Erinnere dich auf einen Moment an das, was wir ehe¬ mals über Unsterblichkeit geredet haben.
Das Kind ist die sichtbarste Stelle, wo das Liebes-Indivi¬ duum die Möglichkeit einer Unsterblichkeit zeigt. Mag das Liebes-Individuum sich seelisch und körperlich noch so fest be¬ gründen. Mögen die Distancehandlungen den ganzen Rest des Lebens bei beiden Partnern erfüllen. Mag die körperliche Mischung, die ja an sich immer nur einen Moment dauert, sich in einer Kette von immer neuen Momenten wenigstens so lange fortsetzen, wie durch gewisse Altersgrenzen gewährt ist. Eines Tages läutet beiden Partnern dennoch unabänderlich das Sterbeglöckchen. Darüber hinaus existieren für den äußeren Anblick nur mehr bestimmte, nachgelassene Wirkungen, die nach einem großen Erhaltungsgesetz allerdings unabänderlich weiter rollen. Ich lasse hier ununtersucht, in wiefern du dir auch den Ring dieser weiter und weiter strahlenden Wirkungen immer noch philosophisch als weiterbestehende Individualität definieren könntest. Sicher jedenfalls, ja eine der sichersten Weltthatsachen überhaupt ist: daß eine der großartigsten und handgreiflichsten Wirkungen über den Tod hinaus das Kind ist. Im Kinde steckt die anschaulichste Zukunftswirkung, ja in der Kette der Kinder und Kindeskinder die sichtbarste Unsterb¬ lichkeitsthat des Liebes-Individuums.
Das Kind und alles, was mit ihm im Liebes-Individuum an besonderen Handlungen über den erzeugenden Mischakt noch hinaus zusammenhängt: Elternliebe, Kindespflege und so weiter bis in das große hier anspinnende soziale Netz hinein, -- es könnte also mit einem scharfen zeitlichen Wort als Gegenstand einer "Dauerliebe" bezeichnet werden, im Gegensatz zu der Mischliebe und Distanceliebe der Eltern untereinander.
[Abbildung]
Erinnere dich auf einen Moment an das, was wir ehe¬ mals über Unſterblichkeit geredet haben.
Das Kind iſt die ſichtbarſte Stelle, wo das Liebes-Indivi¬ duum die Möglichkeit einer Unſterblichkeit zeigt. Mag das Liebes-Individuum ſich ſeeliſch und körperlich noch ſo feſt be¬ gründen. Mögen die Diſtancehandlungen den ganzen Reſt des Lebens bei beiden Partnern erfüllen. Mag die körperliche Miſchung, die ja an ſich immer nur einen Moment dauert, ſich in einer Kette von immer neuen Momenten wenigſtens ſo lange fortſetzen, wie durch gewiſſe Altersgrenzen gewährt iſt. Eines Tages läutet beiden Partnern dennoch unabänderlich das Sterbeglöckchen. Darüber hinaus exiſtieren für den äußeren Anblick nur mehr beſtimmte, nachgelaſſene Wirkungen, die nach einem großen Erhaltungsgeſetz allerdings unabänderlich weiter rollen. Ich laſſe hier ununterſucht, in wiefern du dir auch den Ring dieſer weiter und weiter ſtrahlenden Wirkungen immer noch philoſophiſch als weiterbeſtehende Individualität definieren könnteſt. Sicher jedenfalls, ja eine der ſicherſten Weltthatſachen überhaupt iſt: daß eine der großartigſten und handgreiflichſten Wirkungen über den Tod hinaus das Kind iſt. Im Kinde ſteckt die anſchaulichſte Zukunftswirkung, ja in der Kette der Kinder und Kindeskinder die ſichtbarſte Unſterb¬ lichkeitsthat des Liebes-Individuums.
Das Kind und alles, was mit ihm im Liebes-Individuum an beſonderen Handlungen über den erzeugenden Miſchakt noch hinaus zuſammenhängt: Elternliebe, Kindespflege und ſo weiter bis in das große hier anſpinnende ſoziale Netz hinein, — es könnte alſo mit einem ſcharfen zeitlichen Wort als Gegenſtand einer „Dauerliebe“ bezeichnet werden, im Gegenſatz zu der Miſchliebe und Diſtanceliebe der Eltern untereinander.
