und letztlich aus allen, auch den wunderlichsten, etwas gelernt hat. Unser Gespräch kehrt zu diesen besonderen Wertungen der Distance- und Mischliebe noch ausführlich zurück. Was uns hier nur interessieren soll, ist die einfache Thatsache eines solchen Zwistes überhaupt.
Wo immer du in der Welt Rangzwiste dieser Art auftauchen siehst, da muß der Gedanke als erster nahe liegen: es handle sich wohl um einen Zwist zwischen Älter und Neuer.
Verschiedene Altersschichten lasten wie in jenem Bergwerk da aufeinander. Und zwischen ihnen schwanken die Wertungen. So hast du es in unserem Völkerleben, im sozialen Klassen¬ kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforschung über die Dinge Himmels und der Erden. Du hast es aber noch in einem uns hier viel näheren Beispiel. Jene liebens¬ würdigen Wörtchen von "fleischlich, sinnlich, tierisch", die die ganz lilienweiß gewordene Distanceliebe der blutroten Mischliebe angehängt hat, weisen dir den rechten Weg. Es sind ja, wie gesagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geistes¬ seite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt wurden.
Zwischen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬ wöhnlich Geist betitelst und dem anderen, den du Leib nennst, besteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewiesen -- ein ausgesprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein "Leib" ist die ältere Weisheit in dir, -- der engere Fleck da¬ gegen, auf dem du deinen "Geist" regsam fühlst, die jüngere. Dein Leib besitzt die Schrift von Äonen, dein Geist ist deine paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als einem Höheren, Universaleren einbeschlossen, zeigen diese beiden Stücke deswegen doch eine gewisse Gegensätzlichkeit. Der Leib hat gegen den Geist etwas Plumpes, Riesiges, Erdrückendes. Zugleich hat er aber etwas Automatisches, etwas von einem eingedrillten Riesen, der Jahrmillionen auf dem Buckel schleppt, durch diese Last aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit
und letztlich aus allen, auch den wunderlichſten, etwas gelernt hat. Unſer Geſpräch kehrt zu dieſen beſonderen Wertungen der Diſtance- und Miſchliebe noch ausführlich zurück. Was uns hier nur intereſſieren ſoll, iſt die einfache Thatſache eines ſolchen Zwiſtes überhaupt.
Wo immer du in der Welt Rangzwiſte dieſer Art auftauchen ſiehſt, da muß der Gedanke als erſter nahe liegen: es handle ſich wohl um einen Zwiſt zwiſchen Älter und Neuer.
Verſchiedene Altersſchichten laſten wie in jenem Bergwerk da aufeinander. Und zwiſchen ihnen ſchwanken die Wertungen. So haſt du es in unſerem Völkerleben, im ſozialen Klaſſen¬ kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforſchung über die Dinge Himmels und der Erden. Du haſt es aber noch in einem uns hier viel näheren Beiſpiel. Jene liebens¬ würdigen Wörtchen von „fleiſchlich, ſinnlich, tieriſch“, die die ganz lilienweiß gewordene Diſtanceliebe der blutroten Miſchliebe angehängt hat, weiſen dir den rechten Weg. Es ſind ja, wie geſagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geiſtes¬ ſeite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt wurden.
Zwiſchen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬ wöhnlich Geiſt betitelſt und dem anderen, den du Leib nennſt, beſteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewieſen — ein ausgeſprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein „Leib“ iſt die ältere Weisheit in dir, — der engere Fleck da¬ gegen, auf dem du deinen „Geiſt“ regſam fühlſt, die jüngere. Dein Leib beſitzt die Schrift von Äonen, dein Geiſt iſt deine paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als einem Höheren, Univerſaleren einbeſchloſſen, zeigen dieſe beiden Stücke deswegen doch eine gewiſſe Gegenſätzlichkeit. Der Leib hat gegen den Geiſt etwas Plumpes, Rieſiges, Erdrückendes. Zugleich hat er aber etwas Automatiſches, etwas von einem eingedrillten Rieſen, der Jahrmillionen auf dem Buckel ſchleppt, durch dieſe Laſt aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0173"n="157"/>
und letztlich aus allen, auch den wunderlichſten, etwas gelernt<lb/>
hat. Unſer Geſpräch kehrt zu dieſen beſonderen Wertungen der<lb/>
