abermals zur Zeugung vorgeschritten ist in seinen neunzig Lebensjahren, so wird sein Tod wiederum eine gewisse Zeit¬ spanne auf der Erde von Lebendigem überdauert werden.
Durch dieses einfache Rechenkunststück hebt die Zeugung den Tod wenigstens in seiner Totalwirkung auf.
Anstatt mit der ersten Todeshekatombe des ersten Jahr¬ hunderts schon in den ewigen Abgrund zu stürzen, windet sich die Menschheit an dem kleinen Prä, das die gezeugte Gene¬ ration jedesmal zeitlich vor der zeugenden voraus hat, wie ein zähes Schlinggewächs durch die Jahrtausende.
Vor diesen beiden Grundthatsachen -- Tod und Zeugung -- steht der Mensch so lange wie er überhaupt denken kann. Der Affenmensch, wie ihn Gabriel Max gemalt hat, mit dem ersten Strahl keimenden Geisteslichts unter den noch tierisch wulstigen Augenbrauenvorsprüngen, mag ein erstes dumpfes Ahnen em¬ pfunden haben. Der rohe Höhlenmensch, der Mammut und Megatherium jagte, setzte mit seinem Grübeln hier ein. Von hier spann sich der Mythus ins Unendliche. Aber hierher wanderte wie zum Magnetberg auch jeder tiefere, größere Weise, der das Gehirn der Menschheit im reinen Wahrheits¬ dienste ein Stück höher trieb, immer und immer wieder zurück. Und der schlichteste Mann begriff diesen Weisen gerade vor der Einfachheit dieser Grundthatsachen immer wieder. Unter dem dämmergrünen Baldachin auf schwarzen Wurzelsäulen des heiligen Feigenbaums am Ganges, der die Welt wie ein lebendiger Tempel abschloß. Im Angesicht des ätherreinen Sternenhimmels auf den luftklaren Gebirgshöhen von Peru. An den unendlichen fahlgelben Wassern Chinas oder dort, wo die glühende Wüste zur schillernden Fata Morgana zerfloß.
Die Zeugung erschien als die einzige unzweideutig sichtbare Form einer Unsterblichkeit in der Menschenexistenz. Durch sie war eine "Menschheit" überhaupt da, ein Denken über Generationen hinweg, ein Fortleben der Tradition, ein Faden des Denkinhalts.
abermals zur Zeugung vorgeſchritten iſt in ſeinen neunzig Lebensjahren, ſo wird ſein Tod wiederum eine gewiſſe Zeit¬ ſpanne auf der Erde von Lebendigem überdauert werden.
Durch dieſes einfache Rechenkunſtſtück hebt die Zeugung den Tod wenigſtens in ſeiner Totalwirkung auf.
Anſtatt mit der erſten Todeshekatombe des erſten Jahr¬ hunderts ſchon in den ewigen Abgrund zu ſtürzen, windet ſich die Menſchheit an dem kleinen Prä, das die gezeugte Gene¬ ration jedesmal zeitlich vor der zeugenden voraus hat, wie ein zähes Schlinggewächs durch die Jahrtauſende.
Vor dieſen beiden Grundthatſachen — Tod und Zeugung — ſteht der Menſch ſo lange wie er überhaupt denken kann. Der Affenmenſch, wie ihn Gabriel Max gemalt hat, mit dem erſten Strahl keimenden Geiſteslichts unter den noch tieriſch wulſtigen Augenbrauenvorſprüngen, mag ein erſtes dumpfes Ahnen em¬ pfunden haben. Der rohe Höhlenmenſch, der Mammut und Megatherium jagte, ſetzte mit ſeinem Grübeln hier ein. Von hier ſpann ſich der Mythus ins Unendliche. Aber hierher wanderte wie zum Magnetberg auch jeder tiefere, größere Weiſe, der das Gehirn der Menſchheit im reinen Wahrheits¬ dienſte ein Stück höher trieb, immer und immer wieder zurück. Und der ſchlichteſte Mann begriff dieſen Weiſen gerade vor der Einfachheit dieſer Grundthatſachen immer wieder. Unter dem dämmergrünen Baldachin auf ſchwarzen Wurzelſäulen des heiligen Feigenbaums am Ganges, der die Welt wie ein lebendiger Tempel abſchloß. Im Angeſicht des ätherreinen Sternenhimmels auf den luftklaren Gebirgshöhen von Peru. An den unendlichen fahlgelben Waſſern Chinas oder dort, wo die glühende Wüſte zur ſchillernden Fata Morgana zerfloß.
Die Zeugung erſchien als die einzige unzweideutig ſichtbare Form einer Unſterblichkeit in der Menſchenexiſtenz. Durch ſie war eine „Menſchheit“ überhaupt da, ein Denken über Generationen hinweg, ein Fortleben der Tradition, ein Faden des Denkinhalts.
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abermals zur Zeugung vorgeſchritten iſt in ſeinen neunzig
Lebensjahren, ſo wird ſein Tod wiederum eine gewiſſe Zeit¬
ſpanne auf der Erde von Lebendigem überdauert werden.
Durch dieſes einfache Rechenkunſtſtück hebt die Zeugung
den Tod wenigſtens in ſeiner Totalwirkung auf.
Anſtatt mit der erſten Todeshekatombe des erſten Jahr¬
hunderts ſchon in den ewigen Abgrund zu ſtürzen, windet ſich
die Menſchheit an dem kleinen Prä, das die gezeugte Gene¬
ration jedesmal zeitlich vor der zeugenden voraus hat, wie ein
zähes Schlinggewächs durch die Jahrtauſende.
Vor dieſen beiden Grundthatſachen — Tod und Zeugung —
ſteht der Menſch ſo lange wie er überhaupt denken kann. Der
Affenmenſch, wie ihn Gabriel Max gemalt hat, mit dem erſten
Strahl keimenden Geiſteslichts unter den noch tieriſch wulſtigen
Augenbrauenvorſprüngen, mag ein erſtes dumpfes Ahnen em¬
pfunden haben. Der rohe Höhlenmenſch, der Mammut und
Megatherium jagte, ſetzte mit ſeinem Grübeln hier ein. Von
hier ſpann ſich der Mythus ins Unendliche. Aber hierher
wanderte wie zum Magnetberg auch jeder tiefere, größere
Weiſe, der das Gehirn der Menſchheit im reinen Wahrheits¬
dienſte ein Stück höher trieb, immer und immer wieder zurück.
Und der ſchlichteſte Mann begriff dieſen Weiſen gerade vor der
Einfachheit dieſer Grundthatſachen immer wieder. Unter dem
dämmergrünen Baldachin auf ſchwarzen Wurzelſäulen des
heiligen Feigenbaums am Ganges, der die Welt wie ein
lebendiger Tempel abſchloß. Im Angeſicht des ätherreinen
Sternenhimmels auf den luftklaren Gebirgshöhen von Peru.
An den unendlichen fahlgelben Waſſern Chinas oder dort, wo
die glühende Wüſte zur ſchillernden Fata Morgana zerfloß.
Die Zeugung erſchien als die einzige unzweideutig ſichtbare
Form einer Unſterblichkeit in der Menſchenexiſtenz. Durch
ſie war eine „Menſchheit“ überhaupt da, ein Denken über
Generationen hinweg, ein Fortleben der Tradition, ein Faden
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/85>, abgerufen am 23.11.2024.
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