Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Mit diesen drei Worten glaube ich dir eine gewisse grobe,
aber praktische Terminologie an die Hand zu geben, die uns
im Labyrinth des menschlichen Liebeszaubergartens unbedingt
gute Dienste thun wird.

Grob ist sie, ganz gewiß.

Aber das schadet, hoffe ich, durchaus nichts. Du wirst
mit ihr ein ganzes Stück vorwärts kommen, wenn du dir nur
von Beginn an klar darüber bleibst, daß solche Trennungen
an sich nur menschliche Hilfsbegriffe sind, während die wirk¬
lichen Dinge natürlich überall im Fluß sind und tausend
Übergänge zeigen. Die Übergänge liegen bei unseren drei
Kraftwörtlein ja auf der Hand.

Die Dauerliebe beispielsweise ist in ihrem äußersten, aller¬
ersten Akt, der Erzeugung des Kindes, identisch mit der echten
Mischliebe. Die ganze weitere Vaterliebe innerhalb der Dauer¬
liebe, ist, wie wir gesehen haben, im engeren Sinne wieder
eine Art der Distanceliebe. Die ganze echte Mischliebe mit
ihrem siphonophorischen Akt der Körperverwachsung im Zeugungs¬
moment wäre im allgemeinen bei uns frei beweglichen und
sonst so völlig körperlich getrennten Wesen fast ein Ding der
Unmöglichkeit, wenn die Möglichkeit der Liebeserregungen per
Distance, durch den Anblick (also durch Lichtwellen), durch die
gedankenvermittelnde Sprache (Schallwellen) und so weiter und
weiter nicht bestände; die Distanceliebe ist eben für uns Men¬
schen einfach die so gut wie unumgänglich nötige Voraus¬
setzung der Mischliebe. Zwischen Mischliebe und Distanceliebe
existieren aber auch noch unmittelbare Übergänge. Ihr Haupt¬
spielplatz sind alle die Vorgänge, die nicht die eigentlichen
Distancesinne, Ohr, Auge, Nase, und die Distancegedankenwelt
des Gehirns betreffen, sondern den Haut-Tastsinn. Eine der
merkwürdigsten Übergangsformen ist hier zum Beispiel der Kuß.

In seinem ursprünglichsten Wesen gehört er offenbar
dicht an die Schwelle der Mischliebe. Im Moment der körper¬
lichen Kußberührung ist die Distance zwischen den Personen des

Mit dieſen drei Worten glaube ich dir eine gewiſſe grobe,
aber praktiſche Terminologie an die Hand zu geben, die uns
im Labyrinth des menſchlichen Liebeszaubergartens unbedingt
gute Dienſte thun wird.

Grob iſt ſie, ganz gewiß.

Aber das ſchadet, hoffe ich, durchaus nichts. Du wirſt
mit ihr ein ganzes Stück vorwärts kommen, wenn du dir nur
von Beginn an klar darüber bleibſt, daß ſolche Trennungen
an ſich nur menſchliche Hilfsbegriffe ſind, während die wirk¬
lichen Dinge natürlich überall im Fluß ſind und tauſend
Übergänge zeigen. Die Übergänge liegen bei unſeren drei
Kraftwörtlein ja auf der Hand.

