Mit den Geschlechtsteilen, das mußt du dir geradezu als Grund¬ these einprägen, sprengst du auch beim Menschen den konven¬ tionellen Individual-Begriff nach oben hinaus. Das ist so zu verstehen.
Du, -- wie du hier vor mir sitzst und dir von der Ur¬ geschichte der Liebe erzählen läßt -- was bist du? Ein Mensch. Ja wohl, aber es giebt 1500 Millionen Menschen rund gerechnet auf dem Planeten Erde. Was bist speziell du bei diesen Millionen? Du bist ein einzelner Mensch, ein ein¬ zelnes menschliches Individuum. Der Begriff Mensch oder allgemeiner gesagt, Menschheit zerspaltet sich auf der Erde in rund 1500 Millionen solcher Individuen wie du eines bist. Das Geheimnis dieser Zerspaltung beruht darauf, daß du dich, obwohl du "Mensch" bist wie alle die anderen 1499 999 999 Menschen, doch noch als etwas besonderes darunter fühlst. Du fühlst dich als "Ich", als gesonderten Punkt in dieser ungeheuren Kopfzahl, als Anschauungsmittelpunkt. Alle die anderen, obwohl auch zugestandenermaßen Menschen, stehen dir gegenüber als "Du". In dir selber bist du der ewige Luther, der da sagt: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." Dieses Gefühl des Aufsichselbststehens, des eigenen Punktbildens, des innerlich unerschütterlichen Alpha und Omega, des aus dem Tiefsten herausgepreßten Bekenntnisses: "Hier stehe ich", -- das ist es, was man "Individuum" nennt.
Der Begriff ist eigentlich seelisch erschaffen worden, -- oder besser noch gesagt: aus jenem reinen Grundzustande in uns heraus, der noch gar nichts mit der begrifflichen Trennung von Seele und Leib zu thun hat. Wenn du auf diese trennende Welt aber nachträglich dich einmal einläßt, so ist wohl zu merken, daß der Begriff des Individuums sich auch körperlich bei dir bis zu gewissem Grade fassen und greifen läßt. Du stehst nicht nur für dich, sondern auf einem gewissen Umwege greifbar auch für mich -- also objektiv genommen -- als etwas so zu sagen Einheitliches, im allgemeinen Menschentypus
Mit den Geſchlechtsteilen, das mußt du dir geradezu als Grund¬ theſe einprägen, ſprengſt du auch beim Menſchen den konven¬ tionellen Individual-Begriff nach oben hinaus. Das iſt ſo zu verſtehen.
Du, — wie du hier vor mir ſitzſt und dir von der Ur¬ geſchichte der Liebe erzählen läßt — was biſt du? Ein Menſch. Ja wohl, aber es giebt 1500 Millionen Menſchen rund gerechnet auf dem Planeten Erde. Was biſt ſpeziell du bei dieſen Millionen? Du biſt ein einzelner Menſch, ein ein¬ zelnes menſchliches Individuum. Der Begriff Menſch oder allgemeiner geſagt, Menſchheit zerſpaltet ſich auf der Erde in rund 1500 Millionen ſolcher Individuen wie du eines biſt. Das Geheimnis dieſer Zerſpaltung beruht darauf, daß du dich, obwohl du „Menſch“ biſt wie alle die anderen 1499 999 999 Menſchen, doch noch als etwas beſonderes darunter fühlſt. Du fühlſt dich als „Ich“, als geſonderten Punkt in dieſer ungeheuren Kopfzahl, als Anſchauungsmittelpunkt. Alle die anderen, obwohl auch zugeſtandenermaßen Menſchen, ſtehen dir gegenüber als „Du“. In dir ſelber biſt du der ewige Luther, der da ſagt: „Hier ſtehe ich, ich kann nicht anders.“ Dieſes Gefühl des Aufſichſelbſtſtehens, des eigenen Punktbildens, des innerlich unerſchütterlichen Alpha und Omega, des aus dem Tiefſten herausgepreßten Bekenntniſſes: „Hier ſtehe ich“, — das iſt es, was man „Individuum“ nennt.
Der Begriff iſt eigentlich ſeeliſch erſchaffen worden, — oder beſſer noch geſagt: aus jenem reinen Grundzuſtande in uns heraus, der noch gar nichts mit der begrifflichen Trennung von Seele und Leib zu thun hat. Wenn du auf dieſe trennende Welt aber nachträglich dich einmal einläßt, ſo iſt wohl zu merken, daß der Begriff des Individuums ſich auch körperlich bei dir bis zu gewiſſem Grade faſſen und greifen läßt. Du ſtehſt nicht nur für dich, ſondern auf einem gewiſſen Umwege greifbar auch für mich — alſo objektiv genommen — als etwas ſo zu ſagen Einheitliches, im allgemeinen Menſchentypus
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Mit den Geſchlechtsteilen, das mußt du dir geradezu als Grund¬
theſe einprägen, ſprengſt du auch beim Menſchen den konven¬
tionellen Individual-Begriff nach oben hinaus. Das iſt ſo
zu verſtehen.
Du, — wie du hier vor mir ſitzſt und dir von der Ur¬
geſchichte der Liebe erzählen läßt — was biſt du? Ein
Menſch. Ja wohl, aber es giebt 1500 Millionen Menſchen
rund gerechnet auf dem Planeten Erde. Was biſt ſpeziell du
bei dieſen Millionen? Du biſt ein einzelner Menſch, ein ein¬
zelnes menſchliches Individuum. Der Begriff Menſch oder
allgemeiner geſagt, Menſchheit zerſpaltet ſich auf der Erde in
rund 1500 Millionen ſolcher Individuen wie du eines biſt.
Das Geheimnis dieſer Zerſpaltung beruht darauf, daß du dich,
obwohl du „Menſch“ biſt wie alle die anderen 1499 999 999
Menſchen, doch noch als etwas beſonderes darunter fühlſt.
Du fühlſt dich als „Ich“, als geſonderten Punkt in dieſer
ungeheuren Kopfzahl, als Anſchauungsmittelpunkt. Alle die
anderen, obwohl auch zugeſtandenermaßen Menſchen, ſtehen dir
gegenüber als „Du“. In dir ſelber biſt du der ewige Luther,
der da ſagt: „Hier ſtehe ich, ich kann nicht anders.“ Dieſes
Gefühl des Aufſichſelbſtſtehens, des eigenen Punktbildens, des
innerlich unerſchütterlichen Alpha und Omega, des aus dem
Tiefſten herausgepreßten Bekenntniſſes: „Hier ſtehe ich“, —
das iſt es, was man „Individuum“ nennt.
Der Begriff iſt eigentlich ſeeliſch erſchaffen worden, —
oder beſſer noch geſagt: aus jenem reinen Grundzuſtande in
uns heraus, der noch gar nichts mit der begrifflichen Trennung
von Seele und Leib zu thun hat. Wenn du auf dieſe trennende
Welt aber nachträglich dich einmal einläßt, ſo iſt wohl zu
merken, daß der Begriff des Individuums ſich auch körperlich
bei dir bis zu gewiſſem Grade faſſen und greifen läßt. Du
ſtehſt nicht nur für dich, ſondern auf einem gewiſſen Umwege
greifbar auch für mich — alſo objektiv genommen — als
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/132>, abgerufen am 22.11.2024.
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