie erreichen könnte. Sie fragt nicht, ſie philoſophiert
nicht und moraliſiert nicht, — ſie handelt. Mit ſtrengem,
geradem, zielſicheren Geiſterſchritt holt ſie den Körper. Eins,
zwei, drei, hat ſie ihn da, wo ſie ihn haben will. Die
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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