Die Dauerliebe beiſpielsweiſe iſt in ihrem äußerſten, aller¬
erſten Akt, der Erzeugung des Kindes, identiſch mit der echten
Miſchliebe. Die ganze weitere Vaterliebe innerhalb der Dauer¬
liebe, iſt, wie wir geſehen haben, im engeren Sinne wieder
eine Art der Diſtanceliebe. Die ganze echte Miſchliebe mit
ihrem ſiphonophoriſchen Akt der Körperverwachſung im Zeugungs¬
moment wäre im allgemeinen bei uns frei beweglichen und
ſonſt ſo völlig körperlich getrennten Weſen faſt ein Ding der
Unmöglichkeit, wenn die Möglichkeit der Liebeserregungen per
Diſtance, durch den Anblick (alſo durch Lichtwellen), durch die
gedankenvermittelnde Sprache (Schallwellen) und ſo weiter und
weiter nicht beſtände; die Diſtanceliebe iſt eben für uns Men¬
ſchen einfach die ſo gut wie unumgänglich nötige Voraus¬
ſetzung der Miſchliebe. Zwiſchen Miſchliebe und Diſtanceliebe
exiſtieren aber auch noch unmittelbare Übergänge. Ihr Haupt¬
ſpielplatz ſind alle die Vorgänge, die nicht die eigentlichen
Diſtanceſinne, Ohr, Auge, Naſe, und die Diſtancegedankenwelt
des Gehirns betreffen, ſondern den Haut-Taſtſinn. Eine der
merkwürdigſten Übergangsformen iſt hier zum Beiſpiel der Kuß.

