Erzählung, wie ich sie dir eben gegeben habe, greulich finden. Laß sie. Es sind die Menschen, die nie etwas erfahren haben von den tiefen Schauern philosophischen Denkens. Die nie mit der Welt gerungen haben: "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn." Und die nie erkannt haben, daß dieser Segen überall fließt, daß es vor ihm nichts Schlechtes und Gemeines giebt. Dieser Zeugungsakt ist wie eine blitzschwangere Wolke geladen mit Philosophie. Was wissen sie davon! Gerade die, die am meisten zetern über Unmoral im Besprechen solcher Dinge, sind meistens dieselben, die in der Wirklichkeit den Akt wie einen dummen Scherz nehmen. Die nie den furchtbaren Ernst em¬ pfinden, den die Natur dahinter gelegt hat. Für sie ist es, wenn nicht unsittlich, doch mindestens auch ein Scherz, wenn man von einer Philosophie der Zeugung spricht.
Auch diese Dummköpfe empfinden, daß die Sonne, die dort über dem Silbermeer glüht, etwas Erhabenes ist, etwas, das die Seele des Menschen ins Unendliche reißt. Dieses un¬ geheure Flammengestirn, an dessen Kräften die kleine Erde hängt wie das winzige weiße Segel dort an dem unabsehbar blauen Meeresplan, der von Europa bis Afrika reicht. Mit ihren dunklen Flecken, in denen die Erde viermal versinken könnte. Ihren roten Protuberanzen, in denen glühender Wasserstoff bis zu einer halben Million Kilometer hoch in die Lüfte spritzt. Und doch: jene andere, winzige Sonne, die sich da aus Samen¬ zelle und Eizelle baut, ist sie in ihrer Art und für dich nicht noch gewaltiger und wichtiger als die flammende Planeten¬ sonne dort? Die wirkliche Sonne hebt sich alltäglich über dir und sinkt. Du trinkst ihre Kraft. Sie hält den Planeten unter dir im festen Geleise. Vielleicht von allem, was dich umgiebt, ist sie nächst der Erde selber die stärkste äußerliche Macht, die dir gegenübersteht. Mit der Eizelle aber hängst du im Innenleben des Kosmos. In der Folge des Lebendigen. Nicht bloß mit dem empfangenden Auge, sondern mit der eigenen That. Du wirst selber Kosmos in ihr. Diese Sonne
Erzählung, wie ich ſie dir eben gegeben habe, greulich finden. Laß ſie. Es ſind die Menſchen, die nie etwas erfahren haben von den tiefen Schauern philoſophiſchen Denkens. Die nie mit der Welt gerungen haben: „Ich laſſe dich nicht, du ſegneſt mich denn.“ Und die nie erkannt haben, daß dieſer Segen überall fließt, daß es vor ihm nichts Schlechtes und Gemeines giebt. Dieſer Zeugungsakt iſt wie eine blitzſchwangere Wolke geladen mit Philoſophie. Was wiſſen ſie davon! Gerade die, die am meiſten zetern über Unmoral im Beſprechen ſolcher Dinge, ſind meiſtens dieſelben, die in der Wirklichkeit den Akt wie einen dummen Scherz nehmen. Die nie den furchtbaren Ernſt em¬ pfinden, den die Natur dahinter gelegt hat. Für ſie iſt es, wenn nicht unſittlich, doch mindeſtens auch ein Scherz, wenn man von einer Philoſophie der Zeugung ſpricht.
Auch dieſe Dummköpfe empfinden, daß die Sonne, die dort über dem Silbermeer glüht, etwas Erhabenes iſt, etwas, das die Seele des Menſchen ins Unendliche reißt. Dieſes un¬ geheure Flammengeſtirn, an deſſen Kräften die kleine Erde hängt wie das winzige weiße Segel dort an dem unabſehbar blauen Meeresplan, der von Europa bis Afrika reicht. Mit ihren dunklen Flecken, in denen die Erde viermal verſinken könnte. Ihren roten Protuberanzen, in denen glühender Waſſerſtoff bis zu einer halben Million Kilometer hoch in die Lüfte ſpritzt. Und doch: jene andere, winzige Sonne, die ſich da aus Samen¬ zelle und Eizelle baut, iſt ſie in ihrer Art und für dich nicht noch gewaltiger und wichtiger als die flammende Planeten¬ ſonne dort? Die wirkliche Sonne hebt ſich alltäglich über dir und ſinkt. Du trinkſt ihre Kraft. Sie hält den Planeten unter dir im feſten Geleiſe. Vielleicht von allem, was dich umgiebt, iſt ſie nächſt der Erde ſelber die ſtärkſte äußerliche Macht, die dir gegenüberſteht. Mit der Eizelle aber hängſt du im Innenleben des Kosmos. In der Folge des Lebendigen. Nicht bloß mit dem empfangenden Auge, ſondern mit der eigenen That. Du wirſt ſelber Kosmos in ihr. Dieſe Sonne
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Erzählung, wie ich ſie dir eben gegeben habe, greulich finden.
Laß ſie. Es ſind die Menſchen, die nie etwas erfahren haben
von den tiefen Schauern philoſophiſchen Denkens. Die nie mit
der Welt gerungen haben: „Ich laſſe dich nicht, du ſegneſt mich
denn.“ Und die nie erkannt haben, daß dieſer Segen überall
fließt, daß es vor ihm nichts Schlechtes und Gemeines giebt.
Dieſer Zeugungsakt iſt wie eine blitzſchwangere Wolke geladen
mit Philoſophie. Was wiſſen ſie davon! Gerade die, die am
meiſten zetern über Unmoral im Beſprechen ſolcher Dinge, ſind
meiſtens dieſelben, die in der Wirklichkeit den Akt wie einen
dummen Scherz nehmen. Die nie den furchtbaren Ernſt em¬
pfinden, den die Natur dahinter gelegt hat. Für ſie iſt es,
wenn nicht unſittlich, doch mindeſtens auch ein Scherz, wenn
man von einer Philoſophie der Zeugung ſpricht.
Auch dieſe Dummköpfe empfinden, daß die Sonne, die
dort über dem Silbermeer glüht, etwas Erhabenes iſt, etwas,
das die Seele des Menſchen ins Unendliche reißt. Dieſes un¬
geheure Flammengeſtirn, an deſſen Kräften die kleine Erde
hängt wie das winzige weiße Segel dort an dem unabſehbar
blauen Meeresplan, der von Europa bis Afrika reicht. Mit
ihren dunklen Flecken, in denen die Erde viermal verſinken könnte.
Ihren roten Protuberanzen, in denen glühender Waſſerſtoff bis
zu einer halben Million Kilometer hoch in die Lüfte ſpritzt.
Und doch: jene andere, winzige Sonne, die ſich da aus Samen¬
zelle und Eizelle baut, iſt ſie in ihrer Art und für dich nicht
noch gewaltiger und wichtiger als die flammende Planeten¬
ſonne dort? Die wirkliche Sonne hebt ſich alltäglich über dir
und ſinkt. Du trinkſt ihre Kraft. Sie hält den Planeten unter
dir im feſten Geleiſe. Vielleicht von allem, was dich umgiebt,
iſt ſie nächſt der Erde ſelber die ſtärkſte äußerliche Macht,
die dir gegenüberſteht. Mit der Eizelle aber hängſt du im
Innenleben des Kosmos. In der Folge des Lebendigen.
Nicht bloß mit dem empfangenden Auge, ſondern mit der
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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/80>, abgerufen am 24.11.2024.
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