denselben uralten Bräuchen vollzogen, gleich als hätte sich da überhaupt nichts verändert in den Jahrmillionen seit dem ersten Tage, da im Urmeer eine erste Liebe jener Rumpel¬ stilzchen sich nach jenem Rezept abwickelte. Aber der ganze Akt erscheint bei dir gleichsam zusammengerückt doch bloß in eine Liebe recht eigentlich hinein: nämlich in die Mischliebe.
Das, was in diesem Akt als Distanceliebe erscheint, das umfaßt jetzt nur jenes erwähnte, kleine Wegrestchen zwischen Samenzelle und Eizelle, -- das winzige Distanceteilchen inner¬ halb des Weibes zwischen deiner eingespritzten Samenzelle und der entgegen wandernden Eizelle deiner Liebsten. Und ebenso umfaßt das, was in dem Urakt als Dauerliebe erscheint, nur mehr das kleine Wegrestchen umgekehrt, das ein Menschenkindlein im Moment der Geburt von der Gebärmutter bis an die Scheide¬ öffnung zurücklegt. Jenes ganze Ur-Meer von Jahrmillionen, in dem die ersten lebendigen Zellen sich suchten, mischten und wieder zerspalteten, ist in Wahrheit eingegangen und aufgenommen in den purpurnen Grund des Schoßes beim Menschenweibe. Damit aber tritt in Kraft, was wir eben uns selber begrenzt haben.
Der ganze Urakt, von uns Menschen immer noch so treu bis heute bewahrt, fällt wesentlich doch bei uns ganz in die Mischliebe. Alle unsere echte menschliche Distanceliebe aber, die bei der Pforte des liebenden Weibes aufhört, und eben¬ so alle unsere echte menschliche Dauerliebe, die bei derselben Pforte der gebärenden Mutter nach außen zu anfängt: sie berühren gar nicht jenen alten und im Weibesleibe immer noch fortbestehenden Urakt der Liebe. Sie müssen jünger sein, müssen Ergebnis sein einer erst nachfolgenden geschichtlichen Weiterentwickelung in der Liebe.
Und das sind sie allerdings. Denn ihre gesamten Voraus¬ setzungen liegen eingequadert in jüngere Entwickelungsdinge der Lebewesen überhaupt.
Da sind ja beim Zeugungsakt selber bei euch beiden Menschen schon nicht bloß die Eizelle und Samenzelle, die sich
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denſelben uralten Bräuchen vollzogen, gleich als hätte ſich da überhaupt nichts verändert in den Jahrmillionen ſeit dem erſten Tage, da im Urmeer eine erſte Liebe jener Rumpel¬ ſtilzchen ſich nach jenem Rezept abwickelte. Aber der ganze Akt erſcheint bei dir gleichſam zuſammengerückt doch bloß in eine Liebe recht eigentlich hinein: nämlich in die Miſchliebe.
Das, was in dieſem Akt als Diſtanceliebe erſcheint, das umfaßt jetzt nur jenes erwähnte, kleine Wegreſtchen zwiſchen Samenzelle und Eizelle, — das winzige Diſtanceteilchen inner¬ halb des Weibes zwiſchen deiner eingeſpritzten Samenzelle und der entgegen wandernden Eizelle deiner Liebſten. Und ebenſo umfaßt das, was in dem Urakt als Dauerliebe erſcheint, nur mehr das kleine Wegreſtchen umgekehrt, das ein Menſchenkindlein im Moment der Geburt von der Gebärmutter bis an die Scheide¬ öffnung zurücklegt. Jenes ganze Ur-Meer von Jahrmillionen, in dem die erſten lebendigen Zellen ſich ſuchten, miſchten und wieder zerſpalteten, iſt in Wahrheit eingegangen und aufgenommen in den purpurnen Grund des Schoßes beim Menſchenweibe. Damit aber tritt in Kraft, was wir eben uns ſelber begrenzt haben.
Der ganze Urakt, von uns Menſchen immer noch ſo treu bis heute bewahrt, fällt weſentlich doch bei uns ganz in die Miſchliebe. Alle unſere echte menſchliche Diſtanceliebe aber, die bei der Pforte des liebenden Weibes aufhört, und eben¬ ſo alle unſere echte menſchliche Dauerliebe, die bei derſelben Pforte der gebärenden Mutter nach außen zu anfängt: ſie berühren gar nicht jenen alten und im Weibesleibe immer noch fortbeſtehenden Urakt der Liebe. Sie müſſen jünger ſein, müſſen Ergebnis ſein einer erſt nachfolgenden geſchichtlichen Weiterentwickelung in der Liebe.
Und das ſind ſie allerdings. Denn ihre geſamten Voraus¬ ſetzungen liegen eingequadert in jüngere Entwickelungsdinge der Lebeweſen überhaupt.
Da ſind ja beim Zeugungsakt ſelber bei euch beiden Menſchen ſchon nicht bloß die Eizelle und Samenzelle, die ſich
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denſelben uralten Bräuchen vollzogen, gleich als hätte ſich da
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erſten Tage, da im Urmeer eine erſte Liebe jener Rumpel¬
ſtilzchen ſich nach jenem Rezept abwickelte. Aber der ganze
Akt erſcheint bei dir gleichſam zuſammengerückt doch bloß in
eine Liebe recht eigentlich hinein: nämlich in die Miſchliebe.
Das, was in dieſem Akt als Diſtanceliebe erſcheint, das
umfaßt jetzt nur jenes erwähnte, kleine Wegreſtchen zwiſchen
Samenzelle und Eizelle, — das winzige Diſtanceteilchen inner¬
halb des Weibes zwiſchen deiner eingeſpritzten Samenzelle und
der entgegen wandernden Eizelle deiner Liebſten. Und ebenſo
umfaßt das, was in dem Urakt als Dauerliebe erſcheint, nur mehr
das kleine Wegreſtchen umgekehrt, das ein Menſchenkindlein im
Moment der Geburt von der Gebärmutter bis an die Scheide¬
öffnung zurücklegt. Jenes ganze Ur-Meer von Jahrmillionen, in
dem die erſten lebendigen Zellen ſich ſuchten, miſchten und wieder
zerſpalteten, iſt in Wahrheit eingegangen und aufgenommen in
den purpurnen Grund des Schoßes beim Menſchenweibe. Damit
aber tritt in Kraft, was wir eben uns ſelber begrenzt haben.
Der ganze Urakt, von uns Menſchen immer noch ſo treu
bis heute bewahrt, fällt weſentlich doch bei uns ganz in die
Miſchliebe. Alle unſere echte menſchliche Diſtanceliebe aber,
die bei der Pforte des liebenden Weibes aufhört, und eben¬
ſo alle unſere echte menſchliche Dauerliebe, die bei derſelben
Pforte der gebärenden Mutter nach außen zu anfängt: ſie
berühren gar nicht jenen alten und im Weibesleibe immer noch
fortbeſtehenden Urakt der Liebe. Sie müſſen jünger ſein,
müſſen Ergebnis ſein einer erſt nachfolgenden geſchichtlichen
Weiterentwickelung in der Liebe.
Und das ſind ſie allerdings. Denn ihre geſamten Voraus¬
ſetzungen liegen eingequadert in jüngere Entwickelungsdinge der
Lebeweſen überhaupt.
Da ſind ja beim Zeugungsakt ſelber bei euch beiden
Menſchen ſchon nicht bloß die Eizelle und Samenzelle, die ſich
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/177>, abgerufen am 22.11.2024.
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