"Ich bin das Sonnenstäubchen, ich bin der Sonnenball; Zum Stäubchen sag' ich: bleibe! und zu der Sonn': entwall'! Ich bin der Morgenschimmer, ich bin der Abendhauch, Ich bin des Haines Säuseln, des Meeres Wogenschwall. Ich bin der Mast, das Steuer, der Steuermann, das Schiff, Ich bin, woran es scheitert, die Klippe von Korall. Ich bin der Hauch der Flöte, ich bin des Menschen Geist, Ich bin der Funk' im Steine, der Goldblick im Metall. Ich bin der Rausch, die Rebe, die Kelter und der Most, Der Zecher und der Schenke, der Becher von Kristall. Die Kerz' und der die Kerze umkreist, der Schmetterling, Die Ros' und von der Rose berauscht die Nachtigall."
(Rückert nach Raumei.)
Ein Ding mit den Augen des modernen Naturforschers anschauen, das heißt: es in einen Raum setzen, in dem die räumliche Million, die Meilenmillion herrscht. Und es heißt: es über eine Vergangenheit setzen, die mit der zeitlichen Million, der Jahresmillion, zählt.
Die blaue Kristallglocke mit den goldenen Sternennägeln, die sich so freundlich über dem antiken Menschen wölbte wie die Scheibe eines Gewächshauses, unter dem der treue Himmels¬ gärtner feines und grobes Menschenobst zog, ist zersplittert. Zersplittert in ein Heer einzeln glimmender Weltenstäubchen. Zwischen den Stäubchen dehnt sich der freie Raum, eisig kalt, luftlos. Und die Stäubchen erscheinen nur als Stäubchen,
[Abbildung]
„Ich bin das Sonnenſtäubchen, ich bin der Sonnenball; Zum Stäubchen ſag' ich: bleibe! und zu der Sonn': entwall'! Ich bin der Morgenſchimmer, ich bin der Abendhauch, Ich bin des Haines Säuſeln, des Meeres Wogenſchwall. Ich bin der Maſt, das Steuer, der Steuermann, das Schiff, Ich bin, woran es ſcheitert, die Klippe von Korall. Ich bin der Hauch der Flöte, ich bin des Menſchen Geiſt, Ich bin der Funk' im Steine, der Goldblick im Metall. Ich bin der Rauſch, die Rebe, die Kelter und der Moſt, Der Zecher und der Schenke, der Becher von Kriſtall. Die Kerz' und der die Kerze umkreiſt, der Schmetterling, Die Roſ' und von der Roſe berauſcht die Nachtigall.“
(Rückert nach Rûmî.)
Ein Ding mit den Augen des modernen Naturforſchers anſchauen, das heißt: es in einen Raum ſetzen, in dem die räumliche Million, die Meilenmillion herrſcht. Und es heißt: es über eine Vergangenheit ſetzen, die mit der zeitlichen Million, der Jahresmillion, zählt.
Die blaue Kriſtallglocke mit den goldenen Sternennägeln, die ſich ſo freundlich über dem antiken Menſchen wölbte wie die Scheibe eines Gewächshauſes, unter dem der treue Himmels¬ gärtner feines und grobes Menſchenobſt zog, iſt zerſplittert. Zerſplittert in ein Heer einzeln glimmender Weltenſtäubchen. Zwiſchen den Stäubchen dehnt ſich der freie Raum, eiſig kalt, luftlos. Und die Stäubchen erſcheinen nur als Stäubchen,
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„Ich bin das Sonnenſtäubchen, ich bin der Sonnenball;
Zum Stäubchen ſag' ich: bleibe! und zu der Sonn': entwall'!
Ich bin der Morgenſchimmer, ich bin der Abendhauch,
Ich bin des Haines Säuſeln, des Meeres Wogenſchwall.
Ich bin der Maſt, das Steuer, der Steuermann, das Schiff,
Ich bin, woran es ſcheitert, die Klippe von Korall.
Ich bin der Hauch der Flöte, ich bin des Menſchen Geiſt,
Ich bin der Funk' im Steine, der Goldblick im Metall.
Ich bin der Rauſch, die Rebe, die Kelter und der Moſt,
Der Zecher und der Schenke, der Becher von Kriſtall.
Die Kerz' und der die Kerze umkreiſt, der Schmetterling,
Die Roſ' und von der Roſe berauſcht die Nachtigall.“
(Rückert nach Rûmî.)
Ein Ding mit den Augen des modernen Naturforſchers
anſchauen, das heißt: es in einen Raum ſetzen, in dem die
räumliche Million, die Meilenmillion herrſcht. Und es heißt:
es über eine Vergangenheit ſetzen, die mit der zeitlichen Million,
der Jahresmillion, zählt.
Die blaue Kriſtallglocke mit den goldenen Sternennägeln,
die ſich ſo freundlich über dem antiken Menſchen wölbte wie
die Scheibe eines Gewächshauſes, unter dem der treue Himmels¬
gärtner feines und grobes Menſchenobſt zog, iſt zerſplittert.
Zerſplittert in ein Heer einzeln glimmender Weltenſtäubchen.
Zwiſchen den Stäubchen dehnt ſich der freie Raum, eiſig kalt,
luftlos. Und die Stäubchen erſcheinen nur als Stäubchen,
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/92>, abgerufen am 28.11.2024.
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