[Abbildung]
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0165"n="149"/><p>Erinnere dich auf einen Moment an das, was wir ehe¬<lb/>
mals über Unſterblichkeit geredet haben.</p><lb/><p>Das Kind iſt die ſichtbarſte Stelle, wo das Liebes-Indivi¬<lb/>
duum die Möglichkeit einer Unſterblichkeit zeigt. Mag das<lb/>
Liebes-Individuum ſich ſeeliſch und körperlich noch ſo feſt be¬<lb/>
gründen. Mögen die Diſtancehandlungen den ganzen Reſt des<lb/>
Lebens bei beiden Partnern erfüllen. Mag die körperliche<lb/>
Miſchung, die ja an ſich immer nur einen Moment dauert,<lb/>ſich in einer Kette von immer neuen Momenten wenigſtens ſo<lb/>
lange fortſetzen, wie durch gewiſſe Altersgrenzen gewährt iſt.<lb/>
Eines Tages läutet beiden Partnern dennoch unabänderlich das<lb/>
Sterbeglöckchen. Darüber hinaus exiſtieren für den äußeren<lb/>
Anblick nur mehr beſtimmte, nachgelaſſene Wirkungen, die<lb/>
nach einem großen Erhaltungsgeſetz allerdings unabänderlich<lb/>
weiter rollen. Ich laſſe hier ununterſucht, in wiefern du dir<lb/>
auch den Ring dieſer weiter und weiter ſtrahlenden Wirkungen<lb/>
immer noch philoſophiſch als weiterbeſtehende Individualität<lb/>
definieren könnteſt. Sicher jedenfalls, ja eine der ſicherſten<lb/>
Weltthatſachen überhaupt iſt: daß eine der großartigſten und<lb/>
handgreiflichſten Wirkungen über den Tod hinaus das Kind<lb/>
iſt. Im Kinde ſteckt die anſchaulichſte Zukunftswirkung, ja in<lb/>
der Kette der Kinder und Kindeskinder die ſichtbarſte Unſterb¬<lb/>
lichkeitsthat des Liebes-Individuums.</p><lb/><p>Das Kind und alles, was mit ihm im Liebes-Individuum<lb/>
an beſonderen Handlungen über den erzeugenden Miſchakt noch<lb/>
hinaus zuſammenhängt: Elternliebe, Kindespflege und ſo weiter<lb/>
bis in das große hier anſpinnende ſoziale Netz hinein, — es<lb/>
könnte alſo mit einem ſcharfen zeitlichen Wort als Gegenſtand<lb/>
einer „<hirendition="#g">Dauerliebe</hi>“ bezeichnet werden, im Gegenſatz zu der<lb/><hirendition="#g">Miſchliebe</hi> und <hirendition="#g">Diſtanceliebe</hi> der Eltern untereinander.</p><lb/><figure/></div></body></text></TEI>
[149/0165]
Erinnere dich auf einen Moment an das, was wir ehe¬
mals über Unſterblichkeit geredet haben.
Das Kind iſt die ſichtbarſte Stelle, wo das Liebes-Indivi¬
duum die Möglichkeit einer Unſterblichkeit zeigt. Mag das
Liebes-Individuum ſich ſeeliſch und körperlich noch ſo feſt be¬
gründen. Mögen die Diſtancehandlungen den ganzen Reſt des
Lebens bei beiden Partnern erfüllen. Mag die körperliche
Miſchung, die ja an ſich immer nur einen Moment dauert,
ſich in einer Kette von immer neuen Momenten wenigſtens ſo
lange fortſetzen, wie durch gewiſſe Altersgrenzen gewährt iſt.
Eines Tages läutet beiden Partnern dennoch unabänderlich das
Sterbeglöckchen. Darüber hinaus exiſtieren für den äußeren
Anblick nur mehr beſtimmte, nachgelaſſene Wirkungen, die
nach einem großen Erhaltungsgeſetz allerdings unabänderlich
weiter rollen. Ich laſſe hier ununterſucht, in wiefern du dir
auch den Ring dieſer weiter und weiter ſtrahlenden Wirkungen
immer noch philoſophiſch als weiterbeſtehende Individualität
definieren könnteſt. Sicher jedenfalls, ja eine der ſicherſten
Weltthatſachen überhaupt iſt: daß eine der großartigſten und
handgreiflichſten Wirkungen über den Tod hinaus das Kind
iſt. Im Kinde ſteckt die anſchaulichſte Zukunftswirkung, ja in
der Kette der Kinder und Kindeskinder die ſichtbarſte Unſterb¬
lichkeitsthat des Liebes-Individuums.
Das Kind und alles, was mit ihm im Liebes-Individuum
an beſonderen Handlungen über den erzeugenden Miſchakt noch
hinaus zuſammenhängt: Elternliebe, Kindespflege und ſo weiter
bis in das große hier anſpinnende ſoziale Netz hinein, — es
könnte alſo mit einem ſcharfen zeitlichen Wort als Gegenſtand
einer „Dauerliebe“ bezeichnet werden, im Gegenſatz zu der
Miſchliebe und Diſtanceliebe der Eltern untereinander.
[Abbildung]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/165>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.