In ſeinem urſprünglichſten Weſen gehört er offenbar
dicht an die Schwelle der Miſchliebe. Im Moment der körper¬
lichen Kußberührung iſt die Diſtance zwiſchen den Perſonen des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0166" n="150"/>
        <p>Mit die&#x017F;en drei Worten glaube ich dir eine gewi&#x017F;&#x017F;e grobe,<lb/>
aber prakti&#x017F;che Terminologie an die Hand zu geben, die uns<lb/>
im Labyrinth des men&#x017F;chlichen Liebeszaubergartens unbedingt<lb/>
gute Dien&#x017F;te thun wird.</p><lb/>
        <p>Grob i&#x017F;t &#x017F;ie, ganz gewiß.</p><lb/>
        <p>Aber das &#x017F;chadet, hoffe ich, durchaus nichts. Du wir&#x017F;t<lb/>
mit ihr ein ganzes Stück vorwärts kommen, wenn du dir nur<lb/>
von Beginn an klar darüber bleib&#x017F;t, daß &#x017F;olche Trennungen<lb/>
an &#x017F;ich nur men&#x017F;chliche Hilfsbegriffe &#x017F;ind, während die wirk¬<lb/>
lichen Dinge natürlich überall im Fluß &#x017F;ind und tau&#x017F;end<lb/>
Übergänge zeigen. Die Übergänge liegen bei un&#x017F;eren drei<lb/>
Kraftwörtlein ja auf der Hand.</p><lb/>
        <p>Die Dauerliebe bei&#x017F;pielswei&#x017F;e i&#x017F;t in ihrem äußer&#x017F;ten, aller¬<lb/>
er&#x017F;ten Akt, der Erzeugung des Kindes, identi&#x017F;ch mit der echten<lb/>
Mi&#x017F;chliebe. Die ganze weitere Vaterliebe innerhalb der Dauer¬<lb/>
liebe, i&#x017F;t, wie wir ge&#x017F;ehen haben, im engeren Sinne wieder<lb/>
eine Art der Di&#x017F;tanceliebe. Die ganze echte Mi&#x017F;chliebe mit<lb/>
ihrem &#x017F;iphonophori&#x017F;chen Akt der Körperverwach&#x017F;ung im Zeugungs¬<lb/>
moment wäre im allgemeinen bei uns frei beweglichen und<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o völlig körperlich getrennten We&#x017F;en fa&#x017F;t ein Ding der<lb/>
Unmöglichkeit, wenn die Möglichkeit der Liebeserregungen per<lb/>
Di&#x017F;tance, durch den Anblick (al&#x017F;o durch Lichtwellen), durch die<lb/>
gedankenvermittelnde Sprache (Schallwellen) und &#x017F;o weiter und<lb/>
weiter nicht be&#x017F;tände; die Di&#x017F;tanceliebe i&#x017F;t eben für uns Men¬<lb/>
&#x017F;chen einfach die &#x017F;o gut wie unumgänglich nötige Voraus¬<lb/>
&#x017F;etzung der Mi&#x017F;chliebe. Zwi&#x017F;chen Mi&#x017F;chliebe und Di&#x017F;tanceliebe<lb/>
exi&#x017F;tieren aber auch noch unmittelbare Übergänge. Ihr Haupt¬<lb/>
&#x017F;pielplatz &#x017F;ind alle die Vorgänge, die nicht die eigentlichen<lb/>
Di&#x017F;tance&#x017F;inne, Ohr, Auge, Na&#x017F;e, und die Di&#x017F;tancegedankenwelt<lb/>
des Gehirns betreffen, &#x017F;ondern den Haut-Ta&#x017F;t&#x017F;inn. Eine der<lb/>
merkwürdig&#x017F;ten Übergangsformen i&#x017F;t hier zum Bei&#x017F;piel <hi rendition="#g">der Kuß</hi>.</p><lb/>
        <p>In &#x017F;einem ur&#x017F;prünglich&#x017F;ten We&#x017F;en gehört er offenbar<lb/>
dicht an die Schwelle der Mi&#x017F;chliebe. Im Moment der körper¬<lb/>
lichen Kußberührung i&#x017F;t die Di&#x017F;tance zwi&#x017F;chen den Per&#x017F;onen des<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0166] Mit dieſen drei Worten glaube ich dir eine gewiſſe grobe, aber praktiſche Terminologie an die Hand zu geben, die uns im Labyrinth des menſchlichen Liebeszaubergartens unbedingt gute Dienſte thun wird. Grob iſt ſie, ganz gewiß. Aber das ſchadet, hoffe ich, durchaus nichts. Du wirſt mit ihr ein ganzes Stück vorwärts kommen, wenn du dir nur von Beginn an klar darüber bleibſt, daß ſolche Trennungen an ſich nur menſchliche Hilfsbegriffe ſind, während die wirk¬ lichen Dinge natürlich überall im Fluß ſind und tauſend Übergänge zeigen. Die Übergänge liegen bei unſeren drei Kraftwörtlein ja auf der Hand. Die Dauerliebe beiſpielsweiſe iſt in ihrem äußerſten, aller¬ erſten Akt, der Erzeugung des Kindes, identiſch mit der echten Miſchliebe. Die ganze weitere Vaterliebe innerhalb der Dauer¬ liebe, iſt, wie wir geſehen haben, im engeren Sinne wieder eine Art der Diſtanceliebe. Die ganze echte Miſchliebe mit ihrem ſiphonophoriſchen Akt der Körperverwachſung im Zeugungs¬ moment wäre im allgemeinen bei uns frei beweglichen und ſonſt ſo völlig körperlich getrennten Weſen faſt ein Ding der Unmöglichkeit, wenn die Möglichkeit der Liebeserregungen per Diſtance, durch den Anblick (alſo durch Lichtwellen), durch die gedankenvermittelnde Sprache (Schallwellen) und ſo weiter und weiter nicht beſtände; die Diſtanceliebe iſt eben für uns Men¬ ſchen einfach die ſo gut wie unumgänglich nötige Voraus¬ ſetzung der Miſchliebe. Zwiſchen Miſchliebe und Diſtanceliebe exiſtieren aber auch noch unmittelbare Übergänge. Ihr Haupt¬ ſpielplatz ſind alle die Vorgänge, die nicht die eigentlichen Diſtanceſinne, Ohr, Auge, Naſe, und die Diſtancegedankenwelt des Gehirns betreffen, ſondern den Haut-Taſtſinn. Eine der merkwürdigſten Übergangsformen iſt hier zum Beiſpiel der Kuß. In ſeinem urſprünglichſten Weſen gehört er offenbar dicht an die Schwelle der Miſchliebe. Im Moment der körper¬ lichen Kußberührung iſt die Diſtance zwiſchen den Perſonen des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/166
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/166>, abgerufen am 25.11.2024.