Diſtance- und Miſchliebe noch ausführlich zurück. Was uns<lb/>
hier nur intereſſieren ſoll, iſt die einfache Thatſache eines<lb/>ſolchen Zwiſtes überhaupt.</p><lb/><p>Wo immer du in der Welt Rangzwiſte dieſer Art auftauchen<lb/>ſiehſt, da muß der Gedanke als erſter nahe liegen: es handle<lb/>ſich wohl um einen Zwiſt zwiſchen Älter und Neuer.</p><lb/><p>Verſchiedene Altersſchichten laſten wie in jenem Bergwerk<lb/>
da aufeinander. Und zwiſchen ihnen ſchwanken die Wertungen.<lb/>
So haſt du es in unſerem Völkerleben, im ſozialen Klaſſen¬<lb/>
kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforſchung<lb/>
über die Dinge Himmels und der Erden. Du haſt es aber<lb/>
noch in einem uns hier viel näheren Beiſpiel. Jene liebens¬<lb/>
würdigen Wörtchen von „fleiſchlich, ſinnlich, tieriſch“, die die ganz<lb/>
lilienweiß gewordene Diſtanceliebe der blutroten Miſchliebe<lb/>
angehängt hat, weiſen dir den rechten Weg. Es ſind ja, wie<lb/>
geſagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geiſtes¬<lb/>ſeite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt<lb/>
wurden.</p><lb/><p>Zwiſchen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬<lb/>
wöhnlich Geiſt betitelſt und dem anderen, den du Leib nennſt,<lb/>
beſteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewieſen —<lb/>
ein ausgeſprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein<lb/>„Leib“ iſt die ältere Weisheit in dir, — der engere Fleck da¬<lb/>
gegen, auf dem du deinen „Geiſt“ regſam fühlſt, die jüngere.<lb/>
Dein Leib beſitzt die Schrift von Äonen, dein Geiſt iſt deine<lb/>
paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als<lb/>
einem Höheren, Univerſaleren einbeſchloſſen, zeigen dieſe beiden<lb/>
Stücke deswegen doch eine gewiſſe Gegenſätzlichkeit. Der Leib<lb/>
hat gegen den Geiſt etwas Plumpes, Rieſiges, Erdrückendes.<lb/>
Zugleich hat er aber etwas Automatiſches, etwas von einem<lb/>
eingedrillten Rieſen, der Jahrmillionen auf dem Buckel ſchleppt,<lb/>
durch dieſe Laſt aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[157/0173]
und letztlich aus allen, auch den wunderlichſten, etwas gelernt
hat. Unſer Geſpräch kehrt zu dieſen beſonderen Wertungen der
Diſtance- und Miſchliebe noch ausführlich zurück. Was uns
hier nur intereſſieren ſoll, iſt die einfache Thatſache eines
ſolchen Zwiſtes überhaupt.
Wo immer du in der Welt Rangzwiſte dieſer Art auftauchen
ſiehſt, da muß der Gedanke als erſter nahe liegen: es handle
ſich wohl um einen Zwiſt zwiſchen Älter und Neuer.
Verſchiedene Altersſchichten laſten wie in jenem Bergwerk
da aufeinander. Und zwiſchen ihnen ſchwanken die Wertungen.
So haſt du es in unſerem Völkerleben, im ſozialen Klaſſen¬
kampf, in den Meinungen der Religion wie der Naturforſchung
über die Dinge Himmels und der Erden. Du haſt es aber
noch in einem uns hier viel näheren Beiſpiel. Jene liebens¬
würdigen Wörtchen von „fleiſchlich, ſinnlich, tieriſch“, die die ganz
lilienweiß gewordene Diſtanceliebe der blutroten Miſchliebe
angehängt hat, weiſen dir den rechten Weg. Es ſind ja, wie
geſagt, die gleichen herzlichen Adjektiva, die von der Geiſtes¬
ſeite gelegentlich immer wieder überhaupt dem Leibe beigelegt
wurden.
Zwiſchen dem Teil deiner Individualität, den du für ge¬
wöhnlich Geiſt betitelſt und dem anderen, den du Leib nennſt,
beſteht aber, das habe ich dir wohl genügend oben bewieſen —
ein ausgeſprochenes Verhältnis von Alt und Neu. Dein
„Leib“ iſt die ältere Weisheit in dir, — der engere Fleck da¬
gegen, auf dem du deinen „Geiſt“ regſam fühlſt, die jüngere.
Dein Leib beſitzt die Schrift von Äonen, dein Geiſt iſt deine
paar Jahre alt. Obwohl beide in deiner Individualität als
einem Höheren, Univerſaleren einbeſchloſſen, zeigen dieſe beiden
Stücke deswegen doch eine gewiſſe Gegenſätzlichkeit. Der Leib
hat gegen den Geiſt etwas Plumpes, Rieſiges, Erdrückendes.
Zugleich hat er aber etwas Automatiſches, etwas von einem
eingedrillten Rieſen, der Jahrmillionen auf dem Buckel ſchleppt,
durch dieſe Laſt aber auch in der Beweglichkeit und Freiheit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/173>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.